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Der Weg von der mikroskopischen Vielteilchen-Theorie
zur makroskopischen Hydrodynamik
Zusammenfassung
Ausgehend von der mikroskopischen Beschreibung einer Flüssigkeit durch eine beliebige lokale Theorie für wechselwirkende Vielteilchensysteme wird mittels Methoden der statistischen Physik für Nichtgleichgewichtssysteme gezeigt, wie allgemein hydrodynamische Gleichungen hergeleitet werden können. Für die Dichten von den Erhaltungsgrößen werden Bewegungsgleichungen gefunden mit drei Arten von Termen: reversiblen, dissipativen und fluktuierenden. Zunächst sind diese Gleichungen vollständig exakt und enthalten räumlich und zeitlich nicht lokale Terme, die Gedächtniseffekte beschreiben. Mit wenigen Näherungen werden die nicht lokalen Eigenschaften und die Gedächtniseffekte entfernt, und man erhält die bekannten hydrodynamischen Gleichungen einer normalen Flüssigkeit mit gaußischen stochastischen Kräften. Anschließend wird untersucht, wie die Zeitumkehrinvarianz der mikroskopischen Theorie gebrochen wird und wie der zweite Hauptsatz der Thermodynamik zustande kommt. Weiterhin wird gezeigt, dass die hydrodynamischen Gleichungen mit Fluktuationen äquivalent zu stochastischen Langevin-Gleichungen und zugehörigen Fokker-Planck-Gleichungen sind. Zum Schluss wird das Fluktuations-Theorem untersucht und mit einem Zusatzterm erweitert.
pacs:
47.10.-g, 05.30.-d, 05.70.Ln, 05.40.-aI Einleitung
Eine Flüssigkeit ist ein dicht gepacktes System aus vielen Atomen oder Molekülen, die über Kräfte elektromagnetischen Ursprungs miteinander wechselwirken. Die Teilchen bewegen sich nahezu in einem thermischen Gleichgewicht, das zumindest lokal auf kleinen Längenskalen ausgebildet ist. Die Temperatur ist hinreichend hoch, so dass das Vielteilchensystem nicht fest ist, sondern die fließenden Bewegungen einer Flüssigkeit ausführen kann HM86 .
Auf mikroskopischer Ebene wird das Vielteilchensystem durch eine klassische oder eine Quanten-Theorie beschrieben, welche die Bewegung von Atomen oder Molekülen modelliert, die über ein beliebiges Feld miteinander wechselwirken Ma00 ; LL09 . Eine detaillierte Ausarbeitung und Lösung einer solchen mikroskopischen Theorie ist in der Praxis nahezu unmöglich wegen der starken Wechselwirkung in der Flüssigkeit und der extrem großen Anzahl von Freiheitsgraden durch die extrem vielen Teilchen. Es sind nur Näherungen im Rahmen einer Störungstheorie mit Feynman-Diagrammen möglich.
Auf makroskopischer Ebene verhält sich eine Flüssigkeit deutlich einfacher. Auf kurzen Längen- und Zeitskalen befindet sich die Flüssigkeit lokal in einem thermischen Gleichgewicht. Auf großen Längen- und Zeitskalen ist sie im Nichtgleichgewicht. Sie fließt und transportiert Masse, Impuls und Wärme wie ein kontinuierliches Medium. Die Anzahl der Freiheitsgrade, die hierbei eine Rolle spielen, ist deutlich geringer.
Die makroskopische Bewegung eines Kontinuums wird durch eine Theorie beschrieben, die unter dem Namen Hydrodynamik bekannt ist LL06 . Es werden phänomenologische Gleichungen aufgestellt welche die Erhaltungssätze der physikalischen Größen Masse, Impuls und Energie auf lokaler Ebene erfüllen. Diese phänomenologischen Gleichungen sind Kontinuitätsgleichungen für die Dichten und Stromdichten der physikalischen Größen. Man erhält ein geschlossenes System von solchen Gleichungen, indem man geeignete Ansätze für die Stromdichten macht und diese wiederum durch die Dichten und die Gradienten von den Dichten ausdrückt.
Die Stromdichten enthalten zum einen reversible Terme, welche aus der Kinematik der zugrunde liegenden mikroskopischen Theorie bestimmt werden. Zum zweiten enthalten sie dissipative Terme, welche durch die komplizierten Wechselwirkungen der vielen Teilchen erzeugt und durch einen linearen Ansatz mit Gradienten der intensiven thermdynamischen Variablen wie Temperatur, Geschwindigkeit und chemisches Potential modelliert werden. Zum dritten enthalten sie fluktuierende Terme, welche durch gaußische stochastische Kräfte dargestellt werden LL09 .
In dieser Arbeit wird ein wohl etablierter Weg beschrieben, wie man die hydrodynamischen Gleichungen konsequent aus der mikroskopischen Theorie eines wechselwirkenden Vielteilchensystems herleiten kann. Wir verbinden die eher herkömmlichen Herleitungen mit neueren Themen der statistischen Theorie von Systemen fern vom Gleichgewicht, und zwar dem GENERIC-Formalismus GO97A ; GO97B ; Ot05 und dem Fluktuations-Theorem Ev93 ; Ev94 ; Ev02a ; Ja97A ; Ja97B . Ein größerer Teil dieser Arbeit widmet sich den Fluktuationen. Die herkömmlichen Darstellungen behandeln die Fluktuationen in linearer Antwort in der Nähe des Gleichgewichts, wobei die Korrelationsfunktionen im thermischen Gleichgewicht berechnet werden KM63 ; Fo75 . In dieser Arbeit jedoch betrachten wir die Hydrodynamik und die Fluktuationen im Nichtgleichgewicht in einer vollständig nichtlinearen Weise. Wir leiten nichtlineare stochastische Differentialgleichungen mit multiplikativem Rauschen her, so dass die Fluktuationen nichtlinear von den hydrodynamischen Variablen abhängen.
Ausgangspunkt in Kapitel II ist die Liouville-von-Neumann-Gleichung für die Dichtematrix des Quantensystems. Mittels Projektionsoperatoren Gr82 werden die Freiheitsgrade des Vielteilchensystems unterteilt in relevante, welche die hydrodynamischen Eigenschaften auf makroskopischer Ebene beschreiben, und restliche irrelevante. Eine relevante Dichtematrix wird definiert durch Maximieren der Entropie unter der Nebenbedingung, dass die relevanten Variablen die exakten Erwartungswerte haben.
In Kapitel III werden die restlichen irrelevanten Freiheitsgrade eliminiert. Als Ergebnis erhält man für die relevante Dichtematrix eine Mastergleichung mit Gedächtniseffekten und fluktuierenden Termen, welche unter dem Namen Robertson-Gleichung bekannt ist Ro66 . Durch Bildung von Erwartungswerten mit den relevanten Variablen erhält man daraus Bewegungsgleichungen für die makroskopischen Freiheitsgrade, welche ohne irgendeine Näherung bereits die Form von verallgemeinerten hydrodynamischen Gleichungen haben. Wir folgen hier der Darstellung von Fick und Sauermann FS90 . Anschließend zeigen wir, dass die verallgemeinerten hydrodynamischen Gleichungen bereits in ihrer exakten Form ohne Näherung in die Schreibweise des GENERIC-Formalismus von Grmela und Öttinger GO97A ; GO97B ; Ot05 übergeführt werden können, einschließlich aller Nebenbedingungen für die Funktional-Ableitungen von Entropie, Energie, Impuls und Teilchenzahl. An dieser Stelle sind unsere Gleichungen noch etwas allgemeiner als jene von Grmela und Öttinger, weil unsere Gleichungen die Gedächtniseffekte einschließen, die letzteren jedoch nicht.
Für eine korrekte Behandlung der Fluktuationen muss die Dichtematrix einen reinen Zustand darstellen und die Form haben, und zwar für alle Zeiten . Der Projektionsoperator-Formalismus liefert eine Formel für die fluktuierenden Kräfte, welche explizit von der Dichtematrix des Anfangszustandes zur Anfangszeit abhängt. Aus diesem Grunde wählen wir und erhalten somit nichttriviale fluktuierende Kräfte. Andererseits verwenden die konventionellen Theorien Ro66 ; FS90 für den Anfangszustand eine relevante Dichtematrix . In Folge dessen sind die fluktuierenden Kräfte null für alle Zeiten, so dass die konventionellen Theorien die Fluktuationen gar nicht erst berücksichtigen.
In Kapitel IV werden die Näherungen und Symmetrie-Überlegungen durchgeführt, welche auf die hydrodynamischen Gleichungen mit Fluktuationen in ihrer bekannten Form führen. Zunächst werden alle Gedächtniseffekte weggelassen, und man erhält die hydrodynamischen Gleichungen in der Schreibweise des GENERIC-Formalismus, wie sie ursprünglichen von Grmela und Öttinger GO97A ; GO97B ; Ot05 aufgestellt wurden. Die reversiblen Terme lassen sich durch Poisson-Klammern der Dichten mit der Energie des Systems darstellen wie dies zuvor von Dzyaloshinskii und Volovik DV80 gemacht wurde. Weiterhin werden die dissipativen Terme mit einer lokalen Näherung vereinfacht, und die fluktuierenden Terme werden durch gaußische stochastische Kräfte modelliert. Die Stärke der Dissipationen und der Fluktuationen wird gemäß dem Fluktuations-Dissipations-Theorem durch eine Onsager-Matrix parametrisiert, welche sich aus Symmetriegründen mit nur drei Parameter darstellen läßt, der Scherviskosität , der Volumenviskosität und der Wärmeleitfähigkeit . Zwar können die Transportkoeffizienten , , and im Prinzip explizit und quantitativ berechnet werden. Wir betrachten sie jedoch als phänomenologische Parameter, die experimentell bestimmt werden müssen. Als Ergebnis erhalten wir schließlich die aus allgemeinen Lehrbüchern bekannten hydrodynamischen Gleichungen einer normalen Flüssigkeit mit Fluktuationen LL06 ; LL09 .
In Kapitel V untersuchen wir die in der Thermodynamik und Hydrodynamik bekannte Brechung der Zeitumkehrinvarianz und den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Zur Überraschung finden wir, dass die Summe der dissipativen und der fluktuierenden Terme die Zeitumkehrinvarianz nicht bricht, zumindest in der exakten Theorie von Kapitel III bevor irgendwelche Näherungen gemacht werden. In Kapitel VI zeigen wir einen Zusammenhang der hydrodynamischen Gleichungen mit stochastischen Langevin-Gleichungen und einer zugehörigen Fokker-Planck-Gleichung. Wir untersuchen die Lösung dieser Gleichungen im thermischen Gleichgewicht und finden eine großkanonische Boltzmann-Verteilung. Weiterhin finden wir, dass im thermischen Gleichgewicht die Entropie im Mittel konstant bleibt, wie es auch sein muss.
In Kapitel VII untersuchen wir, in wie weit das Fluktuations-Theorem von Evans et al. Ev93 ; Ev94 ; Ev02a und die Jarzynski-Gleichung Ja97A ; Ja97B auf eine normale Flüssigkeit anwendbar sind. Zunächst zeigen wir, dass die Herleitung des Fluktuations-Theorems von Crooks Cr98 ; Cr99 ; Cr00 erfolgreich auf den GENERIC-Formalsimus übertragen werden kann. Wir sind jedoch mit dem Ergebnis nicht zufrieden, weil die Variable des Fluktuations-Theorems nicht die Entropie-Änderung der Flüssigkeit ist. Aus diesem Grunde leiten wir aus unserer Theorie ein modifiziertes Fluktuations-Theorem und eine modifiziertes Jarzynski-Gleichung für die Entropie-Änderung her mit einem Zusatzterm. Diesen Zusatzterm berechnen wir explizit und finden eine Ultraviolett-Divergenz für eine normale Flüssigkeit. Nach der Regularisierung mit einer minimalen Längenskala für die räumlichen Variationen der Fluktuationen wird der Zusatzterm zwar endlich, hängt jedoch stark von der Größe dieser minimalen Länge ab. Abschließende Bemerkungen folgen dann in Kapitel VIII.
II Quantenstatistik für Vielteilchensysteme
Wir gehen davon aus, dass eine Flüssigkeit oder ein Gas beschrieben wird durch eine mikroskopische Theorie für ein System von vielen Teilchen, die miteinander über ein Feld wechselwirken. Eine ziemlich allgemeines fundamentales Modell für das System geht aus von den Atomkernen und den Elektronen in der Materie, welche mit einander über ein elektromagnetisches Feld wechselwirken. Im allgemeinsten Fall sind die Teilchen Quarks und Leptonen, die miteinander wechselwirken über Eichfelder für die starke, schwache und elektromagnetische Wechselwirkung.
Die mikroskopische Theorie kann nichtrelativistisch oder relativistisch sein, klassisch oder quantenmechanisch. Welches mikroskopisches Modell für das Vielteilchen-System im Speziellen gewählt wird, ist am Ende für unsere Betrachtungen nicht so wichtig. Das Modell muss nur einige wenige sehr allgemeine Bedingungen erfüllen. Es müssen einige Erhaltungsgrößen vorhanden sein, welche durch Integrale von lokalen Dichten dargestellt werden können. Für eine gewöhnliche nichtrelativistische Flüssigkeit wären dies die Masse, der Impuls und die Energie, definiert durch
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Die Dimension des Raumes bezeichnen wir mit . Um die Formeln so allgemein wie möglich zu halten, lassen wir zunächst beliebige Werte für zu. Es muss jedoch gelten, um das System von einem hydrodynamischer Selbstmord abzuhalten Br89 . Am Ende setzen wir für eine gewöhnliche Flüssigkeit ein. Die Funktionen in den Integralen sind die Massendichte , die Impulsdichte und die Energiedichte . Die Dächer über den Symbolen in den Gleichungen (1)-(3) zeigen an, dass die physikalischen Größen quantenmechanische Operatoren sind. Im Folgenden gehen wir immer davon aus, dass das mikroskopische Vielteilchen-System durch eine Quanten-Theorie beschrieben wird. Wir treffen diese Wahl, weil in diesem Fall die Formeln einfacher und kompakter sind. Alle nachfolgenden Betrachtungen und Berechnungen können alternativ auch mit einer klassischen Theorie für das mikroskopische System durchgeführt werden.
Erhaltungsgrößen sind nach Definition konstant in der Zeit. Folglich werden sich die Dichten von diesen Erhaltungsgrößen langsam mit der Zeit verändern, wenn man Variationen auf großen Längenskalen betrachtet. Wir schließen daraus, dass sich die Dichten der Erhaltungsgrößen als relevante Variablen eignen, um die physikalischen Eigenschaften auf makroskopischen Skalen, also großen Längenskalen und großen Zeitskalen zu beschreiben. Für eine normale Flüssigkeit sind dies die Massendichte , die Impulsdichte und die Energiedichte .
Explizite Formeln für die Erhaltungsgrößen (1)-(3) erhält man aus dem Noether-Theorem. Man leitet diese aus den kontinuierlichen Symmetrien des physikalischen Systems her, in dem man die Lagrange-Dichte betrachtet. Für unsere Berechnungen und Untersuchungen ist es sehr wichtig, dass die zugrunde liegende mikroskopische Theorie lokal in Raum und Zeit ist. Das Bedeutet, es gibt eine lokale Lagrange-Dichte , die über das Noether-Theorem lokale Ausdrücke für die Dichten der Erhaltungsgrößen , und liefert. Da die makroskopischen relevanten Variablen als Mittelwerte oder Erwartungswerte dieser Dichten definiert werden, garantiert diese Forderung wohldefinierte hydrodynamische Variablen.
Ein Gegenbeispiel dazu ist die häufig verwendete Theorie für ein System aus vielen Teilchen, die miteinander über ein Zweiteilchen-Potential wechselwirken. Der zugehörige Hamilton-Operator ist räumlich nicht lokal. Dies führt zu nichtlokalen Ausdrücken für die Energiedichte . In Folge davon wird es schwierig, wohldefinierte Formeln für die zugehörigen Stromdichten in den Kontinuitätsgleichungen zu finden. In diesem Fall empfehlen wir, das mikroskopische Modell für das physikalisch System so zu erweitern, dass die Wechselwirkung über irgend ein lokales Feld vermittelt wird. Das Feld und die Wechselwirkung sollten so gewählt werden, dass das Zweiteilchen-Potential als effektive Wechselwirkung herauskommt, wenn man das lokale Feld ausintegriert.
Eine weitere Erhaltungsgröße ist der Drehimpuls
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welcher mit der Symmetrie des Systems unter Drehungen zusammenhängt. Die Drehimpuls-Dichte lässt sich in der Form
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schreiben, wobei der erste Term den Bahndrehimpuls und der zweite Term den Spindrehimpuls der Teilchen darstellt. Die Formel (5) erhält man aus dem Noether-Theorem, zusammen mit einem expliziten Ausdruck für die Spindichte . Wie üblich lässt sich der Bahndrehimpuls durch die Radialkoordinate und den linearen Impuls darstellen.
Nach Belinfante Be39 und nach Martin et al. MPP72 können wir die Impulsdichte modifizieren, indem wir einen Beitrag hinzufügen, welcher mit der Spindichte zusammenhängt. Die Impulsdichte bleibt dabei die Dichte einer Erhaltungsgröße. Die zugehörige Drehimpulsdichte wird dann einfach durch die Formel gegeben und hängt ausschließlich von der modifizierten linearen Impulsdichte ab. Ursprünglich wurde dieses Konzept von Belinfante Be39 für relativistische Feldtheorien mit einer Lagrange-Dichte entwickelt, wobei die Dichten der Erhaltungsgrößen durch das Noether-Theorem definiert werden. Später wurde es von Martin et al. MPP72 auf die Hydrodynamik übertragen. In Folge ist die Drehimpulsdichte keine unabhängige Größe. Aus diesem Grunde werden wir die Drehimpulsdichte im Folgenden dieser Arbeit nicht weiter betrachten.
II.1 Quantendynamik
Nachdem wir die relevanten Variablen für eine normale Flüssigkeit durch einige wenige Dichten von Erhaltungsgrößen identifiziert haben, benötigen wir eine Bewegungsgleichung für die zeitliche Entwicklung dieser Größen. Wenn wir eine solche Dichte allgemein bezeichnen durch den lokalen quantenmechanischen Operator , so wird ihre zeitlichen Entwicklung durch die Heisenberg-Bewegungsgleichung
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beschrieben, wobei der Hamilton-Operator durch die Energie gegeben ist, die in (3) definiert wird. Der quantenphysikalischen Zustand des Systems wird beschrieben durch einen Zustandsvektor im Hilbertraum , manchmal auch kurz Wellenfunktion genannt. Der Erwartungswert einer Dichte wird damit definiert über das Skalarprodukt
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In der Quantenstatistik befindet sich das physikalische System nicht in einem reinen Zustand . Vielmehr nimmt man an, dass sich das System in bestimmten zueinander orthogonalen Zuständen mit Wahrscheinlichkeiten befindet. Der Erwartungswert ist dann gegeben durch
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Es ist zweckmäßig, die Dichtematrix
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einzuführen. Damit bekommt der Erwartungswert die Form
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Unglücklicherweise werden die Massendichte in (1) und die Dichtematrix in (9) und (10) mit nahezu demselben Buchstaben definiert. Das kann zu Verwechslungen führen. Man muss daher entweder genau hinsehen oder aus dem Kontext schließen, was gerade gemeint ist.
Die Gleichungen (6)-(10) beschreiben die Quantendynamik im Heisenberg-Bild. Hier hängen die Operatoren der beobachtbaren Größen von der Zeit ab, der Zustandsvektor oder die Dichtematrix sind jedoch konstant. Für unsere Zwecke besser geeignet ist das Schrödinger-Bild. Man erhält es durch die Transformationen
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Links vom Gleichheitszeichen stehen die Größen im Schrödinger-Bild, rechts im Heisenberg-Bild. Für den Zustandsvektor gilt hier die Schrödinger-Gleichung
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und für die Dichtematrix die Liouville-von-Neumann-Gleichung
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Für die Erwartungswerte schreibt man im Schrödinger-Bild entsprechend
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für einen reinen Quantenzustand und
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in der Quantenstatistik. Im Folgenden verwenden wir immer das Schrödinger-Bild. Zur Vereinfachung der Schreibweise lassen wir ab jetzt das Dach über einer Variablen zur Kennzeichnung eines Operators weg.
II.2 Quantenstatistik
In der Quantenstatistik definiert man die Entropie durch
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Hierbei ist die Boltzmann-Konstante, welche die Einheit der Entropie festlegt. Für einen reinen Quantenzustand gilt bekanntlich
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Die Entropie ist also null und konstant für alle Zeiten . Wir greifen eine bestimmte Menge von relevanten Variablen heraus, welche die wesentlichen Eigenschaften des physikalischen Systems beschreiben. Für eine normale Flüssigkeit sind das die Dichten von Masse, Impuls und Energie. Wir nehmen an, dass die exakte Lösung der Schrödinger-Gleichung und die exakte Lösung der Liouville-von-Neumann-Gleichung bekannt sind. Dann ist auch die zeitliche Entwicklung der Erwartungswerte der relevanten Variablen
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exakt bekannt.
In der Quantenstatistik betrachtet man nun einen gemischten Zustand, der durch eine Dichtematrix beschrieben wird, welche die Entropie (18) maximiert unter der Nebenbedingung dass die Erwartungswerte der relevanten Variablen die exakten Werte (20) annehmen. Wir bekommen somit eine Maximierungsaufgabe mit Nebenbedingungen
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Die letzte Nebenbedingung garantiert die Normierung der Dichtematrix. Zur Berechnung der Lösung definieren wir das Funktional
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mit den Langrange-Parametern und . Als notwendige Bedingung für das Maximum muss die Variation dieses Funktional null ergeben, also
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Die Lösung dieser Gleichung ist die relevante Dichtematrix
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Anstelle des Lagrange-Parameters verwenden wir den Normierungsfaktor . Die Lagrange-Parameter und der Normierungsfaktor werden durch Einsetzen von (26) in die Nebenbedingungen (22) und (23) bestimmt.
II.3 Thermisches Gleichgewicht
Im thermischen Gleichgewicht ist eine Flüssigkeit räumlich und zeitlich homogen. Folglich sind alle Erwartungswerte der Dichten , die Lagrange-Parameter und der Normierungsfaktor räumlich und zeitlich konstant. Die relevante Dichtematrix (26) vereinfacht sich somit auf
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Setzen wir für die Massendichte , die Impulsdichte und die Energiedichte ein und verwenden wir die integralen Erhaltungsgrößen (1)-(3), so folgt
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Wir führen die neuen Lagrange-Parameter Temperatur , chemisches Potential und Geschwindigkeit ein über die Beziehungen
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und definieren den Teilchenzahloperator , wobei die Masse eines einzelnen Teilchens ist. Dann finden wir im Ergebnis die großkanonische Boltzmann-Verteilung für eine mit konstanter Geschwindigkeit bewegte Flüssigkeit
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Wir schließen daraus, dass die in (26) definierte relevante Dichtematrix kompatibel mit der Quantenstatistik des thermischen Gleichgewichts ist.
Die Energie , der Impuls und die Teilchenzahl sind Erhaltungsgrößen einer normalen Flüssigkeit. Sie vertauschen daher mit dem Hamilton-Operator . Folglich vertauscht die Dichtematrix des thermischen Gleichgewichts (30) ebenfalls mit dem Hamilton-Operator, also . Weil die Dichtematrix nicht von der Zeit abhängt, erfüllt sie offenbar die Liouville-von-Neumann-Gleichung (15) und ist somit eine exakte Lösung.
II.4 Thermodynamische Potentiale im Nichtgleichgewicht
Die relevante Dichtematrix (26) hat die Struktur einer verallgemeinerten Boltzmann-Verteilung, wobei die Lagrange-Parameter vom Ort und von der Zeit abhängen. Wenn immer diese Lagrange-Parameter nur langsam mit dem Ort und der Zeit variieren, dann beschreibt die relevante Dichtematrix (26) ein lokales thermisches Gleichgewicht. Auf diese Weise wird die grundlegende Annahme der Hydrodynamik einer normalen Flüssigkeit vorweg genommen. Das System ist global im Nichtgleichgewicht aber lokal im Gleichgewicht. Nichtsdestotrotz, wenn immer die Lagrange-Parameter nicht konstant sind sondern von Ort und Zeit abhängen, ist der Zustand grundsätzlich ein Nichtgleichgewicht.
Somit kommen wir zu dem Schluss: Die relevante Dichtematrix (26) eignet sich für die Definition von thermodynamischen Potentialen des Nichtgleichgewichts. Aus der Normierungsbedingung (23) erhalten wir die Zustandssumme
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Sie ist offensichtlich ein Funktional der Lagrange-Parameter . Die Abhängigkeit von der Zeit ist hier nur implizit und spielt daher eine untergeordnete Rolle. Wie in der Thermodynamik üblich definieren wir über den Logarithmus das thermodynamische Potential
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Bis auf einen Faktor Temperatur ist das die Verallgemeinerung des großkanonischen thermodynamischen Potentials auf das Nichtgleichgewicht. Wir bilden die Variation
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und finden die Erwartungswerte der relevanten Variablen als Funktional-Ableitung
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Man beachte, dass bei der Definition der Funktional-Ableitung in (33) nur über den Index summiert und die Ortsvariable integriert wird. Die Zeit spielt eine untergeordnete Rolle als impliziter konstanter Parameter.
Als nächstes setzen wir die relevante Dichtematrix (26) in die Formel für die Entropie (18) ein. Wegen
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folgt
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Dies ist die klassische Formel einer Legendre-Transformation. Folglich ist die Entropie ein Funktional der Erwartungswerte . Die Zeitabhängigkeit ist wiederum implizit. Aus der Variation
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erhalten wir die Lagrange-Parameter als Funktional-Ableitung
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Aus den Überlegungen schließen wir, dass die Erwartungswerte und die Lagrange-Parameter im Sinne einer Legendre-Transformation zueinander konjugierte Variablen sind.
Ein weiteres Funktional, das wir im Folgenden benötigen, ist die Energie des Systems
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Sie setzt sich zusammen aus der inneren Energie und der kinetischen Energie des Systems. Wegen der Definition der relevanten Dichtematrix (26) ist die Energie eigentlich ein Funktional der Lagrange-Parameter . Die Legendre-Transformation liefert jedoch eine umkehrbare Abbildung zwischen den Variablen und . Daher ist es möglich, die Energie alternativ als Funktional der Erwartungswerte darzustellen. Letzteres Funktional werden wir später verwenden.
II.5 Projektionsoperatoren
Für einen reinen Quantenzustand ist die Dichtematrix gegeben durch wobei eine Lösung der Schrödinger-Gleichung (14) ist. Folglich ist eine Lösung der Liouville-von-Neumann-Gleichung (15). Wenn die exakte Lösung bekannt ist, können wir sagen, die Dichtematrix ist exakt.
Demgegenüber ist die relevante Dichtematrix definiert in (26) eine Näherung. Sie ist jedoch exakt im Unterraum der relevanten Variablen und der in dem Sinne dass die Erwartungswerte und die exakten Werte haben, denn es gilt
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Der Übergang von der exakten Dichtematrix zur relevanten Dichtematrix stellt eine Abbildung dar, welche sich schreiben lässt als
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Man kann sich leicht davon überzeugen, dass die Abbildung eine Projektion ist. Weil das Bild, die relevante Dichtematrix , nur von den Erwartungswerten abhängt. Bei zweimaliger Anwendung der Abbildung kommt also wieder die relevante Dichtematrix heraus. Es gilt also
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Die Abbildung (42) ist zunächst nichtlinear. Durch infinitesimale Variation lässt sich daraus ein linearer Projektionsoperator ableiten. Die Abbildung (42) und der zugehörige lineare Projektionsoperator wurde von Robertson Ro66 verwendet, um eine Mastergleichung für die relevante Dichtematrix und eine Bewegungsgleichung für die Erwartungswerte herzuleiten. Eine detaillierte Beschreibung dieser Herleitung findet man in den Kapiteln 17 und 18 des Buches von Fick und Sauermann FS90 .
Wir wollen hier einen etwas anderen Projektionsoperator verwenden, der auf Grabert Gr82 zurückgeht. Dieser wirkt nicht auf die Dichtematrix sondern auf die relevanten Variablen und ist für eine beliebige Variable definiert durch
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Man kann diesen Projektionsoperator betrachten als eine Taylorreihen-Entwicklung nach Potenzen in den Fluktuationen der relevanten Variablen bis zur linearen Ordnung. Wir stellen fest, dass wegen (40) und (41) der Erwartungswert dieser Fluktuationen sowohl mit der exakten Dichtematrix als auch mit der relevanten Dichtematrix null ergibt gemäß
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Wenn wir also den Erwartungswert von der Gleichung (44) mit der exakten Dichtematrix bilden, dann vereinfacht sich diese auf
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Wenden wir hier zusätzlich (42) an, um das zweite Gleichheitszeichen und den Term auf der rechten Seite zu erklären, so kommen wir zu der Erkenntnis, dass bei der Berechnung des Erwartungswertes einer beliebigen Variablen der Projektionsoperator von Grabert (44) äquivalent ist zu der nichtlinearen Projektion der Dichtematrix (42).
Der Projektionsoperator (44) ist so definiert, dass er nach rechts auf eine physikalische Variable wirkt. Es ist auch möglich eine andere Variante des Projektionsoperators zu definieren, der nach links auf eine Dichtematrix wirkt. Diese Variante ist bekannt unter dem Namen Kawasaki-Gunton-Projektionsoperator KG73 und führt zu denselben Ergebnissen.
Die rechte Seite von (44) ist eine Linearkombination der relevanten Variablen und der . Folglich projiziert der Operator eine beliebige Variable in der Unterraum der relevanten Variablen und der . Speziell gilt
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Man kann dies explizit nachprüfen durch Einsetzen in die Formel (44). Der Projektionsoperator ist weiterhin linear. Ist eine beliebige Linearkombination der relevanten Variablen und der , so folgt . Wählen wir speziell , so finden wir
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Da die Variable beliebig ist, können wir diese auch weglassen und finden formal einfach
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Diese Gleichung ist eine Verallgemeinerung der Eigenschaft eines Projektionsoperators, dass zweimaliges Anwenden hintereinander nichts Neues bewirkt. Die Verallgemeinerung besteht darin, dass die Erwartungswerte und zu unterschiedlichen Zeiten und genommen werden dürfen.
Während der Operator die relevanten Variablen heraus projiziert, ist es zweckmäßig, den orthogonalen Operator
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zu definieren, welcher alle übrigen nicht relevanten Variablen heraus projiziert. Durch zweimaliges Anwenden dieses Projektionsoperators zu unterschiedlichen Zeiten und und explizites Nachrechnen unter Verwendung von (50) und (49) finden wir
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Die Gleichungen (49) und (51) sind ähnlich zueinander. Man beachte jedoch auf der rechten Seite den Unterschied in der Abhängigkeit von den Zeiten und .
Da der Projektionsoperator über die Erwartungswerte implizit von der Zeit abhängt, kann man erwarten, dass bei der Herleitung der Mastergleichung die Zeitableitungen des Projektionsoperators auftreten. Man kann jedoch zeigen dass solche Terme in der Mastergleichung null sind und folglich herausfallen. Dazu berechnen wir den Erwartungswert einer beliebigen Variablen mit der exakten Dichtematrix unter Anwendung des zeitlich abgeleiteten Projektionsoperators . Wir finden
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Das vorletzte Gleichheitszeichen folgt aus der Kettenregel der Differentialrechnung, weil die relevante Dichtematrix implizit über die Erwartungswerte von der Zeit abhängt. Die Gleichung (52) wurde für eine beliebige Variable hergeleitet. Wir dürfen daher und die Spur weglassen, und es gilt ebenso
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Diese Gleichung werden wir später verwenden um zu zeigen, dass die Zeitableitung des Projektionsoperators aus der Mastergleichung herausfällt.
III Mastergleichung
Unser Ziel ist die Herleitung von hydrodynamischen Gleichungen für die Erwartungswerte . Mit Hilfe der Definition (20) und der Liouville-von-Neumann-Gleichung (15) finden wir
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Zur Vereinfachung der Schreibweise definieren wir den Liouville-Operator , der auf eine beliebige Variable wirkt, durch
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Vergleichen wir miteinander die erste und letzte Zeile von (54), so finden wir, dass sich die Liouville-von-Neumann-Gleichung formal schreiben lässt als
(56) |
Die Bewegungsgleichung für die Erwartungswerte (54) wollen wir auf eine geschlossene Form bringen, so dass die rechte Seite möglichst ein Funktional von den ist. In der letzten Zeile von (54) ist das leider nicht erkennbar. Wir wissen jedoch, dass die relevante Dichtematrix über die Lagrange-Parameter ein Funktional von den Erwartungswerten ist. Schreiben wir die Erwartungswerte in der Form mit der relevanten Dichtematrix, wie auf der linken Seite von (40) dargestellt, so kommen wir dem Ziel schon näher mit
(57) |
Wir benötigen dazu eine Bewegungsgleichung für die relevante Dichtematrix , welche der Liouville-von-Neumann-Gleichung äquivalent ist. Eine solche Gleichung heißt Mastergleichung. Wir wollen sie im Folgenden herleiten.
III.1 Mastergleichung für die relevante Dichtematrix
Mit den Projektionsoperatoren
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zerlegen wir die exakte Dichtematrix in einen relevanten Anteil und einen Restanteil gemäß
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so dass
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Für die relevante Dichtematrix finden wir dann mit (56) die Bewegungsgleichung
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Analog finden wir für den Restanteil der Dichtematrix die Bewegungsgleichung
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Die zweiten Terme in den beiden Gleichungen mit der Zeitableitung des Projektionsoperators fallen offensichtlich weg wegen (53). In den ersten Termen setzen wir die Zerlegung (59) ein. Wir erhalten dann zwei gekoppelte Gleichungen
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für die zwei Anteile der Dichtematrix. Die Mastergleichung für die relevante Dichtematrix bekommen wir nun, indem wir den Restanteil eliminieren. Dazu lösen wir formal die zweite Gleichung. Diese ist eine inhomogene Differentialgleichung für . Daher lösen wir zuerst den homogenen Anteil der Gleichung
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mit der Anfangsbedingung . Wir finden
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Hierbei ist der aus der Quantenfeldtheorie bekannte Zeitordnungs-Operator. Für ordnet er die Zeiten aufsteigend von links nach rechts, das ist hier genau umgekehrt wie sonst in der Quantenfeldtheorie. Mit einem geeigneten Ansatz berechnen wir darauf folgend auch die Lösung der inhomogenen Gleichung und bekommen den Restanteil der Dichtematrix
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Wir setzen nun diese Formel in die Bewegungsgleichung für die relevante Dichtematrix (63) ein, ersetzen mit Hilfe von (60) und ordnen die Reihenfolge einiger Terme um. Als Ergebnis erhalten wir die Mastergleichung für die relevante Dichtematrix
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Diese Gleichung ist das zentrale Ergebnis von diesem Abschnitt. Man beachte, dass die relevante Dichtematrix und die Projektionsoperatoren und eine spezielle Form haben. Sie sind definiert durch (26), (44) und (50). Die Mastergleichung in der speziellen Form (68) wurde zuerst von Robertson Ro66 hergeleitet und ist bekannt unter dem Namen Robertson-Gleichung.
Eine einfachere Version der Mastergleichung wurde zuvor von Nakajima und Zwanzig Na58 ; Zw60 hergeleitet, wobei die Projektionsoperatoren und konstant in der Zeit sind. In diesem Fall ist die Projektion eine lineare Abbildung im Raum der Quanten-Operatoren oder im Raum der Funktionen im klassischen Phasenraum. Folglich darf in der Gleichung (66) der Zeitordnungs-Operator weggelassen werden, so dass die Zeitentwicklung durch eine einfache operatorwertige Exponentialfunktion beschrieben wird. Im Ergebnis wurde eine lineare Antworttheorie hergeleitet, um kleine Abweichungen vom thermischen Gleichgewicht zu beschreiben. Diese Theorie ist wohl bekannt unter dem Namen Zwanzig-Mori-Formalismus Zw60 ; Zw61 ; Zw01 ; Mo65a ; Mo65b . In der vorliegenden Arbeit wollen wir jedoch Nichtgleichgewichtszustände weit entfernt vom Gleichgewicht in einer vollständig nichtlinearen Weise betrachten. In der Robertson-Gleichung (68) hängen die Projektionsoperatoren (58) nichtlinear von den hydrodynamischen Variablen und folglich implizit auch von der Zeit ab.
Die einzelnen Zeilen der Formel (68) lassen sich folgendermaßen interpretieren. Die erste Zeile ist der Beitrag zur Dynamik von den relevanten Variablen. Die zweite Zeile enthält die Gedächtniseffekte, welche dadurch entstehen, dass die irrelevanten Variablen eliminiert werden. Die dritte Zeile enthält die restlichen Effekte der irrelevanten Variablen. Hier handelt es sich um fluktuierende Kräfte, die im wesentlichen Rauschen darstellen.
III.2 Bewegungsgleichungen für die Erwartungswerte
Für die Erwartungswerte ist die Bewegungsgleichung definiert durch (57). Auf der rechten Seite dieser Gleichung setzen wir die Mastergleichung (68) für die Zeitableitung der relevanten Dichtematrix ein. Weil die rechtesten Projektionsoperatoren in den einzelnen Termen von (68) nun immer auf die relevante Variable wirken, bewirkt (47) das wir diese Projektionsoperatoren weglassen dürfen. Wir erhalten also
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Der Liouville-Operator wurde in (55) so definiert, dass er nach rechts auf eine Variable wirkt. Betrachtet man die Umformungen in (54) genauer, so stellt man fest, dass man den Liouville-Operator auch nach links auf die Dichtematrix wirken lassen kann. Wir finden also
(70) | |||||
Der Kommutator auf der rechten Seite von der ersten Zeile lässt sich auswerten, indem wir für die relevante Dichtematrix die Formel (26) einsetzen und die Exponentialfunktion durch die entsprechende Produktentwicklung ersetzen. Auf diese Weise erhalten wir die Integralformel mit dem Kommutator in der zweiten Zeile. Mit dem Ergebnis von (70) lassen sich die ersten beiden Terme in der Bewegungsgleichung (69) umformen. Definieren wir die Frequenzmatrix
(71) |
die Gedächtnismatrix
(72) |
und die fluktuierende Kraft
(73) |
so erhalten wir die Bewegungsgleichung
(74) | |||||
Man beachte, dass die ersten beiden Terme auf der rechten Seite die Lagrange-Parameter enthalten. Die drei Terme auf der rechten Seite kann man folgendermaßen interpretieren. Der erste Term beschreibt die Kopplungen innerhalb des Unterraums der relevanten Variablen. Der zweite Term beschreibt die Gedächtniseffekte, die entstehen, wenn die relevanten Variablen mit den restlichen ausintegrierten Variablen wechselwirken. Der letzte Term enthält die restlichen Kräfte der ausintegrierten Variablen. Diese sind meist Fluktuationen auf kurzen räumlichen und zeitlichen Skalen.
Wählt man zum Anfangszeitpunkt die Dichtematrix , so gilt
(75) |
und die fluktuierende Kraft (73) ist . Die Bewegungsgleichung (74) zusammen mit der Frequenzmatrix (71) und der Gedächtnismatrix (72) jedoch ohne die fluktuierende Kraft (73) wurde bereits von Robertson Ro66 hergeleitet und ist beschrieben in Kapitel 18 im Buch von Fick und Sauermann FS90 .
III.3 Mori-Skalarprodukt
Das Mori-Skalarprodukt ist ein hermitesches Skalarprodukt für zwei quantenmechanische Variablen und , mit dem sich die Formeln für die Frequenzmatrix (71) und die Gedächtnismatrix (72) vereinfachen lassen. Ursprünglich Mo65a ; Mo65b wurde es für das thermische Gleichgewicht mit einer Dichtematrix definiert, welche eine Boltzmannstruktur wie (30) hat. Man kann es jedoch auch allgemeiner definieren für das Nichtgleichgewicht, in dem man die relevante Dichtematrix (26) einsetzt. Wir verwenden hier das verallgemeinerte Mori-Skalarprodukt in der Form
(76) |
Weil die relevante Dichtematrix über die Erwartungswerte implizit von der Zeit abhängt, gilt dasselbe ebenso für das Mori-Skalarprodukt. Es gelten die üblichen Regeln für Skalarprodukte, welche in der Quantentheorie verwendete werden. Es ist bilinear, positiv definit und hermitesch. Letztere Eigenschaft bewirkt z.B. die Gleichung .
Wir haben bisher drei Operatoren definiert, welche auf die Variablen wirken. Dies sind die Projektionsoperatoren , und der Liouville-Operator , definiert in (44), (50) und (55). Wir wollen untersuchen, in wieweit diese Operatoren selbstadjungiert oder hermitesch sind bezüglich dem Mori-Skalarprodukt. Setzen wir den Projektionsoperator (44) einmal hinten und einmal vorne in das Mori-Skalarprodukt ein, so finden wir nach einigen Umformungen die symmetrische Formel
(77) | |||||
mit der Suszeptibilität
(78) |
Eine analoge Formel finden wir ebenso für den orthogonalen Projektionsoperator (50), nämlich
(79) |
Wir stellen somit fest, dass die Projektionsoperatoren und beide selbstadjungiert oder hermitesch sind. Diese Eigenschaft garantiert, dass die Projektionsoperatoren in einem besonderen Sinne kompatibel mit dem Mori-Skalarprodukt sind.
Anders verhält sich der Liouville-Operator . Setzen wir diesen hinten und vorne in das Mori-Skalarprodukt ein, so finden wir
(80) |
Das bedeutet, der Liouville-Operator ist dann und nur dann hermitesch, wenn die relevante Dichtematrix mit dem Hamilton-Operator vertauscht. Dies ist im thermischen Gleichgewicht für die Dichtematrix (30) des großkanonischen Ensembles erfüllt, weil der Impuls und die Teilchenzahl Erhaltungsgrößen sind. Im Nichtgleichgewicht gilt das jedoch im allgemeinen nicht. Der Liouville-Operator ist also im allgemeinen nicht selbstadjungiert oder hermitesch.
Wir schreiben nun die Frequenzmatrix (71) mit dem Mori-Skalarprodukt um und erhalten
(81) |
Ebenso schreiben wir die Gedächtnismatrix (72) um und erhalten
(82) |
Die imaginären Faktoren haben wir aus dem Mori-Skalarprodukt nach vorne herausgezogen. Die neuen Formeln (81) und (82) haben eine erheblich einfachere Struktur. Sie sehen jedoch nicht gerade symmetrisch aus.
Eine Symmetrisierung bezügliche dem orthogonalen Projektionsoperator ist möglich, weil dieser gemäß (79) hermitesch ist und die allgemeine Formel (51) erfüllt. Wir stellen fest, dass der Zeitentwicklungsoperator , definiert in (66), immer nur mit einem vorangestelltem Projektionsoperator auftritt. Wegen (51) dürfen wir daher zwei Dinge tun. Zum einen gilt
(83) |
und zum anderen dürfen wir den Zeitentwicklungsoperator durch einen Ausdruck mit symmetrischem Exponenten und zwei orthogonalen Projektionsoperatoren darin ersetzen gemäß
(84) |
Setzen wir nun (83) in (82) ein und verwenden wir die Hermitezität des orthogonalen Projektionsoperators (79), so bekommen wir die Gedächtnismatrix
(85) |
Diese Formel ist symmetrisch bis auf die Position des Zeitentwicklungsoperators .
Eine weitere Symmetrisierung von Frequenzmatrix (81) und Gedächtnismatrix (85) ist nur möglich, wenn auch der Liouville-Operator hermitesch ist. Dies ist im thermischen Gleichgewicht der Fall. Hier finden wir für die Frequenzmatrix die symmetrische Formel
(86) |
Ebenso finden wir für die Gedächtnismatrix die symmetrische Formel
(87) | |||||
Weil wir im thermischen Gleichgewicht den Liouville-Operator und den Zeitentwicklungsoperator entweder vorne oder hinten in das Mori-Skalarprodukt schreiben dürfen, setzen wir diese in die Mitte zwischen zwei senkrechte Striche.
Wir stellen fest, dass die Indizes, die Ortsvariablen und die Zeitvariablen auf den linken Seiten der Gleichungen für die Frequenzmatrix und die Gedächtnismatrix die umgekehrte Reihenfolge haben als auf den rechten Seiten. Das liegt an unserer Definition der Erwartungswerte (17), wo die Dichtematrix links und die physikalische Variable rechts stehen. Ebenso liegt das an unserer Definition des Projektionsoperators (44), der nach rechts auf die physikalische Variable wirkt. Man kann die Faktoren in den Spuren auch umordnen und die Richtungen und Reihenfolgen umkehren. Dann erhält man für die Frequenzmatrix und die Gedächtnismatrix Ergebnisse mit gleichen Reihenfolgen von Indizes, Ortsvariablen und Zeitvariablen auf beiden Seiten der Gleichungen. Der Unterschied zwischen unserer und letzter Schreibweise ist jedoch nur formaler Natur. Im Ergebnis gibt es keinen Unterschied.
III.4 GENERIC Formalismus
Unsere Herleitung der Bewegungsgleichungen (74) mit der Frequenzmatrix (81), der Gedächtnismatrix (85) und den fluktuierenden Kräften (73) folgte der Originalarbeit von Robertson Ro66 und der Darstellung von Fick und Sauermann FS90 . Eine alternative Formulierung von solchen Bewegungsgleichungen wurde von Öttinger und Grmela GO97A ; GO97B ; Ot05 gegeben im Rahmen eines allgemeinen Konzeptes, das GENERIC-Formalismus genannt wird. Wenn wir unsere Bewegungsgleichung (74) in die GENERIC-Form umschreiben wollen, dann muss diese eine Struktur haben wie
(88) | |||||
Die ersten beiden Terme werden dargestellt durch Funktional-Ableitungen von der Energie und der Entropie nach den Erwartungswerten der relevanten Variablen . Sie enthalten die direkten Kopplungen der relevanten Veriablen und die indirekten Kopplungen mit Gedächtniseffekten. Der dritte Term beschreibt die restlichen fluktuierenden Kräfte von den ausintegrierten Variablen. Wir stellen fest, dass der zweite und der dritte Term unserer Gleichung (74) bereits die erforderliche Form haben, denn die Lagrange-Parameter sind nach (38) Funktional-Ableitungen der Entropie nach den Erwartungswerten.
Der erste Term in (74) hat nicht die gewünschte Form. Die Kopplung dieser Kräfte an die Funktional-Ableitungen der Entropie müssen ersetzt werden durch die Kopplung an die Funktional-Ableitungen der Energie. Der erste Term muss folglich neu berechnet werden. Wir gehen daher zurück zur Gleichung (69). Wir verlangen als zusätzliche Bedingung, dass der Hamilton-Operator zu den relevanten Variablen gehört. Er soll sich als Linearkombination
(89) |
mit geeigneten Koeffizienten darstellen lassen. Dies ist am einfachsten erfüllt, wenn eine der relevanten Variablen die Energiedichte ist. Aus (47) bekommen wir dann die Projektion
(90) |
Wir formen damit den ersten Term auf der rechten Seite von (69) um und erhalten
(91) | |||||
In der dritten Zeile dieser Gleichung haben wir die explizite Form des Projektionsoperators (44) eingesetzt. Dieser erste Term bekommt schließlich die in (88) gewünschte Form mit der Poisson-Matrix
(92) |
Ersetzen wir auf der rechten Seite den quantenmechanischen Kommutator durch die klassische Poisson-Klammer, so erklärt sich der Name Poisson-Matrix von selbst. Denn dieser Ausdruck ist offensichtlich der Erwartungswert der Poisson-Klammer von zwei relevanten Variablen. Die Poisson-Matrix ist antisymmetrisch gemäß
(93) |
Dies folgt aus der entsprechenden Eigenschaft des Kommutators und der Poisson-Klammer.
Im Ergebnis finden wir also, dass sich die Bewegungsgleichung (69), welche ursprünglich von Robertson Ro66 hergeleitet wurde, in die GENERIC-Form umschreiben lässt. Der GENERIC-Formalismus ist damit jedoch noch nicht abgeschlossen. Er liefert als zusätzliche Elemente noch einige Nebenbedingungen. Als erstes betrachten wir dazu
(94) |
Für die Umformung zwischen der dritten und der vierten Zeile verwenden wir die explizite Form der relevanten Dichtematrix (26). Das letzte Gleichheitszeichen folgt aus dem Kommutator . Wir erhalten also die Nebenbedingung
(95) |
Da die Poisson-Matrix gemäß (93) antisymmetrisch ist, gilt die Nebenbedingung auch in der adjungierten Form
(96) |
Als zweites betrachten wir
(97) |
Wir multiplizieren nun die Gedächtnismatrix (85) mit einer Funktional-Ableitung der Energie . Summieren wir anschließend über den hinteren Index, und intergrieren wir über die hintere Ortsvariable, so bekommen wir die Nebenbedingung
(98) |
Summieren wir andererseits über den vorderen Index, und integrieren wir über die vordere Ortsvariable, so bekommen wir die Nebenbedingung in der adjungierten Form
(99) |
Weitere Nebenbedingungen lassen sich für Erhaltungsgrößen ableiten. In einer normalen Flüssigkeit sind neben der Energie ebenso der Impuls und die Teilchenzahl Erhaltungsgrößen. Die Erwartungswerte dieser Erhaltungsgrößen sind wiederum Funktionale der Erwartungswerte der relevanten Variablen gemäß
(100) | |||||
(101) |
Wir nehmen an, dass sich die Operatoren der Erhaltungsgrößen ähnlich wie der Hamilton-Operator (89) als Linearkombinationen der relevanten Variablen
(102) | |||||
(103) |
darstellen lassen, wobei und geeignete Koeffizienten sind. Es folgen dann die Projektionen
(104) |
Mit diesen Projektionen können wir nun für die Erhaltungsgrößen Überlegungen analog zu (91) durchführen, allerdings in Rückwärtsrichtung von unten nach oben. Wir finden dann für den Impuls
(105) |
und für die Teilchenzahl
(106) |
Ob auf den rechten Seiten nun eine Null steht oder irgend etwas Anderes, hängt davon ab, was die Kommutatoren der Erhaltungsgrößen mit den relevanten Variablen ergeben. Für unsere beiden Erhaltungsgrößen in einer normalen Flüssigkeit gilt
(107) |
Wir finden somit die Nebenbedingungen für den Impuls
(108) |
und für die Teilchenzahl
(109) |
Die Überlegungen von (97) können wir ebenso mit den Erhaltungsgrößen durchführen. Wir erhalten dann für den Impuls
(110) |
und für die Teilchenzahl
(111) |
In diesem Falle sind die rechten Seiten immer null, weil die Operatoren der Erhaltungsgrößen mit dem Hamilton-Operator vertauschen. Wir bekommen somit weitere Nebenbedingungen für den Impuls
(112) |
und für die Teilchenzahl
(113) |
Wir haben also für die zwei Erhaltungsgrößen Impuls und Teilchenzahl die vier Nebenbedingungen (108), (109) und (112), (113) hergeleitet. In diesen stehen die Funktional-Ableitungen immer auf der rechten Seite. Es gibt weitere vier Nebenbedingungen in der adjungierten Form, wo die Funktional-Ableitungen auf der linken Seite stehen.
Die wesentlichen Komponenten des GENERIC-Formalismus sind somit gefunden. Sie bestehen zum einen aus der Bewegungsgleichungen für die Erwartungswerte der relevanten Variablen (88) und zum anderen aus einer Reihe von Nebenbedingungen für die Funktionale von Energie , Entropie und die Erhaltungsgrößen wie Impuls und Teilchenzahl . Hinzu gehören die expliziten Formeln für die Poisson-Matrix (92), die Gedächtnismatrix (85) und die fluktuierenden Kräfte der nicht relevanten Freiheitsgrade (73).
III.5 Fluktuierende Kräfte
Der dritte Term in der Bewegungsgleichung (88) sind die fluktuierenden Kräfte , definiert in (73). Wir dürfen hier ebenfalls den Zeitentwicklungsoperator in der symmetrischen Form (83) verwenden. Es folgt dann
(114) |
mit definiert in (84). Folgen wir den Überlegungen von (97), (110) und (111), so finden wir Nebenbedingungen für die fluktuierenden Kräfte ähnlich wie für die Gedächtnismatrix. Wir finden Nebenbedingungen für die Energie
(115) |
für den Impuls
(116) |
und für die Teilchenzahl
(117) |
Wir finden jedoch keine solche Nebenbedingung für die Entropie . Wählt man für die Anfangsbedingung einen reinen Quantenzustand , so kann man erwarten, dass die fluktuierenden Kräfte auf kurzen Längenskalen und kurzen Zeitskalen variieren. Wählt man andererseits eine relevante Dichtematrix als Anfangsbedingung , welche definiert ist in (26), so sind die fluktuierenden Kräfte immer null.
III.6 Kontinuitätsgleichungen
In unseren bisherigen Überlegungen und Betrachtungen sind die quantenmechanischen Operatoren , welche die relevanten Variablen in Form von irgendwelchen Dichten darstellen, nicht weiter spezifiziert worden. Da wir am Ende eine normale Flüssigkeit betrachten, handelt es sich in unserem Fall speziell um Dichten von Erhaltungsgrößen. Das Noether-Theorem liefert explizite Ausdrücke nicht nur für die Dichten sondern auch für die zugehörigen Stromdichten , so dass auf der Ebene der quantenmechanischen Operatoren die Kontinuitätsgleichung
(118) |
gilt, wobei die Differentialoperatoren für die räumlichen Ableitungen sind. Die quantenmechanischen Operatoren sind hier vorübergehend im Heisenberg-Bild definiert und hängen explizit von der Zeit ab. Daher gilt für die Dichten auch die Heisenberg-Bewegungsgleichung
(119) |
Durch Vergleich der beiden Gleichungen (118) und (119) finden wir im Heisenberg-Bild
(120) |
Entsprechend finden wir im Schrödinger-Bild
(121) |
Der Liouville-Operator bildet also die relevanten Variablen in räumliche Divergenzen von Stromdichten ab.
Die Erwartungswerte der relevanten Variablen werden durch die Formel (20) mit der exakten Dichtematrix gebildet. Entsprechend definieren wir die Erwartungswerte der Stromdichten durch die Formel
(122) |
Aus der Kontinuitätsgleichung für die quantenmechanischen Operatoren folgt dann die entsprechende Kontinuitätsgleichung für die Erwartungswerte
(123) |
Weiter oben in Kapitel III.2 haben wir mit den Projektionsoperatoren die Bewegungsgleichung für die relevanten Variablen (69) hergeleitet. Diese hat drei Terme auf der rechten Seite, einen reversiblen, einen dissipativen und einen fluktuierenden. In jedem dieser drei Terme finden wir den Ausdruck , welchen wir mit (121) umformen. Auf diese Weise lässt sich die Bewegungsgleichung für die relevanten Variablen in der Form der Kontinuitätsgleichung (123) schreiben mit den Stromdichten
(124) | |||||
Die Stromdichten haben offensichtlich ebenfalls drei Terme, einen reversiblen, einen dissipativen und einen fluktuierenden.
Da die Bewegungsgleichung in der GENERIC-Form (88) eine äquivalente Darstellung ist, muss sich diese auch in der Form der Kontinuitätsgleichung (123) schreiben lassen. Für den ersten Term auf der rechten Seite prüfen wir das später in Kapitel IV.3 explizit nach, in dem wir für eine normale Flüssigkeit die Poisson-Klammern der relevanten Variablen und somit die Poisson-Matrix explizit berechnen. Für den zweiten Term müssen wir die Gedächtnismatrix genauer untersuchen. Diese ist in der Formel (85) mit dem Mori-Skalarprodukt definiert. Wir finden hier den Ausdruck gleich zweimal. Ersetzen wir diesen durch die Divergenz der Stromdichten gemäß (121), so finden wir die Darstellung
(125) |
mit zwei räumlichen Differentialoperatoren , und der neuen Gedächtnismatrix mit den Stromdichten
(126) |
Setzen wir nun die Gedächtnismatrix (125) in die Bewegungsgleichung in GENERIC-Form (88) ein, so finden wir, dass sich auch der zweite Term in Form einer Divergenz einer Stromdichte schreiben lässt. Die Gedächtnismatrix in der Form (125) werden wir später in Kapitel IV.4 als Ausgangspunkt für unsere Näherungen verwenden.
Zum Schluss betrachten wir die fluktuierenden Kräfte , welche in (73) oder äquivalent in (114) definiert werden. Diese stellen den dritten Term in der Bewegungsgleichung (88) dar. Wir finden hier wieder den Ausdruck und ersetzen diesen durch die Divergenz der Stromdichten gemäß (121). Dann finden wir die fluktuierenden Kräfte in der Form
(127) |
mit den fluktuierenden Stromdichten
(128) |
Die Darstellung der fluktuierenden Kräfte (127) durch Divergenzen von fluktuierenden Stromdichten werden wir später in Kapitel IV.5 verwenden.
III.7 Allgemeine Bewegungsgleichungen für Entropie, Energie und die Erhaltungsgrößen
Aus der Bewegungsgleichung für die Erwartungswerte der relevanten Variablen können wir Bewegungsgleichungen für die Entropie , die Energie und die weiteren Erhaltungsgrößen wie Impuls und Teilchenzahl herleiten. Wir beginnen mit der Entropie und erhalten
(129) | |||||
Für das zweite Gleichheitszeichen haben wir die Bewegungsgleichungen in der GENERIC-Form (88) verwendet. Die Nebenbedingung für die Entropie (96) in der adjungierten Form bewirkt, dass der erste Term mit den direkten Kopplungen an die relevanten Variablen weg fällt. Die Entropie-Gleichung vereinfacht sich also auf
(130) |
Der quadratische Term mit der Gedächtnismatrix ist ein Hinweis auf den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, welcher besagt, dass die Entropie mit der Zeit immer anwächst oder zumindest konstant bleibt. Wenn die Gedächtnismatrix (85) symmetrisch und positiv definit wäre, dann wäre dieser Term immer positiv. Da wir jedoch bisher keine Näherung durchgeführt haben, ist die Zeitumkehrinvarianz der zugrunde liegenden mikroskopischen Quantentheorie nicht gebrochen, so dass der zweite Hauptsatz der Thermodynamik hier nicht gelten kann.
Wir fahren fort mit der Energie und erhalten
(131) | |||||
Der erste Term auf der rechten Seite ist null, weil die Possion-Matrix antisymmetrisch ist gemäß (93). Der zweite Term ist null wegen der Nebenbedingung für die Energie (99) in der adjungierten Form. Der dritte Term ist null wegen der Nebenbedingung (115). Alle Terme auf der rechten Seite sind also null. Folglich ist die Energie zeitlich konstant, wie es für eine Erhaltungsgröße zu erwarten ist.
Für die weiteren Erhaltungsgrößen Impuls und Teilchenzahl liefern die Nebenbedingungen analoge Ergebnisse. Eine Ausnahme ist der erste Term in der Gleichung für den Impuls. Wegen der Nebenbedingung (108) ist nicht unmittelbar klar, dass dieser Term null ist. Wir finden
(132) |
Der Term ist dennoch null, weil die Energie symmetrisch unter räumlichen Translationen ist. Dieses Argument gilt ganz allgemein, weil Erhaltungsgrößen immer mit Symmetrie-Eigenschaften verbunden sind. Man kann also allgemein zeigen, dass der erste Term immer null ergibt, auch wenn die zugehörige Nebenbedingung zunächst etwas von null Verschiedenes liefert. Fassen wir nochmals zusammen, wo finden wir die Bewegungsgleichungen für die Energie, den Impuls und die Teilchenzahl
(133) |
wie man sie für Erhaltungsgrößen erwartet.
III.8 Thermisches Gleichgewicht
Die Bewegungsgleichungen für die relevanten Veriablen (88) kann man umschreiben in die Form
(134) | |||||
mit dem großkanonischen thermodynamischen Potential
(135) |
Die Äquivalenz zwischen (134) und der GENERIC-Form (88) folgt aus den Nebenbedingungen. Vom ersten Term spaltet sich ein Term mit der Geschwindigkeit ab, weil die rechte Seite der Nebenbedingung (108) nicht null ist.
Im thermischen Gleichgewicht wird die Entropie maximal unter den Nebenbedingungen, dass die Energie , der Impuls und die Teilchenzahl fest Werte annehmen. Unter der Verwendung der geeigneten Lagrange-Parameter Temperatur , Geschwindigkeit und chemisches Potential führt das auf die notwendige Bedingung für das großkanonische thermodynamische Potential
(136) |
Zwei der Terme in (134) sind somit null. Nehmen wir als Anfangsbedingung eine relevante Dichtematrix , welche definiert ist in (26), so sind auch die fluktuierenden Kräfte null. Es verbleibt dann nur noch der allererste Term, und die Bewegungsgleichungen vereinfachen sich auf
(137) |
Die allgemeine Lösung dieser Gleichung lautet
(138) |
wobei zunächst eine beliebige Funktion ist. Letztere wird jedoch festgelegt durch die notwendige Bedingung (136) für die Maximierung der Entropie unter den Nebenbedingungen. Im einfachsten Fall ist eine Konstante. Dann ist das physikalische System räumlich homogen, wie man es von einer normalen Flüssigkeit im thermischen Gleichgewicht erwartet.
Falls dennoch räumliche Inhomogenitäten vorhanden sind, so zeigt die Lösung (138), dass diese sich mit einer konstanten Geschwindigkeit im Raum bewegen. Wir kommen so dem tieferen Sinn der rechten Seite der Nebenbedingungen wie (108) näher. Die Erhaltungsgröße hängt mit einer Symmetrietransformation zusammen und erzeugt diese über den Kommutator (107). Die Lösung bewegt sich dann entlang der Symmetrietransformation gleichförmig mit einer konstanten Geschwindigkeit.
III.9 Poisson-Klammern
Dzyaloshinskii und Volovik DV80 haben einen eleganten Weg vorgestellt, wie man die reversiblen Anteile der hydrodynamischen Gleichungen mit Poisson-Klammern herleiten kann. Wir wollen hier zeigen, dass im GENERIC-Formalismus der erste Term auf der rechten Seite der Bewegungsgleichung (88) genau diese Form hat. Mit der antisymmetrischen Poisson-Matrix (92) können wir für zwei beliebige Funktionale und eine Poisson-Klammer definieren durch
(139) |
Setzen wir hier und ein, so bekommen wir mit
(140) |
exakt den ersten Term auf der rechten Seite von (88). Somit lässt sich der reversible Anteil der hydrodynamischen Gleichungen in der Form
(141) |
schreiben. Dieses Ergebnis stimmt genau mit der Formulierung von Dzyaloshinskii und Volovik DV80 überein.
Die Nebenbedingungen, welche mit der Poisson-Matrix (92) formuliert werden, lassen sich ebenfalls durch Poisson-Klammern darstellen. Setzen wir ein, so erhalten wir aus (95) die Nebenbedingung für die Entropie
(142) |
Setzen wir weiterhin und ein, so bekommen wir aus (108) und (109) die Nebenbedingungen für die Erhaltungsgrößen
(143) | |||||
(144) |
Diese Poisson-Klammern korrespondieren zu den quantenmechanischen Kommutatoren (107). Die rechten Seiten sind im allgemeinen nicht null, weil die Erhaltungsgrößen mit Symmetrie-Transformationen zusammenhängen und diese im Sinne der Lie-Gruppen erzeugen.
Setzen wir nun für die Energie ein, so erhalten wir die Poisson-Klammern
(145) | |||||
(146) | |||||
(147) |
Die rechten Seiten sind hier immer null, weil die Energie symmetrisch unter den Transformationen ist. Für (146) können wir das explizit nachprüfen analog zu (132). Die korrespondierenden Kommutatoren legen andererseits nahe, dass die rechten Seiten von (146) und (147) null sein müssen, weil und Erhaltungsgrößen sind. Das großkanonische thermodynamische Potential ist in (135) als Linearkombination der Energie , der Entropie und der Erhaltungsgrößen und dargestellt. Folglich gilt ebenso
(148) |
Diese Gleichung werden wir später in Kapitel VI verwenden.
Die elementaren Poisson-Klammern bekommen wir, in dem wir und in die allgemeine Poisson-Klammer (139) einsetzen. Verwenden wir weiterhin die Poisson-Matrix (92), so bekommen wir
(149) | |||||
Die elementaren Poisson-Klammern der relevanten Erwartungswerte lassen sich folglich berechnen aus den Erwartungswerten der Kommutatoren der relevanten Variablen, wobei wie üblich in der Quantentheorie ein Faktor hinzugefügt wird. Wir bemerken jedoch, dass eine Jacobi-Identitiät mit den Poisson-Klammern für die relevanten Erwartungswerte im allgemeinen nicht gilt. Wegen der Erwartungswert-Bildung mit der Spur und der relevanten Dichtematrix in (149) überträgt sich die Jacobi-Identität mit den Kommutatoren im allgemeinen nicht auf eine Jacobi-Identität mit den entsprechenden Poisson-Klammern.
IV Hydrodynamik
Bisher sind keine Näherungen durchgeführt worden. Alle Gleichungen von Kapitel III gelten exakt. Es wurde lediglich mit (26) eine relevante Dichtematrix definiert, welche die Entropie unter gewissen Nebenbedingungen maximiert. Diese kann man natürlich als Näherung für die exakte Dichtematrix betrachten. Die relevante Dichtematrix wird jedoch nicht als Näherung verwendet, sondern zur Definition der Entropie (21) und zur Definition von zwei Projektionsoperatoren (44) und (50), welche eine Aufteilung der physikalischen Variablen in relevante und restliche irrelevante erlaubt. Das exakte Ergebnis waren die Bewegungsgleichungen für die Erwartungswerte der relevanten Variablen (88) zusammen mit einigen Nebenbedingungen. Die Aufteilung der Variablen liefert auf der rechten Seite drei Terme: den ersten Term für die direkten Kopplungen der relevanten Variablen, den zweiten Term für die indirekte Kopplung über die restlichen irrelevanten Variablen mit Gedächtniseffekten und den dritten Term für die verbleibenden fluktuierenden Kräfte durch die restlichen irrelevanten Variablen. Im Folgenden wollen wir zeigen, dass man aus den Bewegungsgleichungen (88) mit ein paar wenigen Annahmen und Näherungen die hydrodynamischen Gleichungen für eine normale Flüssigkeit erhält.
IV.1 Hydrodynamische Näherung
In der Hydrodynamik werden Eigenschaften von normalen Flüssigkeiten untersucht, die auf großen Längenskalen und großen Zeitskalen stattfinden. Die mikroskopische Struktur der Flüssigkeit im einzelnen hat keinen Einfluss. Aus welchen Atomen oder Molekülen die Flüssigkeit besteht und wie sich diese bewegen spielt im Detail keine Rolle. Folglich werden sich die Variablen der Theorie, die Erwartungswerte und die Lagrange-Parameter , nur langsam mit der Ortsvariable und langsam mit der Zeit verändern. Gradienten dieser Variablen werden zunächst vernachlässigt. Man nimmt daher näherungsweise an, dass sich die Flüssigkeit lokal in einem thermischen Gleichgewicht befindet GM62 . Das bedeutet, dass sich die relevante Dichtematrix (26) nicht so stark von der großkanonischen Boltzmann-Verteilung (30) unterscheiden sollte.
Wir haben mit (80) gezeigt, dass im thermischen Gleichgewicht der Liouville-Operator selbstadjungiert oder hermitesch ist, weil der Hamilton-Operator mit der Boltzmann-Verteilung vertauscht gemäß . In der Hydrodynamik befindet sich die Flüssigkeit in einem Nichtgleichgewichtszustand. Dieser Zustand ist jedoch lokal nicht so weit vom Gleichgewicht entfernt. Man spricht hier von einem lokalen thermischen Gleichgewicht. Wir können daher näherungsweise annehmen, dass die relevante Dichtematrix mit dem Hamilton-Operator vertauscht gemäß . Dann ist nach (80) auch der Liouville-Operator näherungsweise selbstadjungiert oder hermitesch, und es gilt
(150) |
In Folge lassen sich die Frequenzmatrix (81) und die Gedächtnismatrix (85) mit dem Mori-Skalarprodukt auch für das Nichtgleichgewicht näherungsweise in symmetrischer Form schreiben, wie die Formeln (86) und (87) für das thermische Gleichgewicht. Wir erhalten also näherungsweise die Frequenzmatrix
(151) |
und die Gedächtnismatrix
(152) |
Wir haben hier wieder das Mori-Skalarprodukt mit zwei senkrechten Strichen in der Mitte geschrieben, um jeweils den Operator hervorzuheben, den man im Mori-Skalarprodukt durch Adjungieren entweder nach vorne oder nach hinten stellen kann. Die Frequenzmatrix ist somit näherungsweise antisymmetrisch
(153) |
und die Gedächtnismatrix ist näherungsweise symmetrisch
(154) |
Die Poisson-Matrix vom GENERIC-Formalismus (92) ist bereits im Nichtgleichgewicht antisymmetrisch gemäß (93). Hier brauchen wir keine Näherung durchführen.
Entscheidend für den Erfolg der hydrodynamischen Näherung ist die richtige Auswahl der relevanten Variablen. Man muss hier eine Trennung der räumlichen und zeitlichen Skalen erreichen. Das bedeutet, mit der Auswahl muss man alle räumlich und zeitlich langsamen Variablen erwischen, so dass die restlichen irrelevanten Variablen alle räumlich und zeitlich schnell variieren. Für die Bewegungsgleichung (88) hat dies zur Folge, dass Gedächtniseffekte im zweiten Term vernachlässigbar werden und die fluktuierenden Kräfte im dritten Term auf kurzen Längenskalen und Zeitskalen variieren.
Konstante Variablen einer normalen Flüssigkeit sind die Erhaltungsgrößen Energie , Impuls und Teilchenzahl . Die Operatoren hierfür sind in (89), (102) und (103) als Linearkombinationen der relevanten Variablen dargestellt. Als langsame relevante Variablen sind daher die Dichten dieser Erhaltungsgrößen geeignet. Wir wählen die Massendichte, die Impulsdichte und die Energiedichte definiert durch die Linearkombinationen
(155) | |||||
(156) | |||||
(157) |
wobei , und die entsprechenden Koeffizienten sind. Anstelle der Teilchendichte verwendet man in der Hydrodynmik üblicherweise die Massendichte . Der Unterschied ist ein Faktor für die Masse eines Teilchens. Beachten wir, dass die Impulsdichte drei räumliche Komponenten hat, so stellen wir fest, dass die relevanten Variablen einer normalen Flüssigkeit aus genau fünf verschiedenen Dichten bestehen. Da die lineare Abbildung in (155)-(157) umkehrbar eindeutig sein muss, kann der Index genau fünf Werte annehmen.
Wir vernachlässigen Gedächtniseffekte, indem wir die Gedächtnismatrix mit einer Delta-Funktion in der Zeit schreiben gemäß
(158) |
Der Faktor ist erforderlich, weil die Zeit-Integration in den Gedächtnistermen der Bewegungsgleichungen immer nur über das halbe Intervall der Delta-Funktion reicht. Die Matrix , welche auf der rechten Seite von (158) definiert wird, bezeichnet man als Onsager-Matrix. Wegen (154) ist sie symmetrisch. Die Poisson-Matrix , welche in (92) definiert ist, ist dagegen antisymmetrisch. Es gelten also die zwei Symmetriebedingungen
(159) | |||||
(160) |
Setzen wir nun die Gedächtnismatrix (158) in die Bewegungsgleichung des GENERIC-Formalismus (88) ein und führen die Integration über die Zeit aus, so vereinfacht sich diese Gleichung auf
(161) | |||||
Ebenso vereinfacht sich die Entropie-Gleichung (130), und wir erhalten
(162) |
Die wichtigsten Nebenbedingungen des GENERIC-Formalismus vereinfachen sich auf
(163) | |||||
(164) |
Die weiteren Nebenbedingungen für die Erhaltungsgrößen Impuls und Teilchenzahl vereinfachen sich entsprechend. Für den Impuls erhalten wir
(165) | |||||
(166) |
und für die Teilchenzahl
(167) | |||||
(168) |
Entsprechende Nebenbedingungen gelten auch für die fluktuierenden Kräfte .
Die Gleichungen (161)-(168) zusammen mit den Symmetriebedingungen (159) und (160) wurden ursprünglich von Grmela und Öttinger GO97A ; GO97B ; Ot05 aufgestellt und aus den mikroskopischen Theorien für klassische Flüssigkeiten und Quantenflüssigkeiten hergeleitet. In ihrer Gesamtheit definieren sie den GENERIC-Formalismus. In ihrer ursprünglichen Form enthalten sie keine Gedächtniseffekte. Unsere Gleichungen in Kapitel III dagegen wurden ohne irgendeine Näherung hergeleitet und beinhalten somit alle Gedächtniseffekte. Folglich sind die Bewegungsgleichungen und Nebenbedingungen in Kapitel III eine Erweiterung des GENERIC-Formalismus, welche Gedächtniseffekte mit einschließt.
Die Onsager-Matrix ist im allgemeinen positiv semidefinit. Das bedeutet, ihre Eigenwerte sind entweder positiv oder null. Für die Entropiegleichung (162) hat dies die Folge, dass der quadratische Term immer einen Beitrag größer oder gleich null liefert. Wenn wir die Fluktuationen im zweiten Term weglassen, dann wächst die Entropie monoton mit der Zeit an. Folglich gilt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik und die Invarianz unter Zeitumkehr wird gebrochen. In Kapitel V stellen wir jedoch fest, dass der zweite fluktuierende Term auch negative Beiträge zur Entropie liefert und somit die Zeitumkehrinvarianz wieder herstellt.
IV.2 Reaktive Beiträge
In der exakten Theorie hat die Gedächtnismatrix ursprünglich zwei Arten von Beiträgen, nämlich reaktive und dissipative. Die erste Art von Beiträgen ist reversibel in der Zeit. Jedoch, wenn wir mit der Formel (158) die Näherung durchführen und Gedächtniseffekte vernachlässigen, dann fallen die reaktiven Terme weg, und nur die dissipativen Terme verbleiben. Folglich ist der zweite Term in der GENERIC-Bewegungsgleichung (161) rein dissipativ, denn die Onsager-Matrix ist symmetrisch gemäß (160) und positiv definit. Andererseits gibt es komplexere Flüssigkeiten, in denen reaktive Terme vorhanden sind und für die Eigenschaften auf großen Zeitskalen und großen Wellenlängen eine wichtige Rolle spielen. Solche reaktiven Terme wurden zum ersten Mal von Forster Fo74a ; Fo74b ; Fo75 für nematische Flüssigkristalle hergeleitet und untersucht.
Wir können reaktive Terme in unserer Theorie berücksichtigen, indem wir für die Gedächtnismatrix die Näherungsformel
(169) | |||||
verwenden. Der erste Term ist hier neu und enthält die reaktiven Beiträge. Die Vorzeichenfunktion wird definiert durch für und bewirkt, dass der erste Term unterschiedliche Vorzeichen für und hat. Die Stärke des reaktiven Terms wird durch die reaktive Matrix beschrieben. Damit die Gedächtnismatrix die Symmetrie-Bedingung (154) erfüllt, muss die reaktive Matrix antisymmetrisch sein gemäß
(170) |
Andererseits beschreibt der zweite Term von (169) die dissipativen Beiträge und hat dieselben Eigenschaften wie zuvor. Setzen wir nun die Gedächtnismatrix (169) in die Bewegungsgleichung des GENERIC-Formalismus (88) ein und führen die Integration über die Zeit aus, so erhalten wir eine Gleichung ähnlich wie (161). Jedoch wird im zweiten Term die Onsager-Matrix ersetzt durch die Summe der Matrizen . Auf diese Weise wird die ursprüngliche Bewegungsgleichung des GENERIC-Formalismus GO97A ; GO97B erweitert um einen zusätzlichen reaktiven Term.
Später in Abschnitt IV.5 werden wir zeigen, dass die fluktuierenden Kräfte in der Bewegungsgleichung stochastisch und gaußisch sind, wobei die Korrelationen durch die Gedächtnismatrix beschrieben werden. Wenn wir die einfache Näherungsformel verwenden, dann stellt es sich heraus, dass die GENERIC-Bewegungsgleichung (161) als Langevin-Gleichung einer stochastischen Theorie interpretiert werden kann. Das werden wir in Kapitel VI zeigen. Andererseits, wenn wir die komplexere Näherungsformel verwenden, dann stellt es sich heraus, dass die reaktiven Terme mit der Vorzeichenfunktion nicht kompatibel zu einer gewöhnlichen stochastischen Theorie sind. Aus diesem Grunde betrachten wie in dieser Arbeit nur gewöhnliche einfache Flüssigkeiten, welche durch die Gedächtnismatrix (158) beschrieben werden, in der die reaktiven Terme näherungsweise null sind und nur die dissipativen Terme berücksichtigt werden. Dennoch ist es für zukünftige Arbeiten interessant, den GENERIC-Formalismus zu erweitern, um auch reaktive Terme zu berücksichtigen. Damit lassen sich dann komplexerer Flüssigkeiten beschreiben wie die nematischen Flüssigkristalle, welche von Forster untersucht wurden Fo74a ; Fo74b ; Fo75 .
IV.3 Hydrodynamische Gleichungen für eine normale Flüssigkeit ohne Dissipation
Nachdem wir die hydrodynamischen Gleichungen mit (161) in ihrer allgemeinen Form hergeleitet haben, wollen wir nun ihre spezielle Form für eine normale Flüssigkeit finden. Die relevanten Variablen , und haben wir bereits mit (155)-(157) ausgewählt. Zunächst vernachlässigen wir die Effekte der Dissipation und der Fluktutionen und betrachten nur den ersten Term auf der rechten Seite von (161). Daher berechnen wir im Folgenden die elementaren Poisson-Klammern und die Poisson-Matrix (149). Dazu müssen wir die Kommutatoren der relevanten Variablen berechnen und dann die Erwartungswerte bilden. Für eine erste einfache Berechnung betrachten wir zunächst ein nichtrelativistisches Vielteilchensystem mit nur einer Teilchensorte und ohne Wechselwirkung in zweiter Quantisierung und erhalten damit Ergebnisse für die Poisson-Klammern, welche schon die richtige Form haben. Später erweitern wir auf mehrere Teilchensorten, fügen die Wechselwirkung mit einem lokalen Feld wie z.B. dem elektromagnetischen Feld hinzu und argumentieren, dass sich dadurch an den Ergebnissen nichts mehr ändert. Es seien also und die Feldoperatoren von Bosonen oder Fermionen, und die zugehörigen Kommutatoren oder Antikommutatoren seien definiert durch
(171) | |||||
(172) | |||||
(173) |
Die relevanten Variablen schreiben wir dann in der Form
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(175) | |||||
(176) |
Weiterhin benötigen wir den Spannungstensor und die Energiestromdichte , definiert durch
(177) | |||||
(178) |
Wir berechnen zuerst die Kommutatoren der relevanten Varablen (174)-(176) in allen Kombinationen mit Hilfe der elementaren Kommutatoren oder Antikommutatoren (171)-(173). Es ist hierbei unerheblich, ob die Teilchen Bosonen oder Fermionen sind. Die Ergebnisse sind die gleichen. Wir berechnen danach die Erwartungswerte gemäß (149), multiplizieren mit einem Faktor und erhalten dann die elementaren Poisson-Klammern
(179) | |||||
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(182) | |||||
(183) | |||||
(184) |
Die physikalischen Größen auf den rechten Seiten sind alle Erwartungswerte der Operatoren. Wir verwenden hier die gleiche Notation und nehmen an, dass aus dem Kontext klar wird, was gemeint ist. Die räumlichen Differentialoperatoren und wirken auf alle Ortsvariablen , die rechts von ihnen stehen, auch auf die Ortsvariable in der Delta-Funktion. Eine Ausnahme ist der letzte Term in (183). Hier wird ein Differentialoperator explizit durch runde Klammern auf die nachfolgende Dichte beschränkt. Dieser Term hat einen expliziten Faktor und ist somit eine Quantenkorrektur. Folglich dürfen wir für eine klassische Flüssigkeit den letzten Term in (183) weglassen.
Nachdem wir die Poisson-Klammern (179)-(184) für ein nichtrelativistisches Vielteilchensystem mit nur einer Teilchensorte und ohne Wechselwirkung berechnet haben, stellen wir fest, dass sie sehr robust sind und sich nicht ändern, wenn allgemeinere und komplexere mikroskopische Theorien mit mehreren Teilchensorten und mit Wechselwirkungen betrachtet werden. Mehrere Teilchensorten werden berücksichtigt, in dem man den Feldoperatoren und einen Index hinzufügt, welcher die Teilchensorte abzählt. Die elementaren Vertauschungsregeln für diese Feldoperatoren (171)-(173) werden entsprechend erweitert. Nachdem man analoge Berechnungen durchgeführt hat, erhält man unverändert dieselben Poisson-Klammern (179)-(184).
In einem nächsten Schritt betrachten wir die Beiträge für das elektromagnetische Feld, zunächst ohne eine Wechselwirkung mit den Teilchen. Wir fügen zu der Energiedichte des Vielteilchensystems (176) den Standard-Ausdruck für die Energiedichte des elektromagnetischen Feldes hinzu. Analog fügen wir zu der Energiestromdichte des Vielteilchensystems (178) die Energiestromdichte des elektromagnetischen Feldes, also den Poynting-Vektor, hinzu. Weiterhin wird der Poynting-Vektor geteilt durch zu der Impulsdichte (175) und der Maxwellsche Spannungstensor zu der Impulsstromdichte (177) hinzu addiert. Anschließend werden die Poisson-Klammern erneut berechnet, in dem zusätzlich die Quanten-Kommutatoren für das elektrische und das magnetische Feld verwendet werden, welche wohl bekannt aus der Quantenelektrodynamik sind. Als Ergebnis erhalten wir wieder die Poisson-Klammern (179)-(184) ohne irgend eine Änderung.
In einem weiteren Schritt geben wir den Teilchen eine Ladung und ein magnetisches Moment , um Wechselwirkungen zwischen den Teilchen und dem elektromagnetischen Feld zu berücksichtigen. Entsprechend fügen wir Wechselwirkungs-Beiträge zu den Dichten und den Stromdichten (174)-(178) hinzu. Als Ergebnis finden wir, dass die Poisson-Klammern auch durch diese zusätzlichen Beiträgen nicht verändert werden. Wir stellen fest: Mit den bisher betrachteten Beiträgen lässt sich die Materie durch ein ziemlich fundamentales mikroskopisches Modell beschreiben, in dem die Teilchen mit den Atomkernen und den umgebenden Elektronen identifiziert werden, welche alle mit dem elektromagnetische Feld wechselwirken.
Als mikroskopisches Modell für die Teilchen und ihre Wechselwirkungen kann allgemeiner eine relativistische Quantenfeldtheorie betrachtet werden, welche auf Klein-Gordon-Feldern und Dirac-Feldern basiert. Die elektromagnetischen Felder für die Wechselwirkungen können allgemeiner ersetzt werden durch die nichtabelschen Eichfelder für die elektroschwache und die starke Wechselwirkung. Auf diese Weise ist es möglich, die Poisson-Klammern (179)-(184) sogar für die fundamentalste Theorie der Materie, das Standard-Modell der Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen S13 zu beweisen.
Wir schließen aus unseren Überlegungen, dass die Poisson-Klammern (179)-(184) sehr allgemein sind und für alle mikroskopischen Modelle der Materie gelten sollten, die eine normal Flüssigkeit beschreiben. Sie sind gültig für relativistische und nichtrelativistische Modelle, für klassische Theorien und Quantentheorien. Allerdings sind die Berechnungen, um die Poisson-Klammern für ein spezielles mikroskopisches Modell zu beweisen, meistens ziemlich kompliziert und aufwendig.
Die Poisson-Klammern wurde ursprünglich von Dzyaloshinskii und Volovik DV80 verwendet, um die reversiblen Terme in den hydrodynamischen Gleichungen herzuleiten. Diese Autoren verwendeten Symmetrieargumente um die Poisson-Klammern zu bestimmen. Allerdings betrachteten Sie die Entropiedichte anstelle der Energiedichte . Dennoch stimmen ihre Poisson-Klammern mit unseren überein, wie wir weiter unten zeigen werden.
Alternativ können die hydrodynamischen Gleichungen durch ein Variationsprinzip mit einer Lagrange-Funktion und phänomenologischen Variablen formuliert werden. Eine zugehörige Hamilton-Funktion kann man herleiten, welche die Poisson-Klammern für die hydrodynamischen Variablen liefert. Auf diese Wiese haben Enz und Turski ET79 zuerst die drei Poisson-Klammern (179)-(181) für die Massendichte und die Impulsdichte erhalten. Van Saarloos et al. SBM81 fanden die letzteren drei Poisson-Klammern (182)-(184) mit der Energiedichte . Im Ergebnis stellen wir fest: Die Poisson-Klammern für die hydrodynamischen Variablen einer normalen Flüssigkeit sind seit langer Zeit bekannt. Es gibt eine allgemeine Übereinstimmung darüber, wie sie aussehen sollen.
Wir setzen nun unsere Berechnungen fort. Die Erwartungswerte der Operatoren (175)-(178) kann man für eine klassischen Flüssigkeit einfach ausrechnen. Wir erhalten
(185) | |||||
(186) | |||||
(187) | |||||
(188) |
Hierbei ist die aus der Thermodynamik bekannte innere Energiedichte, der Druck und das Geschwindigkeitsfeld. Die spezielle Form dieser physikalischen Größen mit dem Geschwindigkeitsfeld gibt die Galilei-Invarianz einer normalen Flüssigkeit wieder.
Die Formel (186) zeigt, dass sich die Energiedichte in zwei Anteile aufspaltet, die innere Energiedichte und einen kinetischen Anteil. Dieser Zusammenhang bietet nun die Möglichkeit, aus (182)-(184) auch die entsprechenden elementaren Poisson-Klammern für die innere Energiedichte herzuleiten. Wir finden
(189) | |||||
(190) | |||||
(191) |
Die neuen Poisson-Klammern für die innere Energiedichte haben offensichtlich eine deutlich einfachere Struktur als jene für die gesamte Energiedichte , weil sie nicht vom Geschwindigkeitsfeld abhängen dürfen.
Die Entropie ist nach der Definition (18) oder (21) eine globale Größe. In der Hydrodynamik wird jedoch auf lokaler Ebene ein thermisches Gleichgewicht angenommen. Daher sollte die Entropie auch lokal als Entropiedichte existieren, so dass die globale Entropie gegeben ist durch das Integral . Es wird eine lokale Differentialgleichung für die Entropiedichte geben, die einer Kontinuitätsgleichung ähnlich ist, jedoch mit einer Erweiterung. Auf der rechten Seite wird ein Quellterm stehen mit Beiträgen von der Dissipation und den Fluktuationen, der eine ähnliche Struktur hat wie die Terme auf der rechten Seite der globalen Entropiegleichung (162). Um die reversiblen Anteile der lokalen Entropiegleichung zu finden, benötigen wir die Poisson-Klammern mit der Entropiedicht . Diese werden wir im folgenden herleiten.
Aus der Thermodynamik ist bekannt, dass die innere Energiedichte von der Entropiedichte und der Massendichte abhängt. Es gilt der lokale Zusammenhang
(192) |
und die thermodynamische Relation
(193) |
Hierbei sind die Temperatur und das chemische Potential. Aus letzterer Gleichung lässt sich ein Zusammenhang für die Poisson-Klammern herleiten, und zwar
Für kann jede beliebige unserer relevanten Variablen eingesetzt werden. Wir finden nun, dass die elementaren Poisson-Klammern mit der Entropie-Dichte definiert werden durch
(195) | |||||
(196) | |||||
(197) |
Mit Hilfe von (LABEL:equation::D_450) kann man zeigen, dass diese Poisson-Klammern für die Entropiedichte kompatibel sind mit jenen für die innere Energiedichte und die Massendichte .
Die Poisson-Klammern für die verschiedenen relevanten Variablen sind nun komplett. Wir stellen fest, dass sie mit jenen von Dzyaloshinskii und Volovik DV80 übereinstimmen. Die reversiblen Anteile der hydrodynamischen Gleichungen (141) lassen sich daher schreiben in der Form
(198) |
Da wir alle erforderlichen elementaren Poisson-Klammern gefunden haben, können wir die Energie als Funktional in den natürlichen Variablen Entropiedichte , Impulsdichte und Massendichte verwenden. Die zugehörigen Funktional-Ableitungen sind
(199) | |||||
(200) | |||||
(201) |
Setzten wir nun in (198) für alle unsere relevanten Variablen ein, so erhalten wir die hydrodynamischen Gleichungen
(202) | |||||
(203) | |||||
(204) | |||||
(205) |
Die ersten drei Gleichungen bekommt man durch Verwendung der Poisson-Klammern (179)-(181) und (195)-(197) zusammen mit den Funktional-Ableitungen (199)-(201). Die vierte Gleichung für die Energiedichte folgt direkt aus der Poisson-Klammer (184). Die Stromdichten auf der rechten Seite sind gegeben durch die Formeln (185), (187) und (188). Zusätzlich finden wir die Entropiestromdichte
(206) |
Die hydrodynamischen Gleichungen (202)-(205) wurden hier für eine ideale Flüssigkeit hergeleitet. Sie sind jedoch in dieser Form unverändert gültig auch für eine reale Flüssigkeit, wenn die Effekte von Dissipation und Fluktuationen hinzugefügt werden. Die erforderlichen Änderungen treten in den Stromdichten in Form von zusätzlichen Beiträgen auf, wie wir in den nachfolgenden Abschnitten sehen werden.
Auf der rechten Seite der Entropie-Gleichung (204) haben wir für spätere Betrachtungen einen Quellterm hinzugefügt. Dieser ist hier jedoch null, und wir haben
(207) |
Die hydrodynamischen Gleichungen (202)-(205) für unsere normale Flüssigkeit haben die aus elementaren Lehrbüchern bekannte Form LL06 . Sie enthalten bisher jedoch nur die reversiblen Terme. Effekte von Dissipation und Fluktuation wurden bisher nicht berücksichtigt.
IV.4 Hydrodynamische Gleichungen für eine normale Flüssigkeit mit Dissipation
Nun fügen wir die Terme der Dissipation hinzu, lassen die Fluktuationen jedoch noch weg. Die Effekte der Dissipation sind im zweiten Term der hydrodynamischen Gleichungen (161) enthalten. Ihre Stärke wird beschrieben durch die Onsager-Matrix . In der Hydrodynamik werden nur Phänomene auf großen Längenskalen betrachtet. Daher approximieren wir die räumliche Struktur durch eine Delta-Funktion. Die relevanten Variablen, die wir betrachten, sind alles Dichten von Erhaltungsgrößen. Aus diesem Grunde fügen wir noch zwei räumliche Differentialoperatoren ein. Wir machen also für die Onsager-Matrix den Ansatz
(208) |
Wir motivieren die zwei räumlichen Differentialoperatoren mit der Darstellung der Gedächtnismatrix in der Form (125) zusammen mit (126). Der Ansatz ist lokal. Folglich hängt die Marix lokal von den relevanten Variablen ab. Setzen wir dies in (161) ein, so bekommen wir die hydrodynamischen Gleichungen in der Form
(209) | |||||
Wir benötigen als nächstes die Funktional-Ableitungen der Entropie . Nach der Thermodynamik sind die natürlichen Variablen der Entropie die Energiedichte , die Impulsdichte und die Massendichte . Wir identifizieren daher
(210) |
und finden die Funktional-Ableitungen
(211) | |||||
(212) | |||||
(213) |
Da die Funktional-Ableitungen in (209) nur in Form von Gradienten vorkommen, können wir sie umformen gemäß
(214) | |||||
(215) | |||||
(216) | |||||
Folglich lassen sich auch die hydrodynamischen Gleichungen (209) umformen. Mit einer neuen Matrix bekommen wir dann
(217) | |||||
Die relevanten Variablen werden hier identifiziert durch die natürlichen Variablen der Energie . Dies sind die Entropiedichte , die Impulsdichte und die Massendichte . Da hier die Entropiegleichung mit enthalten ist, wurde der dritten Zeile ein Term mit einer Entropie-Produktionsrate hinzugefügt. Diesen Term berechnet man aus dem quadratischen Term der Entropiegleichung (162). Wir finden
(218) |
Weil eine Energiedichte pro Zeiteinheit ist, handelt es sich hier um die durch Reibung in der Flüssigkeit erzeugte Wärme. Wir stellen fest, dass die hydrodynamischen Gleichungen (217) zusammen mit der Formel für die erzeugte Reibungswärme (218) mit den hydrodynamischen Gleichungen in der allgemeine Form von Dzyaloshinskii und Volovik DV80 übereinstimmen.
In den allgemeinen hydrodynamischen Gleichungen (217) zusammen mit der Formel für die erzeugte Wärme (218) sind die spezifischen Eigenschaften der Flüssigkeit, welche Effekte der Dissipation und Dämpfungen betreffen, zusammengefasst in Elementen der Matrix . Im Prinzip kann man diese Matrix aus der mikroskopischen Theorie der Flüssigkeit berechnen. Dazu berechnet man zunächst die Gedächtnismatrix mit der Formel (152). Im zweiten Schritt bestimmt man die Onsager-Matrix , indem man Gedächtniseffekte vernachlässigt mit dem Ansatz (158) oder mit der Umkehrformel
(219) |
Im dritten Schritt berechnet man die Matrix , indem man die räumlich nichtlokalen Effekte vernachlässigt und die Formel (208) invertiert. Schließlich bekommt man die Matrix , indem man die Energiedichte in den ursprünglichen relevanten Variablen austauscht durch die Entropiedichte .
Die Berechnung ist in der Theorie möglich, in der Praxis jedoch viel zu kompliziert und daher nicht durchführbar. In der Praxis wird ein anderer Weg beschritten. Mit Argumenten zur Symmetrie des Systems wird die Anzahl der von Null verschiedenen Matrixelemente stark reduziert, so dass nur ganz wenige Parameter übrigbleiben. Diese Parameter werden am Ende durch Vergleich mit dem Experiment bestimmt. In diesem Sinne wird die Hydrodynamik zu einer phänomenologischen Theorie.
Für die Massendichte gilt die Kontinuitätsgleichung (202) bereits exakt auf mikroskopischer Ebene. Man kann sie für die Operatorausdrücke (174) und (175) in der zweiten Quantisierung leicht beweisen. Daher wird die Massendichte von dissipativen Effekten nicht betroffen. Es verbleiben die Impulsdichte und die Entropiedichte . Wir nehmen an, dass die der Flüssigkeit zugrunde liegende mikroskopische Theorie invariant unter Raumspiegelungen ist. Unter dieser Transformation ändert die Impulsdichte das Vorzeichen, die Entropiedichte jedoch nicht. Folglich gibt es in der Onsager-Matrix keine Kopplung zwischen der Impulsdichte und der Entropiedichte . Die Matrix ist in den einzelnen relevanten Variablen also weitgehend diagonal.
Der zweite Term in der allgemeinen hydrodynamischen Gleichung (217) hat offensichtlich die Form einer Divergenz von Stromdichten. Wir entnehmen daraus die dissipativen Beiträge zu den allgemeinen Stromdichten
(220) |
Folglich wird sich die Struktur der speziellen hydrodynamischen Gleichungen (202)-(205) durch die Effekte der Dissipation nicht ändern. Nur die Entropie-Gleichung bekommt wegen der Erzeugung von Wärme und Entropie durch Reibung einen Zusatzterm. Berücksichtigen wir, dass die Matrix weitgehend diagonal ist, so finden wir die dissipativen Stromdichten
(221) | |||||
(222) | |||||
(223) | |||||
(224) |
und die erzeugte Wärme
(225) |
Zur Vereinfachung der Schreibweise lassen wir ab jetzt die Argumente und weg. Nach der Summenkonvention wird automatisch über doppelt auftretende Indizes summiert.
Eine normale Flüssigkeit ist isotrop. Das bedeutet, sie ist invariant unter Rotationen und Raumspiegelungen. Das schränkt die Matrizen für die Dissipation weiter ein. Wir finden
(226) | |||||
(227) |
Von der gesamten dissipativen Matrix verbleiben also gerade mal drei Parameter, die Scherviskosität , die Volumenviskosität und die Wärmeleitfähigkeit . Diese drei Parameter beschreiben die dissipativen Effekte in einer normalen Flüssigkeit vollständig. Sie werden üblicherweise phänomenologisch bestimmt durch Vergleiche mit Experimenten.
Wir setzen nun die Matrizen (226) und (227) ein. Damit finden wir den Zusatzbeitrag für den Spannungstensor
(228) |
und für die Entropiestromdichte
(229) |
Addieren wir die Zusatzbeiträge (221)-(224) zu den reversiblen Beiträgen (185), (187), (206) und (188), so erhalten wir die gesamten Stromdichten
(230) | |||||
(231) | |||||
(232) | |||||
(233) |
Der zweite Term in der Energiestromdichte (233) stellt die Wärmestromdichte dar. Dies erklärt die Bezeichnung Wärmeleitfähigkeit für den Parameter . Aus (225) finden wir schließlich die erzeugte Wärmedichte
(234) | |||||
Wir fassen zusammen. Die hydrodynamischen Gleichungen für eine normale Flüssigkeit mit Dissipation sind gegeben durch (202)-(205), zusammen mit den Stromdichten (230)-(233) und der erzeugten Wärmedichte (234). Sie stimmen überein mit den hydrodynamischen Gleichungen, die in den bekannten Lehrbüchern zu finden sind LL06 . Drei von diesen sind reine Kontinuitätsgleichungen. Das bedeutet, die zugehörigen physikalischen Größen Energie, Impuls und Massendichte sind Erhaltungsgrößen. Eine Ausnahme bildet die Gleichung für die Entropiedichte (204). Hier steht mit der erzeugten Wärmedichte ein Quellterm auf der rechten Seite. Da die erzeugte Wärmedichte (234) eine quadratische Form hat und die Parameter , und positiv sind, ist sie immer größer gleich null. Folglich ist der Quellterm der Entropie immer größer gleich null. Diese Eigenschaft liefert den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, so dass die gesamte Entropie des Systems immer anwachsen muss.
IV.5 Hydrodynamische Fluktuationen
Die fluktuierenden Kräfte stellen den dritten Term in der allgemeinen hydrodynamischen Gleichung (161) dar. Sie werden definiert durch die Formel (114). Definieren wir die quantenmechanischen Operatoren der fluktuierenden Kräfte im Heisenberg Bild durch
(235) |
so berechnen sich ihre Erwartungswerte mit
(236) |
Zur Unterscheidung zwischen Operatoren und Erwartungswerten kennzeichnen wir hier wieder die quantenmechanischen Operatoren mit einem Dach.
Wir nehmen an, dass durch den orthogonalen Projektionsoperator alle physikalischen Freiheitsgrade entfernt werden, welche sich auf großen Längenskalen und großen Zeitskalen bewegen. Folglich werden sich die fluktuierenden Kräfte auf kurze Längenskalen und kurze Zeitskalen beschränken und nahezu stochastisch verhalten. Wir nehmen weiterhin an, dass physikalische Zustände immer durch reine quantenmechanische Zustände beschrieben werden, so dass zur Anfangszeit die Dichtematrix gegeben ist durch . Da eine normal Flüssigkeit ein klassisches System ist, erwarten wir, dass die fluktuierenden Kräfte näherungsweise scharf definierte klassische Variablen sind. Das bedeutet, dass Erwartungswerte von Produkten von fluktuierenden Kräften näherungsweise faktorisieren. Für einen Erwartungswert mit zwei fluktuierenden Kräften erhalten wir also näherungsweise
(237) |
Wir stellen uns nun vor, dass das Experiment mit der normalen Flüssigkeit mehrfach durchgeführt wird. Die Dichtematrix ist dann für jedes Experiment mit Nummer unterschiedlich. Wir wollen jedoch annehmen, dass sie im statistischen Mittel näherungsweise mit einer relevanten Dichtematrix (26) übereinstimmt, so dass gilt
(238) |
Es folgt dann das statistische Mittel der fluktuierenden Kräfte
(239) |
und die Korrelationsfunktion
(240) |
Nach einigen Umformungen lässt sich die Korrelationsfunktion der fluktuierenden Kräfte also in Form eines Mori-Skalarprodukts schreiben. Setzen wir hier die Operatoren der fluktuierenden Kräfte (235) ein und beachten, dass der Zeitentwicklungsoperators im Mori-Skalarprodukt näherungsweise adjungiert werden kann, so finden wir
(241) | |||||
Das letzte Gleichheitszeichen folgt aus der Definition der Gedächtnismatrix (85). Wir stellen also fest, dass sich die Korrelationsfunktion der fluktuierenden Kräfte mit der Gedächtnismatrix in Verbindung bringen lässt.
Die Bezeichnung näherungsweise betrifft immer die hydrodynamische Näherung, die wir hier verwenden. In diesem Sinne werden wir ab jetzt zur Vereinfachung in den Gleichungen die Näherungszeichen durch Gleichheitszeichen ersetzen. Da wir Gedächtniseffekte vernachlässigen, dürfen wir die Gedächtnismatrix durch die Onsager-Matrix darstellen gemäß (158). So erhalten wir für die Korrelationsfunktion der fluktuierenden Kräfte das Ergebnis
(242) |
Die wesentlichen Eigenschaften der fluktuierenden Kräfte werden durch den Erwartungswert (239) und die Korrelationsfunktion (242) beschrieben. Betrachten wir diese beiden Gleichungen genauer, so stellen wir fest, dass sie genau den Definitionsgleichungen für gaußische stochastische Kräfte entsprechen. Wir kommen also zu dem Ergebnis, dass man die fluktuierenden Kräfte als gaußische stochastische Kräfte interpretieren kann. Folglich ist die allgemeine hydrodynamische Gleichung (161) eine stochastische Differentialgleichung. Es wird somit für die Differentialrechnung ein stochastischer Formalismus benötigt. Da wir die allgmeinen hydrodynamischen Gleichungen unter Annahme der Zeitumkehrinvarianz in der zugrunde liegenden mikroskopischen Theorie hergeleitet haben, ist der Differentialoperator für die Zeitableitung symmetrisch definiert. In diesem Sinne ist (161) eine stochastische Differentialgleichung im Stratonovich-Formalismus.
Die Onsager-Matrix tritt an zwei Stellen auf. Zum einen legt sie im zweiten Term der allgemeinen hydrodynamischen Gleichungen (161) die Stärke der Dissipationen fest. Zum anderen legt sie in (242) die Stärke der Fluktuationen der stochastischen Kräfte fest. Dieser Zusammenhang zwischen Fluktuation und Dissipation ist bekannt unter dem Namen Fluktuations-Dissipations-Theorem der zweiten Art.
Im Folgenden wollen wir die stochastischen Kräfte speziell für unsere normale Flüssigkeit untersuchen. Für die relevanten Variablen Energiedichte , Impulsdichte und Massendichte dürfen wir die Onsager-Matrix mit dem Ansatz (208) verwenden. Es folgt dann die Korrelationsfunktion
(243) |
Die stochastischen Kräfte sind also sowohl auf der räumlichen Längenskala als auch auf der zeitlichen Skala extrem kurzreichweitig.
Wegen den räumlichen Differentialoperatoren in (243) ist es zweckmäßig, die stochastischen Kräfte der Dichten als Ableitungen von neuen stochastischen Kräften der zugehörigen Stromdichten zu schreiben gemäß
(244) |
Diese Darstellung der fluktuierenden Kräfte haben wir schon früher in (127) zusammen mit (128) hergeleitet. Sie gilt allgemein, wenn die hydrodynamischen Variablen Dichten von Erhaltungsgrößen sind. Die Erwartungswerte der neuen stochastischen Kräfte sind dann ebenfalls null, und für die Korrelationsfunktion erhalten wir
(245) |
Der Übergang zu den relevanten Variablen Entropiedichte , Impulsdichte und Massendichte erfolgt, indem wir die Matrix durch ersetzen. Da die Funktional-Ableitungen der Entropie (211)-(213) einen zusätzlichen Faktor haben, die Funktional-Ableitungen der Energie (199)-(201) jedoch nicht, müssen wir in der Korrelationsfunktion noch einen zusätzlichen Faktor hinzufügen. Wir erhalten somit in diesem Fall
(246) |
Wir weisen darauf hin, dass die Temperatur nicht konstant ist, sondern fluktuiert. Sie wird in (199) als Funktionalableitung der Energie definiert und hängt somit im allgemeinen von den hydrodynamischen Variablen ab.
Im vorherigen Abschnitt haben wir festgestellt, dass aus Symmetriegründen die meisten Elemente der Matrix null sind. Es gibt keine von Null verschiedene Matrixelemente für die Massendichte. Da es für die Massendichte keine Dissipation gibt, fallen auch die stochastischen Kräfte für die Massenstromdichte weg. Wir haben also
(247) |
Es verbleiben die stochastischen Kräfte für den Spannungstensor und für die Entropiestromdichte . Nach (239) sind die Erwartungswerte null. Wir haben also
(248) | |||||
(249) |
Wir bemerken zur Schreibweise: In (247)-(249) und in den nachfolgenden Formeln bezeichnet der obere Index jeweils die Stromdichte, zu welcher die jeweilige stochastische Kraft gehört. Wegen der Zeitumkehrinvarianz gibt es keine Korrelationen zwischen den beiden stochastischen Kräften und , so dass
(250) |
Die verbleibenden Korrelationen werden durch die Matrizen (226) und (227) beschrieben. Wir erhalten damit
(251) | |||||
und
(252) | |||||
Die gaußischen stochastischen Kräfte für die Massenstromdichte , für den Spannungstensor und für die Entropiestromdichte sind mit den Gleichungen (247)-(252) eindeutig definiert. Es verbleibt die stochastische Kraft für die Energiestromdichte. Diese bekommt man aus der thermodynamischen Relation
(253) |
Am Ende müssen die stochastischen Kräfte in die hydrodynamischen Gleichungen eingefügt werden. Man erreicht dies, indem man die stochastischen Kräfte zu den Stromdichten (230)-(233) hinzu addiert. Wir finden also
(254) | |||||
(255) | |||||
(256) | |||||
(257) |
Für die Entropiedichte sind die stochastischen Kräfte noch nicht vollständig berücksichtigt. Die Darstellung durch die Divergenz der Entropiestromdichte gemäß (244) ist hier nicht ausreichend. Es kommt auch hier ein Quellterm hinzu. Wir berücksichtigen ihn, in dem wir zu der erzeugten Wärme (225) auch einen stochastischen Term hinzufügen. Wir bekommen somit
(258) | |||||
Die beiden negativen Vorzeichen hängen mit dem Minuszeichen in (244) zusammen.
Im Ergebnis stellen wir fest: Die hydrodynamischen Gleichungen (202)-(205) bleiben unverändert. Änderungen, um die Fluktuationen zu berücksichtigen, erfolgen allein in den Stromdichten (254)-(257) und in der erzeugten Wärme (258) durch die zusätzlichen stochastischen Terme. Untersuchungen zu hydrodynamische Fluktuationen sind auch in elementaren Lehrbüchern LL09 zu finden. Unsere Ergebnisse stimmen mit den darin beschriebenen überein, insbesondere die Korrelationsfunktionen (251) und (252).
V Zeitumkehrinvarianz und der zweite Hauptsatz der Thermodynamik
Während die zugrunde liegende mikroskopische Theorie die Invarianz unter Zeitumkehr erfüllt, ist bekannt, dass die statistische Mechanik des Nichtgleichgewichts und die daraus folgenden hydrodynamischen Gleichungen diese Invarianz brechen. Denn nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik sollte die Entropie mit der Zeit immer anwachsen oder zumindest gleich bleiben gemäß . Diese Aussagen stellen die allgemeine Lehrmeinung in der statistischen Physik für das Nichtgleichgewicht dar. Wir untersuchen nun in wie weit diese Aussagen vereinbar mit unserer Theorie sind und ob sie modifiziert oder neu interpretiert werden müssen.
In Kapitel III haben wir die verallgemeinerten hydrodynamischen Gleichungen (88) zusammen mit der Entropiegleichung (130) aus der mikroskopischen Theorie hergeleitet. Da keine Näherungen gemacht wurden und die Gleichungen exakt sind, müssen diese invariant unter der Zeitumkehr sein. Daher kann für die Entropie in (130) nicht der zweite Hauptsatz der Thermodynamik gelten.
Die Invarianz unter Zeitumkehr kann jedoch gebrochen werden, wenn man die Terme auf den rechten Seiten der Gleichungen einzeln betrachtet. Der erste Term auf der rechten Seite der Entropiegleichung (130) ist ein dissipativer Term und hat eine quadratische Form. Es ist daher naheliegend, dass dieser Term positiv definit ist und ein Anwachsen der Entropie entsprechend dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik bewirkt. Es gibt hier noch eine Unsicherheit. Im Nichtgleichgewicht ist die Onsager-Matrix (82) nicht symmetrisch, und es kann nicht vollständig garantiert werden, dass sie positiv definit ist. Betrachtet man jedoch eine Flüssigkeit im Rahmen der Hydrodynamik, so kann man annehmen, dass zumindest lokal ein thermisches Gleichgewicht gilt. Folglich sollte die Onsager-Matrix (82) auf lokaler Ebene symmetrisch und positiv definit sein.
Wir kommen also zu dem Schluss: Da nach der Zeitumkehrinvarianz eine Möglichkeit bestehen muss, dass die Entropie mit der Zeit auch wieder abnimmt, so kann dies nur mit dem zweiten Term der Entropiegleichung (130) geschehen, dem fluktuierenden Term.
Betrachten wir die drei Terme auf der rechten Seite der verallgemeinerten hydrodynamischen Gleichungen (88), so kommen wir weiterhin zu den drei Ergebnissen:
-
(a)
Die reversiblen Terme erfüllen die Zeitumkehrinvarianz.
-
(b)
Für sich alleine genommen brechen die dissipativen Terme und die fluktuierenden Terme die Zeitumkehrinvarianz.
-
(c)
Die Summe der dissipativen und der fluktuierenden Terme erfüllt jedoch die Invarianz unter Zeitumkehr.
Man kann nun die Frage stellen, welchen Einfluss die Näherungen, die zu den hydrodynamischen Gleichung der normalen Flüssigkeit in der bekannten Form führen, auf die Struktur der Terme und auf die drei Ergebnisse haben. Zunächst stellen wir fest, dass die Struktur der Terme unverändert bleibt. Auf allen Stufen der Näherungen gibt es reversible, dissipative und fluktuierende Terme. Selbst die erzeugte Wärme pro Volumen und Zeit , welche ganz am Ende unserer Überlegungen auftaucht und in (258) definiert wird, hat dieselbe Struktur wie die rechte Seite der Entropie-Gleichung (130) am Anfang und ohne Näherung: Sie enthält einen dissipativen und einen fluktuierenden Term. Der dissipative Term führt zum Anwachsen der Entropie. Ein Rückgang der Entropie ist nur durch den fluktuierenden Term möglich.
Die reversiblen Terme werden durch die Näherungen nicht verändert. Daher bleibt Ergebnis (a) unverändert bestehen. Wenn die dissipativen Terme die Zeitumkehrinvarianz brechen, so werden die Näherungen daran qualitativ nichts ändern. Folglich bleibt auch Ergebnis (b) bestehen. Die Summe der dissipativen und fluktuierenden Terme wird jedoch durch die Näherungen so beeinflusst, dass die Zeitumkehrinvarianz nicht mehr exakt sondern nur noch näherungsweise gilt. Folglich wird Ergebnis (c) nur noch näherungsweise gelten. Das muss einem insbesondere dann klar sein, wenn man in den hydrodynamischen Gleichungen die fluktuierenden Terme durch gaußische stochastische Kräfte modelliert. Qualitativ ändert das jedoch nichts.
Wir fassen nochmals zusammen. Um die Zeitumkehrinvarianz in den hydrodynamischen Gleichungen im Zusammenhang mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu verstehen, ist es wichtig, die fluktuierenden Terme zu betrachten. Nur die fluktuierenden Terme können eine Abnahme der Entropie bewirken. In diesem Sinne muss die allgemeine Lehrmeinung über den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik erweitert und neu interpretiert werden. Wir mögen sagen dass die fluktuierenden Terme in den hydrodynamischen Gleichungen die Zeitumkehrinvarianz wiederherstellen.
VI Langevin- und Fokker-Planck-Gleichung
Nachdem in Kapitel IV die Gedächtniseffekte vernachlässigt wurden, haben wir hydrodynamische Gleichungen erhalten, welche die Form von stochastischen Gleichungen besitzen. Die fluktuierenden Terme wurden als gaußische stochastische Kräfte modelliert. Diese Eigenschaften haben wir sowohl für die allgemeinen hydrodynamischen Gleichungen in der GENERIC-Form erhalten, als auch für die speziellen hydrodynamischen Gleichungen einer normalen Flüssigkeit. Wir wollen daher untersuchen, ob diese Gleichungen kompatibel mit der allgemeinen Theorie der stochastischen Prozesse sind.
VI.1 Stochastische Prozesse
Zur Beschreibung eines stochastischen Prozesses betrachten wir die Variablen . Wir lassen die Ortsvariable weg und berücksichtigen nur den Index , um einfachere Formeln zu schreiben. Die Ortsvariable kann man jederzeit wieder hinzufügen, um allgemeinere Formeln zu erhalten. Wir folgen der Darstellung der stochastischen Theorie für Nichtgleichgewichtssysteme von Graham und Haken GH71A ; GH71B ; Gr73 . Wenn keine Gedächtniseffekte vorhanden sind, dann handelt es sich um einen Markov-Prozess. Die Zeitentwicklung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der stochastischen Variablen wird beschrieben durch eine Master-Gleichung. Führt man eine Kramers-Moyal-Entwicklung durch und bricht nach der zweiten Ordnung ab, so erhält man die Fokker-Planck-Gleichung
(259) |
Zur Vereinfachung der Schreibweise verwenden wir hier die Summenkonvention und nehmen an, dass über alle zweimal auftretende Indizes automatisch summiert wird. Die Differentialoperatoren auf der rechten Seite wirken über die eckige Klammer hinaus auch auf die Verteilungsfunktion . Die ersten beiden Kramers-Moyal-Koeffizienten sind und . Sie hängen im allgemeinen wiederum von den stochastischen Variablen ab. Der zweite Koeffizient ist eine symmetrische Matrix .
Wir definieren nun die fluktuierenden Kräfte
(260) |
mit einer Matrix und gaußisch verteilten elementaren stochastischen Kräften mit den Eigenschaften
(261) |
Die Anzahl der elementaren stochastischen Kräfte ist größer oder gleich der Anzahl der fluktuierenden Kräfte . Folglich muss die Matrix nicht unbedingt quadratisch sein. Wir verlangen jedoch die Bedingung
(262) |
Nach Graham und Haken GH71B ; Gr73 findet man dann für die stochastischen Variablen die Langevin-Gleichung
(263) |
welche zur Fokker-Planck-Gleichung (259) äquivalent ist. Die zeitliche Ableitung auf der linken Seite der Langevin-Gleichung ist symmetrisch definiert. Folglich ist (263) eine stochastische Differentialgleichung im Stratonovich-Formalismus St63 ; vK07 . Der zweite Term mit der Matrix und deren Ableitung ist hierbei ein wohl bekannter Term.
Wir stellen fest: Wenn der zweite Kramers-Moyal-Koeffizient und die Matrix selbst von den stochastischen Variablen abhängen, dann enthalten die Definitionen der fluktuierenden Kräfte (260) und die Langevin-Gleichung (263) zusätzliche Terme mit partiellen Ableitungen dieser Matrizen nach den stochastischen Variablen. Das macht hier die Theorie subtil und kompliziert, muss jedoch sorgfältig berücksichtigt werden.
Wir untersuchen nun, unter welchen Bedingungen die Boltzmann-Verteilung
(264) |
mit einer vorgegebenen freien Energie eine stationäre Lösung der Fokker-Planck-Gleichung (259) ist. Diese Boltzmann-Verteilung soll das thermische Gleichgewicht beschreiben. Wir setzen ein und formen um gemäß
(265) | |||||
Wir schreiben nun den ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten in der Form
(266) |
mit einem reversiblen Term und zwei dissipativen Termen, welche durch den zweiten Kramers-Moyal-Koeffizienten parametrisiert werden. Aus (265) folgt dann für den reversiblen Term die Bedingung
(267) |
Diese Bedingung lässt sich einfach lösen, wenn wir den reversiblen Term in der Form
(268) |
mit einer antisymmetrischen Matrix schreiben. Es folgt dann nämlich
(269) |
aus der Antisymmetrie dieser Matrix. Die reversiblen Terme (268) haben fast dieselbe Form wie die dissipativen Terme in (266). Der Unterschied besteht in dem Symmetrieverhalten der Matrizen und .
Setzen wir nun den ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten (266) in die Langevin-Gleichung (263) ein so finden wir
(270) | |||||
Der dritte Term in dieser Gleichung ergibt sich aus der Summe des zweiten Terms von (263) und des dritten Terms von (266), wobei der zweite Kramers-Moyal-Koeffizient in der Form (262) eingesetzt wurde. Diese Langevin-Gleichung in der Stratonovich-Form ist kompatibel mit der Boltzmann-Verteilung (264) für das thermische Gleichgewicht, wenn der reversible Term entweder die Form (268) hat oder zumindest die Bedingung (267) erfüllt.
VI.2 GENERIC-Formalismus
In Kapitel IV haben wir die allgemeinen hydrodynamischen Gleichungen des GENERIC-Formalismus hergeleitet. Um einfachere Formeln zu schreiben, lassen wir wieder die Ortsvariable weg und verwenden die Summenkonvention für die Indizes. Aus (161) finden wir dann die Langevin-Gleichung
(271) | |||||
und aus (163) und (164) folgen die zugehörigen Nebenbedingungen
(272) | |||||
(273) |
Weitere Nebenbedingungen gibt es für Erhaltungsgrößen wie Impuls und Teilchenzahl wie üblich im GENERIC-Formalismus.
Wir zeigen nun, dass die Langevin-Gleichung (271) eine stochastische Differentialgleichung im Stratonovich-Formalismus ist vK07 . Dazu gehen wir zur ursprünglichen exakten Bewegungsgleichung (88) mit Gedächtniseffekten zurück. Wir integrieren diese Gleichung über ein zeitliches Intervall mit der Ausdehnung . Weiterhin nehmen wir an, die Gedächtnis-Effekte haben eine zeitliche Ausdehnung von der Größenordnung . Im Ergebnis bekommen wir somit eine Integralgleichung mit zwei Zeitskalen und , wobei auf der linken Seite eine Differenz von zwei hydrodynamischen Variablen zu unterschiedlichen Zeiten steht. Die Langevin-Gleichung (271) erhalten wir daraus in dem Grenzfall, dass beide Zeitskalen und infinitesimal klein werden. Es kommt jedoch auf die Reihenfolge der zwei Grenzwertprozesse an. Zuerst vernachlässigen wir die Gedächtniseffekte (Markov-Näherung) und führen den Grenzwertprozess durch. Wir dürfen folglich die Gedächtnismatrix ersetzen durch die Formel (158) mit einer Delta-Funktion in der Zeit. Das Integral über die Zeit im zweiten Term auf der rechten Seite von der ursprünglichen Bewegungsgleichung (88) lässt sich nun explizit ausführen, und wir erhalten daraus den zweiten Term von (271). Im Ergebnis finden wir eine Integralgleichung, welche der integrierten Form von (271) entspricht. Danach werten wir das verbleibende Integral mit dem Mittelwertsatz aus und führen den Grenzwertprozess durch. Im Ergebnis erhalten wir dann die Langevin-Gleichung (271), wobei die zeitlich Ableitung auf der linken Seite symmetrisch definiert wird. Diese ist somit eine stochastische Differentialgleichung im Stratonovich Formalismus.
In Analogie zu (135) definieren wir das großkanonische thermodynamische Potential
(274) |
mit drei konstanten Lagrange-Parametern, Temperatur , Geschwindigkeit und chemisches Potential . Unter Verwendung der Nebenbedingungen formen wir damit den dissipativen Term der Langevin-Gleichung (271) um. Wir erhalten dann
(275) | |||||
Wir wollen nun zeigen, dass diese Langevin-Gleichung mit der großkanonischen Boltzmann-Verteilung
(276) |
kompatibel ist. Dazu vergleichen wir im Detail die Formeln des GENERIC-Formalismus (275) und (276) mit den entsprechenden Formeln der allgemeinen stochastischen Theorie (270) und (264). Zunächst identifizieren wir die freie Energie und den zweiten Kramers-Moyal-Koeffizienten . Damit ist gewährleistet, dass die Verteilungsfunktionen (276) und (264) formal übereinstimmen. Weiterhin stellen wir fest, dass der zweite Term unserer Langevin-Gleichung (275) mit dem zweiten Term der entsprechenden Langevin-Gleichung der stochastischen Theorie (270) übereinstimmt.
In Abschnitt IV.5 haben wir aus der mikroskopischen Theorie hergeleitet, dass gaußische stochastische Kräfte sind, welche durch die Erwartungswerte (239) und durch die Korrelationsfunktionen (242) eindeutig festgelegt werden. Diese müssen mit den fluktuierenden Kräften der stochastischen Theorie in der Darstellung (260) vereinbar sein. Letzteres ist offensichtlich erfüllt, weil wir den zweiten Kramers-Moyal-Koeffizienten bereits mit identifiziert haben.
Wir stellen jedoch fest, dass dem dritten Term in (270) kein entsprechender Term in (275) zugeordnet werden kann. Aus diesem Grunde müssen wir fordern, dass dieser dritte Term null ist, so dass gilt
(277) |
Da die Matrix im allgemeinen von null verschieden und nicht singulär ist, müssen wir also die Bedingung
(278) |
verlangen. Wir wollen nun zeigen, dass diese Bedingung für eine normale Flüssigkeit allgemein erfüllt wird. Die Matrix hängt über (262) mit dem zweiten Kramers-Moyal-Koeffizienten und folglich mit der Onsager-Matrix zusammen. In der lokalen Näherung wird die Onsager-Matrix durch den Ansatz (208) mit zwei räumlichen Differentialoperatoren dargestellt. Für die Matrix finden wir daher eine analoge Darstellung mit einem räumlichen Differentialoperator. Fügen wir vorübergehend die Ortsvariable wieder hinzu, so erhalten wir
(279) |
mit einer Matrix , für die in Analogie zu (262) die Gleichung
(280) |
gilt. Wir setzen nun (279) in die Bedingung (278) ein, berechnen sorgfältig die Funktional-Ableitungen und finden
(281) |
Durch die Funktional-Ableitung kommt ein unendlicher Faktor hinzu, der einer räumlichen Delta-Funktion bei entspricht. Der Integrand des räumlichen Integrals ist offensichtlich eine räumliche Divergenz. Daher lässt sich mit dem Satz von Gauß das räumliche Integral in ein Oberflächenintegral umwandeln. Weil die Oberfläche im Unendlichen liegt, ist das Integral null. Somit ist gezeigt, dass für eine normale Flüssigkeit die Bedingung (278) erfüllt ist.
Als nächstes betrachten wir den reversiblen Term von der Langevin-Gleichung (270). Wir identifizieren diesen mit dem ersten Term in unserer Gleichung (275) und erhalten
(282) |
Wir müssen jetzt noch nachprüfen, dass die Bedingung (267) erfüllt ist. Leider hat unser reversibler Term (282) nicht die Form (268). Zwar kann man die antisymmetrische Matrix identifizieren. Es fehlt jedoch der zweite Term in (268) mit der Ableitung dieser Matrix. Weiterhin identifizieren wir die freie Energie , benötigen würden wir jedoch . Eine Umformung mit der Formel (274) und den Nebenbedingungen des GENERIC-Formalismus ist nicht selbstverständlich, weil die rechten Seiten dieser Nebenbedingungen im allgemeinen nicht null sind.
Wir müssen also (267) explizit nachprüfen und zum einen Symmetrieargumente und zum anderen die Eigenschaften von Erhaltungsgrößen anwenden. Dazu setzen wir den reversiblen Term (282) zusammen mit der Boltzmann-Verteilung (276) in die Bedingung (267) ein. Nach einigen Umformungen erhalten wir
(283) | |||||
Der zweite Term ist null. Das haben wir bereits in Kapitel III mit der Poisson-Klammer (148) gezeigt. Wir finden also für den reversiblen Term die notwendige Bedingung
(284) |
Wir fügen jetzt zwischendurch die Ortsvariable wieder ein. Für eine normale Flüssigkeit sind die stochastischen Variablen die Dichten von Erhaltungsgrößen. In Kapitel IV.3 haben wir gezeigt, dass die reversiblen Terme sich als Divergenzen von Stromdichten darstellen lassen. Daher finden wir
(285) |
Wir setzen dies in die notwendige Bedingung (284) ein und erhalten
(286) | |||||
Durch die Funktional-Ableitung kommt wiederum ein unendlicher Faktor hinzu, der einer räumlichen Delta-Funktion bei entspricht. Nach dem Satz von Gauß formen wir das Integral über den Raum in ein Oberflächenintegral um. Weil die Oberfläche im Unendlichen liegt, ist das Integral null. Somit ist die notwendige Bedingung für die reversiblen Terme erfüllt.
Wir fassen zusammen: Mit den Gleichungen (278) und (284) gibt es zwei Bedingungen, welche erfüllt werden müssen, damit unsere hydrodynamischen Gleichungen für eine normale Flüssigkeit mit gaußischen Fluktuationen kompatibel sind mit der großkanonischen Boltzmann-Verteilung (276) im thermischen Gleichgewicht. Die Bedingungen (278) und (284) werden hier besonders einfach erfüllt, weil sie sich auf Integrale über Divergenzen von Vektorfunktionen zurückführen lassen, die mit dem Satz von Gauß in Oberflächenintegrale umgewandelt werden können und somit null ergeben. Man sieht das deutlich an den Ausdrücken (279) und (285) und den Gleichungen (281) und (286). Diese Tatsache hängt damit zusammen, dass wir für die relevanten hydrodynamischen Variablen die Dichten von Erhaltungsgrößen gewählt haben. Als Folge davon sind die hydrodynamischen Gleichungen Kontinuitätsgleichungen, so dass auf den rechten Seiten immer Divergenzen von Stromdichten stehen.
Die hydrodynamischen Gleichungen können erweitert werden durch zusätzliche Variablen , welche die Ordnungsparameter für die Brechung von bestimmten Symmetrien darstellen und Phasenübergänge zweiter Ordnung beschreiben CL95 . Beispiele wären die Magnetisierung eines ferromagnetischen Systems oder die Kondensatwellenfunktion von superfluidem . In diesen Fällen lässt sich die Bedingung (278) im allgemeinen nicht erfüllen, wenn die entsprechenden Komponenten der Onsager-Matrix und folglich die entsprechenden Komponenten der Matrix nicht konstant sind sondern von den hydrodynamischen Variablen abhängen. Man kann jedoch andererseits durch Symmetrieargumente zeigen, dass die reversiblen Terme (282) die notwendige Bedingung (284) immer erfüllen. Das reicht allerdings nicht aus. Wir können im allgemeinen nicht garantieren, dass die erweiterten hydrodynamischen Gleichungen mit Fluktuationen kompatibel sind mit der großkanonischen Boltzmann-Verteilung (276) im thermischen Gleichgewicht.
Die Langevin-Gleichung des GENERIC-Formalismus (271) wurde unter der Annahme hergeleitet, dass die relevante Dichtematrix durch eine lokale großkanonische Verteilung der physikalischen Variablen in der Form (26) gegeben ist Ot00 . Hierbei kommt es nicht darauf an, ob das zugrunde liegende mikroskopische System quantenmechanisch oder klassisch ist. Wir hatten jedoch einige Schwierigkeiten zu zeigen, dass das thermische Gleichgewicht zumindest für eine normale Flüssigkeit durch die großkanonische Boltzmann-Verteilung (276) mit dem großkanonischen thermodynamischen Potential (274) beschrieben wird.
Alternativ ist im GENRIC-Formalismus eine direkte Herleitung der Fokker-Planck-Gleichung (259) möglich Ot98 . Man betrachtet hierzu die Funktionswerte der Verteilungsfunktion der physikalischen Variablen als relevante Variablen und baut damit den Projektionsoperator-Formalismus auf. Das zugrunde liegende Ensemble ist in diesem Fall mikrokanonisch. Folglich ist die Herleitung hier nur klassisch möglich, nicht quantenmechanisch. Man findet als Ergebnis, dass die großkanonische Boltzmann-Verteilung (276) automatisch eine stationäre Lösung der Fokker-Planck-Gleichung für das thermische Gleichgewicht ist. Sowohl der dissipative als auch der reversible Term haben mit (266) und (268) die erforderlichen Formen. Andererseits sind hier die Formeln für die Poisson-Matrix und die Formeln für die Onsager-Matrix wesentlich komplizierter sind Ot98 . Eine ähnliche Herleitung der Fokker-Planck-Gleichung für die nichtlineare Hydrodynamik mit Fluktuationen wurde zuvor von Zubarev und Morozov gegeben ZM83 , und die zugehörigen Langevin-Gleichungen wurden von Morozov Mo84 und weiterhin von Kim und Mazenko KM91 gefunden. Der GENERIC-Formalismus ist jedoch wesentlich eleganter für die Herleitung der Gleichungen und für die Behandlung der Nichtlinearitäten und Fluktuationen.
Zum Schluss untersuchen wir noch einen Zusammenhang von besonderer Art. In der normalen Flüssigkeit sind die Temperatur , die Geschwindigkeit und das chemische Potential lokale fluktuierende Größen, die durch die Funktional-Ableitungen der Entropie (211)-(213) definiert sind. Andererseits haben wir die konstanten Lagrange-Parameter , und . Wir wollen herausfinden, wie diese miteinander zusammenhängen. Dazu berechnen wir das Integral von der Ableitung der Boltzmann-Verteilung und finden mit dem Satz von Gauß
(287) |
Das Maß bedeutet, dass das Integral über alle hydrodynamischen Variablen berechnet wird. Wenn die hydrodynamischen Variablen auch noch von der Ortsvariablen abhängen, dann ist das Integral ein Funktionalintegral, und die Ableitungen sind Funktionalableitungen Am84 . Berechnen wir nun für die normale Flüssigkeit das Funktionalintegral mit den Funktional-Ableitungen nach der Energiedichte , nach der Impulsdichte und nach der Massendichte , so finden wir die Beziehungen
(288) | |||||
(289) | |||||
(290) |
wobei die Erwartungswerte im thermischen Gleichgewicht berechnet werden. Die Lagrange-Parameter , und entsprechen also nicht direkt den physikalischen Größen Temperatur, Geschwindigkeit und chemisches Potential, sondern sie hängen über bestimmte Erwartungswerte mit diesen physikalischen Größen zusammen.
VI.3 Entropie im thermischen Gleichgewicht
Die Entropiegleichung (162) lässt sich ebenfalls einfacher schreiben, wenn wir die Ortsvariable weglassen und die Summenkonvention für die Indizes verwenden. Wir erhalten dann
(291) | |||||
Der erste Term auf der rechten Seite ist der dissipative Term. Da die Onsager-Matrix positiv definit ist, liefert er immer einen Beitrag größer gleich null. Dieser Term bewirkt also das Anwachsen der Entropie und folglich den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.
Im thermischen Gleichgewicht gibt es auch Fluktuationen. Folglich wird auch im thermischen Gleichgewicht der erste dissipative Term immer größer oder gleich null sein. Diesem Trend muss der zweite fluktuierende Term entgegenwirken. Denn im thermischen Gleichgewicht hat die Entropie bereits ihr Maximum erreicht und muss im Mittel konstant bleiben. Ein langfristiger Drift der Entropie nach oben oder unten wäre ein Widerspruch. Wir wollen das hier jetzt nachprüfen und damit zeigen, dass unsere stochastische Theorie für die Hydrodynamik einer normalen Flüssigkeit in sich konsistent ist.
Im Folgenden berechnen wir den ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten für die Entropie . Wir tun dies so, wie man gewöhnlich aus stochastischen Gleichungen die Kramers-Moyal-Koeffizienten berechnet. Dazu integrieren wir die Gleichung (291) und erhalten
(292) | |||||
In derselben Weise integrieren wir auch die Langevin-Gleichung (271) und erhalten eine Integralgleichung für die stochastischen Variablen . Nachfolgend ersetzen wir auf der rechten Seite von (292) die stochastischen Variablen für Zeiten wiederholt mit dieser Integralgleichung, so dass wir eine verschachtelte Störungsreihe bekommen, die nur von den stochastischen Variablen zum Zeitpunkt abhängen, und von den elementaren gaußischen stochastischen Kräften mit Zeiten im Intervall . Wir nehmen an, dass die Differenz klein ist und entwickeln die rechte Seite nach Potenzen von bis zur ersten Ordnung.
Anschließend bilden wir den Mittelwert bezüglich der elementaren stochastischen Kräfte mit Zeiten im Intervall . Dies entspricht einem Mittelwert mit einer bedingten zusammenhängenden Wahrscheinlichkeitsverteilung. Als Ergebnis erhalten wir dann
(293) | |||||
mit dem ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten
(294) | |||||
Wir bilden weiterhin den Erwartungswert mit der Wahrscheinlichkeitsverteilung für die stochastischen Variablen zum Zeitpunkt . Aus (293) erhalten wir dann
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und im Limes folgt
(296) |
Wir berechnen nun den Erwartungswert des Kramers-Moyal-Koeffizienten mit der großkanonischen Boltzmann-Verteilung (276) und erhalten
(297) |
Es gelten die Nebenbedingung (273) für die Energie und ebenso für die weiteren Erhaltungsgrößen und . Daher dürfen wir im ersten Term mit Hilfe der Formel (274) die Entropie durch das großkanonische thermodynamische Potential ersetzen gemäß . Wir bekommen dann
(298) | |||||
Das letzte Integral über die stochastischen Variablen lässt sich mit dem Satz von Gauß in ein Oberflächenintegral umformen und ergibt somit null. Als Ergebnis finden wir folglich
(299) |
Im thermischen Gleichgewicht bleibt also die Entropie im Mittel konstant, wie wir es erwartet haben. Unsere stochastischen Gleichungen mit den gaußisch fluktuierenden Kräften (260) erfüllen diese Erwartung.
VII Fluktuations-Theorem
Nach unseren Untersuchungen gilt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nur im Mittel. Das bedeutet, die mittlere Entropie wächst mit der Zeit an oder bleibt zuminest konstant. Folglich gilt die Ungleichung
(300) |
für . Fluktuationen bewirken jedoch, dass für kurze Zeitintervalle die Entropie vorübergehend auch mal sinken kann, so dass auch mal für bestimmte Zeitintervalle möglich ist.
Ähnliche Fragestellungen wurden vor zwanzig Jahren von Evans et al. Ev93 ; Ev94 im Rahmen von Computersimulationen an mesoskopischen Vielteilchen-Systemen untersucht. Diese Untersuchungen führten zur Formulierung des sogenannten Fluktuations-Theorems. Eine zusammenfassende Darstellung ist in dem Übersichtsartikel von Evans und Searles Ev02a zu finden. Experimentell wurde das Fluktuations-Theorem in kleinen Systemen mit kolloidalen Teilchen nachgewiesen Ev02b . Wir wollen hier untersuchen, in wie weit das Fluktuations-Theorem auf die Hydrodynamik einer normalen Flüssigkeit anwendbar ist und ob es überhaupt gilt.
Während Evans et al. Ev93 ; Ev94 das Fluktuations-Theorem für Vielteilchen-Systeme beobachteten, formulierten und heuristisch erklärten, wurden mathematische Beweise später von Gallavotti und Cohen GC95a ; GC95b , von Kurchan Ku98 und von Lebowitz und Spohn LS99 geliefert. Eine einfache Herleitung des Fluktuations-Theorems wurde von Crooks Cr98 ; Cr99 ; Cr00 entwickelt, und zwar für physikalische Systeme, welche allgemein durch stochastische Prozesse ohne Gedächtnis, also Markov-Prozesse, beschrieben werden. Eine normale Flüssigkeit, welche durch die hydrodynamischen Gleichungen mit Fluktuationen von Kapitel IV beschrieben wird, gehört zu dieser Klasse von physikalischen Systemen. Daher werden wir im Folgenden die Herleitung des Fluktuations-Theorem nach Crooks Cr98 ; Cr99 im Rahmen des GENERIC-Formalismus darstellen.
VII.1 Mikroreversibilität und detailliertes Gleichgewicht
Das Fluktuations-Theorem ist eine Folge von Mikroreversibilität und der Existenz eines detailliertes Gleichgewichts. Aus diesem Grunde werden wir uns zunächst mit diesen Fragestellungen befassen. Wir nehmen an, es seien und zwei Zeitpunkte, wobei früher und später ist. Die Differenz ist also nach Annahme positiv. Die hydrodynamischen Variablen zu diesen Zeitpunkten bezeichnen wir kurz mit und .
Die Fokker-Planck-Gleichung (259) und alternativ die Langevin-Gleichung (263) zusammen mit den stochastischen Kräften (260) beschreiben einen stochastischen Prozess, der zeitlich in Vorwärtsrichtung fortschreitet. Als Lösung finden wir die bedingte Wahrscheinlichkeit , welche die Verteilung der hydrodynamischen Variablen zum späteren Zeitpunkt darstellt, wenn sich das System zum früheren Zeitpunkt in einem Zustand mit den hydrodynamischen Variablen befindet. Der Index soll andeuten, dass es sich um einen Vorwärtsprozess handelt.
Alternativ kann man eine Fokker-Planck-Gleichung und eine Langevin-Gleichung angeben, welche den zeitlich umgekehrten stochastischen Prozess beschreibt, der zeitlich in Rückwärtsrichtung verläuft. Die Gleichungen ändern sich dann in sofern, dass sich das Vorzeichen des dissipativen Terms im ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten umdreht. Als Lösung finden wir in diesem Fall die bedingte Wahrscheinlichkeit , welche die Verteilung der hydrodynamischen Variablen zum früheren Zeitpunkt darstellt, wenn sich das System zum späteren Zeitpunkt in einem Zustand mit den hydrodynamischen Variablen befindet. Der Index soll andeuten, dass es sich um einen Rückwärtsprozess handelt.
Das mikroskopische physikalische System, welches den hydrodynamischen Gleichungen mit Fluktuationen zugrunde liegt, ist symmetrisch unter Zeitumkehr. Das bedeutet, auf mikroskopischer Ebene müssen physikalische Prozesse in gleicher Weise zeitlich vorwärts und zeitlich rückwärts ablaufen können. In der statistischen Physik der stochastischen Prozesse führt diese Mikroreversibilität auf die Existenz eines detaillierten Gleichgewichts mit einer Verteilungsfunktion . Die Wahrscheinlichkeit für den Vorwärtsprozess muss gleich der Wahrscheinlichkeit für den Rückwärtsprozess sein. Es gilt folglich die Bedingung
(301) |
Setzen wir hier für das thermische Gleichgewicht unsere großkanonische Boltzmann-Verteilung (276) ein, und kürzen wir auf beiden Seiten den Normierungsfaktor heraus, so erhalten wir
(302) |
mit dem großkanonischen thermodynamischen Potential , definiert in der Gleichung (274).
In einer normalen Flüssigkeit sind die Energie , der Impuls und die Teilchenzahl Erhaltungsgrößen. Folglich enthalten die bedingten Wahrscheinlichkeiten und Faktoren mit Delta-Funktionen in diesen Erhaltungsgrößen, und zwar , und . Setzen wir nun das großkanonische thermodynamische Potential (274) ein, so stellen wir fest, dass sich in (302) alle Terme mit der Energie , dem Impuls und der Teilchenzahl auf beiden Seiten wegkürzen. Es bleiben nur die Terme mit der Entropie übrig, und die Bedingung für das detaillierte Gleichgewicht vereinfacht sich auf
(303) |
Die Bedingung für das detaillierte Gleichgewicht kann man auch direkt aus der Fokker-Planck-Gleichung (259) beweisen, siehe dazu Graham und Haken GH71A ; GH71B ; Gr73 . Alternativ kann man den Beweis mit einer Funktional-Integral-Darstellung der dynamischen stochastischen Prozesse von Janssen Ja76 und de Dominicis DD76 durchführen. Im Ergebnis findet man eine Gleichung wie (303), wobei im Argument der Exponentialfunktionen auf beiden Seiten immer jenes Funktional steht, welches den dissipativen Term in der Langevin-Gleichung bestimmt. In der Langevin-Gleichung des GENERIC-Formalismus (271) ist der zweite Term auf der rechten Seite der dissipative Term. Dieser setzt sich zusammen aus dem Produkt der Onsager Matrix und der Ableitung der Entropie . Folglich ist für den GENERIC-Formalismus die Bedingung für Mikroreversibilität und das detaillierte Gleichgewicht durch die Gleichung (303) gegeben, wobei im Argument der Experimentalfunktion auf beiden Seiten die Entropie steht.
Wir stellen fest, dass die Gleichung (303) die allgemeinere und fundamentalere Form für die Bedingung des detaillierte Gleichgewichts ist. Sie gilt im GENERIC-Formalismus auch dann, wenn die Energie und der Impuls nicht erhalten sind. Letzteres ist der Fall, wenn die Flüssigkeit in einem Volumen eingesperrt ist, welches sich zeitlich verändert. Man kann diese physikalische Situation erreichen, indem man zu der Energie einen Term mit einem zeitlich und räumlich veränderlichen Potential hinzufügt. Die Gleichungen (302) und (301) sind dagegen speziellere Bedingungen, welche nur dann erfüllt sind, wenn die Erhaltungssätze gelten.
Wir weisen darauf hin, dass die Gleichung (303) für den GENERIC-Formalismus unter der Annahme bewiesen wird, dass die Matrix in der Definition der fluktuierenden Kräfte (260) und der reversible Term (282) die notwendigen Bedingungen (278) und (284) erfüllen. Diese zwei Bedingungen wurden in Abschnitt VI.2 verwendet, um zu zeigen, dass die großkanonische Boltzmann-Verteilung (276) die Verteilung für das thermische Gleichgewicht ist.
VII.2 Das Fluktuations-Theorem in seiner ursprünglichen Form
Wir nehmen nun an, der Anfangszustand für den Vorwärtsprozess wird zur Zeit durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung beschrieben. Entsprechend nehmen wir an, der Anfangszustand für den Rückwärtsprozess wird zur Zeit durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung beschrieben. Damit definieren wir die Verbundwahrscheinlichkeiten
(304) | |||||
(305) |
welche den Vorwärtsprozess und den Rückwärtsprozess zwischen den zwei Zeitpunkten und beschreiben. Aus der Bedingung für das detaillierte Gleichgewicht (303) erhalten wir dann für die Verbundwahrscheinlichkeiten
(306) |
oder alternativ
(307) |
je nachdem ob die Exponentialfaktoren alle auf die linke oder auf die rechte Seite gebracht werden. Die Argumente der Exponentialfaktoren sind gegeben durch die Funktionen
(308) | |||||
welche sich im Vorzeichen für den Vorwärtsprozess und für den Rückwärtsprozess unterscheiden.
Diese Funktionen ermöglichen die Definition einer neuen Variablen , welche eine Art Entropie-Änderung des Zustands im Zeitintervall darstellt. Wir multiplizieren die Verbundwahrscheinlichkeiten (304) und (305) mit entsprechenden Delta-Funktionen und integrieren über die Variablen und . Als Ergebnis erhalten wir dann Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die Variable , und zwar für den Vorwärtsprozess
(309) |
und für den Rückwärtsprozess
(310) |
Multiplizieren wir nun die Bedingungen (306) oder (307) auf beiden Seiten mit entsprechenden Delta-Funktionen und integrieren wir über die Variablen und , so bekommen wir eine Bedingung für die Wahrscheinlichkeiten (309) und (310), das wohl bekannte Fluktuations-Theorem von Crooks Cr99
(311) |
Die zwei unterschiedlichen Vorzeichen von in den Argumenten der Wahrscheinlichkeiten auf der linken Seite sind eine Folge der zwei Vorzeichen der Funktionen (308) für den Vorwärtsprozess und für den Rückwärtsprozess.
Multiplizieren wir weiterhin in der Gleichung (311) die Faktoren etwas um, und integrieren wir auch noch über die verbleibende Variable , so erhalten wir das integrale Fluktuations-Theorem
(312) | |||||
Diese integrale Variante des Fluktuations-Theorems wurde in dieser Form erstmals allgemein von Crooks Cr99 und später speziell für kolloidale Teilchen in einem Lösungsmittel von Seifert Se05 hergeleitet. Sie entspricht einer Jarzynski-Gleichung Ja97A ; Ja97B für die Variable , wie wir später sehen werden.
Crooks unterteilt in seinen Darstellungen Cr98 ; Cr99 ; Cr00 das zeitliche Intervall in viele kleine infinitesimale Intervalle und betrachtet somit den gesamten stochastischen Prozess zwischen und . Der Grund dafür ist, dass äußere Kräfte durch zeitabhängige Parameter beschrieben werden, welche korrekt berücksichtigt werden müssen. In unserem Fall liefert der GENERIC-Formalismus mit der Gleichung (303) eine Bedingung für das detaillierte Gleichgewicht, in der die Exponentialfaktoren als Argumente bereits die Entropie haben. Somit reicht es aus, dass wir die Verbundwahrscheinlichkeiten (304) und (305) nur für zwei Zeiten, den Anfang und das Ende des Intervalls, definieren und betrachten.
Die Fluktuations-Theoreme (311) und (312) haben zwar eine recht einfache Form. Die eigentliche Schwierigkeit liegt jedoch in der Bedeutung und der Interpretation der Variablen , definiert in (308). In der Hydrodynamik ist die Entropie. Diese lässt sich auf mikroskopischer Ebene durch die Maximierung (21) unter den Nebenbedingen (22) und (23) definieren. Folglich ist der erste Term in der Formel (308) die Entropie-Änderung des stochastischen Prozesses von der Anfangszeit zur Endzeit . Andererseits besteht der zweite Term aus den Logarithmen der beiden Verteilungen der Anfangszustände für den Vorwärtsprozess und für den Rückwärtsprozess . Diesen Beitrag kann man auch als eine Art Entropie interpretieren. Er ist jedoch zunächst völlig willkürlich, weil die beiden Verteilungen der Anfangszustände beliebig gewählt werden können. Die genaue physikalische Bedeutung der Variablen wird also erst dann festgelegt, wenn man für die Anfangsverteilungen und eine konkrete Wahl trifft.
Eine ausführliche und allgemeine Darstellung des Fluktuations-Theorems in seinen verschiedenen Varianten ist in dem Übersichtsartikel von Seifert Se12 zu finden. Die Grundlage dort ist eine Langevin-Gleichung für kolloidale Teilchen in einem Lösungsmittel. Es wird eine Entropievariable ähnlich wie in (308) betrachtet, mit ähnlicher Struktur und mit ebenfalls zwei Beiträgen. Der erste Term ist die Entropie-Änderung im Medium oder Lösungsmittel, vergleichbar mit unserer Entropie-Änderung in der Flüssigkeit. Der zweite Term wird als Entropie-Änderung des kolloidalen Vielteilchen-Systems interpretiert. Wir stellen fest, dass unsere Betrachtungen des Fluktuations-Theorems für die Hydrodynamik einer normalen Flüssigkeit im Rahmen des GENERIC-Formalismus zu ähnlichen Ergebnissen führt wie die Darstellung von Seifert Se12 für kolloidale Systeme.
Im Folgenden verwenden wir als spezielle Wahl für die Anfangsverteilungen und die Boltzmann-Verteilungen für das thermische Gleichgewicht (276) zusammen mit dem großkanonischen thermodynamischen Potential (274). Wir setzen also
(313) | |||||
(314) |
Wir nehmen dabei an, dass auf die Flüssigkeit über äußere Parameter gewisse orts- und zeitabhängige Kräfte ausgeübt werden. Dann sind die beiden Gleichgewichtsverteilungen (313) und (314) für die zwei Zeiten und unterschiedlich. Insbesondere sind die beiden Normierungsfaktoren und verschieden. Aus diesen können wir formal die Änderung einer freien Energie definieren, gegeben durch
(315) |
Setzen wir nun die Anfangsverteilungen (313) und (314) in die Gleichung (308) ein so erhalten wir für die Entropievariable die zwei Funktionen
(316) | |||||
mit unterschiedlichen Vorzeichen für den Vorwärtsprozess und für den Rückwärtsprozess. Offensichtlich ist die Änderung der Entopie heraus gefallen.
Wir nehmen als spezielles Beispiel an, die Flüssigkeit sei in einem Volumen eingesperrt, welches durch äußere Kräfte zeitlich verändert wird. Auf diese Weise wird die Flüssigkeit komprimiert und expandiert. Der erste Term in der Formel (316), die Änderung der Energie , lässt sich dann als eine der Flüssigkeit zugefügte Arbeit interpretieren. Für den Vorwärtsprozess und für den Rückwärtsprozess finden wir also mit unterschiedlichen Vorzeichen die Funktionen für die Arbeit
(317) | |||||
Wird die Flüssigkeit über ein äußeres Potential in einem Volumen eingesperrt, so gilt keine Translations-Invarianz und keine Impulserhaltung. In diesem Fall muss in den Boltzmann-Verteilungen (313) und (314) der Lagrange-Parameter für die Geschwindigkeit null sein, also . Folglich ist der zweite Term in (316) null. Die Erhaltung der Teilchenzahl bewirkt weiterhin, dass wir den dritten Term in (316) null setzen dürfen gemäß . Dies ist erlaubt, weil die Verbundwahrscheinlichkeiten (304) und (305) entsprechende Delta-Funktionen als Faktoren enthalten. Der letzte Term in der Formel (316) wird schließlich mit der Änderung der freien Energie (315) identifiziert.
Als Ergebnis erhalten wir aus (316) für den Vorwärtsprozess
(318) |
Es gilt also ein linearer Zusammenhang zwischen der Entropievariable und der Arbeit . Folglich erhalten wir aus (309) und (310) durch Variablentransformation entsprechende Verteilungs-Funktionen für die Arbeit und . Für diese Verteilungs-Funktionen bekommen wir aus (311) das Fluktuations-Theorem von Crooks Cr98
(319) |
Führen wir weiterhin eine Integration über die Arbeit durch, so erhalten wir entsprechend zu (312) das integrale Fluktuations-Theorem
(320) |
welches erstmals von Jarzynski Ja97A ; Ja97B hergeleitet wurde und unter dem Namen Jarzynski-Gleichung bekannt ist. Während die Jarzynski-Gleichung (320) ursprünglich für die durch äußere Kräfte verrichtete Arbeit hergeleitet wurde, kann man (312) als Jarzynski-Gleichung für die Entropievariable betrachten.
Zum Schluss betrachten wir das thermische Gleichgewicht. Hier sind die Energie, der Impuls und die Teilchenzahl erhalten. Weiterhin sind die Normierungsfaktoren und gleich, so dass die frei Energie (315) null ist. Folglich sind alle Terme in der Definition der Entropievariable (316) null, und die Verteilungsfunktionen (309) und (310) vereinfachen sich zu Delta-Funktionen. Im thermischen Gleichgewicht erhalten wir also die Verteilungsfunktionen für die Entropievariable
(321) |
und für die Arbeit
(322) |
Die Fluktuations-Theoreme (311), (312) und (319), (320) werden mit diesen Verteilungsfunktionen in trivialer Weise erfüllt. Im Ergebnis stellen wir fest: Die Fluktuations-Theoreme gelten also sowohl im thermischen Gleichgewicht als auch im Nichtgleichgewicht.
Die Exponentialfunktion ist eine konvexe Funktion. Daher folgt aus dem integralen Fluktuations-Theorem (312) die Ungleichung
(323) |
Das Gleichheitszeichen gilt genau dann, wenn die Verteilungsfunktionen (309) und (310) Delta-Funktionen sind. Dies ist mit (321) im thermischen Gleichgewicht der Fall. Wir kommen somit zu dem Schluss: Die Entropie-Variable und die zugehörigen Fluktuations-Theoreme sind mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik vereinbar. Im Nichtgleichgewicht wächst die Entropie-Variable im Mittel an, im thermischen Gleichgewicht bleibt sie konstant.
Wir fassen zusammen und kommen zu folgendem Ergebnis. Die meisten Überlegungen zum und die verschiedenen Varianten des Fluktuations-Theorems, die in dem Übersichtsartikel von Seifert Se12 für kolloidale Teilchen in einem Lösungsmittel beschrieben werden, lassen sich auf die Hydrodynamik einer normalen Flüssigkeit und den GENERIC-Formalismus übertragen. Unbefriedigend ist jedoch die Interpretation der Entropie-Variable , definiert durch die Funktionen (308). Für die Hydrodynamik nicht klar, was der zweite Term in (308) physikalisch bedeuten soll.
VII.3 Ein modifiziertes Fluktuations-Theorem für die Entropie
In der Hydrodynamik benötigen wir ein Fluktuations-Theorem, in dem die Variable ausschließlich die Entropie-Änderung ohne irgend einen zusätzlichen zweiten Term ist. Ein solches Fluktuations-Theorem wollen wir hier nun herleiten. Ausgangspunkt ist wieder die bedingte Wahrscheinlichkeit für die relevanten hydrodynamischen Variablen . Wir berechnen daraus eine bedingte Wahrscheinlichkeit für die Entropie-Änderung mit der Formel
(324) |
Wir betrachten im Folgenden nur den Vorwärtsprozess. Der Anfangszustand wird beschrieben durch die hydrodynamischen Variablen zur früheren Zeit . Der Endzustand wird beschrieben durch die hydrodynamischen Variablen zur späteren Zeit . Das Zeitintervall ist positiv.
Wir berechnen zunächst die bedingte Wahrscheinlichkeit für die relevanten hydrodynamischen Variablen als Lösung der Fokker-Planck-Gleichung (259). Für infinitesimal kleine Zeitintervalle erhalten wir eine Gauß-Verteilung in den hydrodynamischen Variablen des Endzustandes. Die Position und die Breite der Verteilung werden durch die zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten und für die hydrodynamischen Variablen des Anfangszustandes festgelegt.
Im nächsten Schritt setzen wir diese Verteilung in die Formel (324) ein und berechnen mittels Integration über die bedingte Wahrscheinlichkeit für die Entropie-Änderung . Im Ergebnis erhalten wir wiederum eine Gauß-Verteilung, welche dargestellt wird durch
(325) | |||||
mit den zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten und für die Entropie. Um diese einfache Formel zu erhalten, haben wir im Argument der Exponentialfunktion eine Entwicklung nach Potenzen von kleinen durchgeführt. Daher gilt die Formel (325) zunächst nur für infinitesimal kleine Zeitintervalle . Die zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten für die Entropie und lassen sich durch die zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten und für die hydrodynamischen Variablen darstellen. Wir finden die zwei Formeln
(326) | |||||
(327) |
welche für eine beliebige Funktion gelten. Der jeweils erste Term erklärt sich als Transformationsformel des Differentialkalküls. Der zweite Term von (326) enthält die zweiten Ableitungen von und ist eine Besonderheit der stochastischen Prozesse.
Wir haben jetzt eine explizite Wahrscheinlichkeitsverteilung, für die wir ein spezielles modifiziertes Fluktuations-Theorem herleiten können. Wir berechnen den Quotienten wie auf der linken Seite des ursprünglichen Fluktuations-Theorems (311) und setzen die Formel (325) explizit ein. Nach einigen Umformungen finden wir dann als Ergebnis
(328) |
mit dem dimensionslosen Faktor
(329) |
Die Gleichung (328) stellt offensichtlich eine Erweiterung und Modifizierung des Fluktuations-Theorems dar. Im Argument der Exponentialfunktion auf der rechten Seite kommt ein zusätzlicher Faktor in Form eines Verhältnisses der beiden Kramers-Moyal-Koeffizienten vor. In seiner ursprünglichen Form (311) gilt das Fluktuations-Theorem nur dann, wenn der Faktor ist und somit die Bedingung
(330) |
erfüllt wird. Ansonsten stellt unsere Gleichung (328) eine Erweiterung und Modifizierung des Fluktuations-Theorems dar.
Wir weisen darauf hin, dass unsere Gleichung (328) nur für infinitesimal kleine Zeitintervalle hergeleitet wurde. Eine Erweiterung auf größere endliche Zeitintervalle ist ohne Änderung möglich, wenn die zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten und nahezu konstant sind und nicht über die Pfade von der Zeit abhängen. Dies ist der Fall, wenn sich die normale Flüssigkeit in einem stationären Nichtgleichgewichts-Zustand befindet und die Effekte der Fluktuationen klein sind. Beispiele sind eine stationäre laminare Strömung oder ein stationärer Wärmetransport. In diesen Fällen kann das Zeitintervall sehr groß sein. Andererseits wird für eine turbulente Strömung oder Wärmetransport mit chaotischer Konvektion das Zeitintervall entsprechend klein sein.
VII.4 Explizite Berechnung der Kramers-Moyal-Koeffizienten
Um den Zusammenhang zwischen dem Fluktuations-Theorem in der ursprünglichen Form (311) und unserer allgemeineren Gleichung (328) mit dem dimensionslosen Faktor (329) zu verstehen, benötigen wir nun explizite Formeln für die zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten. Den ersten Koeffizienten haben wir mit Gl. (294) zuvor in Kapitel VI.3 berechnet. Lassen wir das Zeitargument weg, so haben wir
(331) | |||||
Den zweiten Koeffizienten können wir aus der Langevin-Gleichung für die Entropie (291) entnehmen. Wir betrachten dazu den zweiten fluktuierenden Term auf der rechten Seite und setzen dort die fluktuierenden Kräfte (260) ein. Unter Verwendung von (262) und der Beziehung erhalten wir dann
(332) |
Die zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten (331) und (332) erfüllen offensichtlich im allgemeinen nicht die notwendige Bedingung (330) für das Fluktuations-Theorem.
Alternativ lassen sich die zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten für die Entropie auch mit den Formeln (326) und (327) berechnen. Wir benötigen dazu die zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten für die hydrodynamischen Variablen in expliziter Form. Letztere bekommen wir aus der Langevin-Gleichung des GENERIC-Formalismus (271) durch Vergleich mit der allgemeinen Form der stochastischen Theorie (263) oder (270). Diesen Vergleich müssen wir sorgfältig durchführen und dabei beachten, dass alle Langevin-Gleichungen im Stratonovich-Formalismus definiert sind. Wir verwenden weiterhin die Bedingung (278) für die Matrix , so dass der dritte Term in der allgemeinen Gleichung (270) null ist. Anschließend setzen wir die so erhaltenen Kramers-Moyal-Koeffizienten für die hydrodynamischen Variablen in die Formeln (326) und (327) ein. Wegen der Nebenbedingung (272) fällt ein reversibler Term weg. Als Ergebnis erhalten wir somit wiederum (331) und (332).
Der erste Kramers-Moyal-Koeffizient (331) enthält zwei Beiträge, einen dissipativen und einen fluktuierenden. Entsprechend zerlegen wir
(333) |
Vergleichen wir den ersten Term von (331) mit dem zweiten Koeffizienten (332), so finden wir
(334) |
Diese Gleichung stimmt offensichtlich mit der Bedingung (330) überein. Der dissipative Anteil des ersten Koeffizienten würde also die Bedingung für das Fluktuations-Theorem erfüllen. Die Abweichungen und Modifizierungen liefert folglich der fluktuierende Anteil des ersten Koeffizienten. Für diesen entnehmen wir aus dem zweiten Term von (331) die Formel
(335) |
wobei die Reihenfolge der Faktoren etwas umgeordnet und die Indizes umbenannt wurden.
Wenn wir die Abweichungen des modifizierten Fluktuations-Theorem (328) vom ursprünglichen (311) verstehen wollen, dann müssen wir den dimensionslosen Faktor (329) genauer untersuchen. Unter Verwendung der Gleichungen (334) und (333) formen wir diesen dimensionslosen Faktor um und erhalten
(336) |
Die Abweichungen vom Fluktuations-Theorem in der ursprünglichen Form werden klein sein, wenn der fluktuierende Anteil deutlich kleiner als der gesamte erste Kramers-Moyal-Koeffizient ist und somit in guter Näherung gilt. Umgekehrt werden wesentliche Abweichungen in Erscheinung treten, wenn in die Größenordnung von kommt oder deutlich größer wird. Um die Abschätzungen durchzuführen, müssen wir also sowohl den fluktuierenden Anteil als auch den gesamten ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten explizit berechnen.
Wir betrachten im Folgenden wieder die normale Flüssigkeit und fügen den hydrodynamischen Variablen die Ortsvariable im Argument hinzu. Wir verwenden den lokale Ansatz für die Onsager-Matrix (208) und setzen diesen in die Formel (335) ein. Dann erhalten wir für den fluktuierenden Anteil des ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten
(337) |
Dieser ist ein Funktional in den hydrodynamischen Variablen , und die partiellen Ableitungen wurden durch Funktional-Ableitungen ersetzt. Für die weitere Berechnung fügen wir zwei räumliche Delta-Funktionen ein, so dass wir drei Integrale über räumliche Koordinaten haben. Wir führen dann zuerst die Funktional-Ableitungen aus und berechnen anschließend die Integrale über die Delta-Funktionen. Nach sorgfältiger Bildung eines Grenzwertes erhalten wir dann
(338) |
Wegen einer partiellen Integration über den Raum hat sich das Vorzeichen geändert, und einer der beiden Differentialoperatoren hat einen Strich bekommen. Das bedeutet, wirkt auf die eine Ortsvariable , und wirkt auf die andere Ortsvariable . Wir nehmen nun an, dass wie in der Hydrodynamik üblich ein lokales thermisches Gleichgewicht gilt. Das bedeutet, die gesamte Entropie lässt sich als Integral über die lokale Entropiedichte darstellen gemäß . Dann berechnen wir die zweite Funktional-Ableitung
(339) |
und erhalten den fluktuierenden Anteil des Koeffizienten
(340) |
Die räumlichen Differentialoperatoren und wirken jetzt nur noch auf die räumliche Delta-Funktion. Wir führen hier den Grenzwertprozess explizit aus mit
(341) |
Weil der Strich am Differentialoperator wieder weggefallen ist, hat sich das Vorzeichen wieder geändert.
Gegenwärtig identifizieren wir mit die hydrodynamischen Variablen einer normalen Flüssigkeit, wobei eine der Variablen die Energiedichte ist. Alternativ können wir einen anderen Satz von hydrodynamischen Variablen verwenden, wobei eine der Variablen die Entropiedichte ist. Ein solche Transformation wurde in Kapitel IV.4 beschrieben und angewendet. Diese können wir hier auch auf die Formel (340) anwenden. Dazu tauschen wir die Onsager-Matrix aus durch die neue Matrix mit einer etwas einfacheren Struktur. Weiterhin ersetzen wir oben in der zweiten Ableitung die Entropiedichte durch die Energiedichte und drehen das Vorzeichen um. Als Ergebnis erhalten wir dann
(342) |
Wir bemerken, dass die Umformungen von (340) auf (342) exakt sind ohne irgendwelche Näherungen. Im nächsten Schritt setzen wir für die hydrodynamischen Variablen explizit die Massendichte , die Impulsdichte und die Entropiedichte ein. Aus Symmetriegründen sind viele Nichtdiagonalelemente der Onsager-Matrix null. Da es für die Massendichte keine Dissipation gibt, fallen weiterhin die Terme mit den Massendichten komplett weg. Als Ergebnis erhalten wir dann
(343) |
wobei die Onsager-Matrizen und explizit durch die Formeln (226) und (227) gegeben sind, mit nur drei Parametern, der Scherviskosität , der Volumenviskosität und der Wärmeleitfähigkeit . Die zweiten Ableitungen der Energiedichte berechnen wir mit den thermodynamischen Relationen
(344) |
Wegen der Invarianz unter Galilei-Transformationen hat die Energiedichte die Struktur (186). Das bedingt das einfache Ergebnis für die zweite Ableitung nach den Impulsdichten . Die zweite Ableitung nach der Entropiedichte ist komplizierter und führt auf die spezifische Wärme pro Masseneinheit bei konstantem Volumen als zusätzlichen Parameter. Die Formel (343) lässt sich damit nun explizit auswerten.
Wir stellen fest, dass das Ergebnis (343) als konstanten Faktor die zweiten räumlichen Ableitungen einer Delta-Funktion bei Argument Null enthält. Dieser Faktor ist unendlich groß und stellt eine Ultraviolett-Divergenz dar. Eine normale Flüssigkeit besteht bekanntlich aus Atomen oder Molekülen. Somit wird es eine minimale Längenskala geben, mit der wir eine Regularisierung durchführen müssen. Wir ersetzen daher die Delta-Funktion durch eine Gauß-Funktion gemäß
(345) |
und berechnen damit die zweiten räumlichen Ableitungen der Delta-Funktion bei Argument Null
(346) |
Setzen wir nun die Onsager-Matrizen (226) und (227), die zweiten Ableitungen der Energiedichte (344) und die zweite räumliche Ableitung der Delta-Funktion (346) ein, so erhalten wir aus der Formel (343) das explizite Ergebnis
(347) |
Die minimale Länge der Regularisierung steht im Nenner mit einer hohen Potenz. Wenn diese sehr klein ist und dem mittleren Abstand zwischen den Atomen oder Molekülen entspricht, dann wird das Ergebnis für den fluktuierende Anteil des ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten extrem groß. Wenn andererseits die minimale Länge hinreichend groß ist, dann wird das Ergebnis sehr klein.
Wir benötigen weiterhin den gesamten ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten . Um die Größenordnung abzuschätzen, reicht hier eine Mittlere-Feld-Näherung aus, welche die Fluktuationen weglässt. Wir bestimmen dazu für eine gegebene physikalische Situation eines Nichtgleichgewichts die mittleren Felder für Temperatur , Geschwindigkeit und chemisches Potential . Diese setzten wir dann in die Formel
(348) |
ein, um die mittlere erzeugte Wärme pro Volumen und Zeit zu berechnen. Die Formel (348) ist die Mittlere-Feld-Näherung von (258). Betrachten wir die hydrodynamische Gleichung (204), so finden wir für den ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten schließlich die Formel in Mittlerer-Feld-Näherung
(349) |
VII.5 Abhängigkeit von der minimalen Länge
Um die Abhängigkeit von der minimalen Länge besser zu verstehen, gehen wir zurück zu der Definition der Entropie durch die Maximierung (21) unter den Nebenbedingungen (22) und (23). Die Entropie ist ein Funktional, das sehr stark davon abhängen wird, welche der relevanten hydrodynamischen Variablen und folglich wieviele physikalische Freiheitsgrade in die Nebenbedingungen (22) eingehen. Wir treffen die Auswahl dieser Freiheitsgrade so, dass nur räumliche Variationen auf Längenskalen betrachtet werden, die größer als die minimale Länge sind. Auf diese Weise wird eine Regularisierung der Ultraviolett-Divergenzen erreicht. Wir stellen dazu die hydrodynamischen Variablen durch ein Fourier Integral dar gemäß
(350) |
wobei die Theta-Funktion die Wellenvektoren auf eine Kugel mit Radius einschränkt. Die Nebenbedingungen im Ortsraum (22) lassen sich nun durch entsprechende Nebenbedingungen im Fourier-Raum
(351) |
ersetzen. Die Anzahl dieser Nebenbedingen wird durch die Anzahl der -Vektoren bestimmt, also durch das Volumen der Kugel mit Radius im Fourier-Raum. Für einen -dimensionalen Raum mit Volumen finden wir die Anzahl der physikalischen Freiheitsgrade
(352) | |||||
wobei die Oberfläche der -dimensionalen Einheitskugel definiert.
Ist die minimale Länge klein, so wird die Anzahl der relevanten physikalischen Freiheitsgrade und folglich die Anzahl der Nebenbedingen groß. Man kann in diesem Fall erwarten, dass die Fluktuationen der Entropie auch entsprechend groß werden. Dies sieht man explizit an dem fluktuierenden Anteil des ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten (347), welcher in diesem Fall sehr groß wird. Ist umgekehrt die minimale Länge groß, so wird die Anzahl der Nebenbedingen klein, und die Fluktuationen der Entropie werden klein. Entsprechend wird der fluktuierenden Anteil des ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten (347) sehr klein.
Die minimale Länge kann man als Flußparameter einer Renormierungsgruppe interpretieren. Vergrößert man so wird die Längenskala für die minimale Auflösung des Modells, also der hydrodynamischen Gleichungen, vergröbert. Es ändern sich die Parameter des Modells wie z.B. die Kramers-Moyal-Koeffizienten. Die Eigenschaften des physikalischen Systems, also der normalen Flüssigkeit, bleiben jedoch unverändert. Im Limes kann man einen Fixpunkt im Raum der Parameter erwarten. Für den fluktuierenden Anteil des ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten finden wir
(353) |
Das bedeutet, im Infrarot-Limes wird der fluktuierenden Anteil des ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten, welcher den Korrekturterm zum Fluktuations-Theorem darstellt, irrelevant. Wir kommen somit zu dem Ergebnis: Auf großen Längenskalen wird das Fluktuations-Theorem in seiner ursprünglichen Form gültig bleiben. Für kleine Längenskalen wird der Korrekturterm (347) wichtig werden.
Es findet also ein kontinuierlicher Übergang statt von kleinen Längenskalen , für welche der Korrekturterm dominiert, zu großen Längenskalen, für welche der Korrekturterm irrelevant ist. Wir wollen nun herausfinden, bei welcher kritischen Längenskala dieser Übergang stattfindet. Betrachten wir den dimensionslosen Faktor (336) im modifizierten Fluktuations-Theorem (328), welcher die Abweichungen vom ursprünglichen Fluktuations-Theorem (311) beschreibt, so finden wir eine sinnvolle Definition für die kritische minimale Länge mit der Bedingung
(354) |
Die beiden erforderlichen Kramers-Moyal-Koeffizienten werden in den Formeln (347) und (349) zusammen mit (348) definiert. Für haben wir eine einfache explizite Formel. Für die Berechnung von muss man eine konkrete physikalische Situation betrachten, wie z.B. eine Scherströmung mit einem Geschwindigkeits-Gradienten oder einen Wärmetransport mit einem Temperaturgradienten. Als Ergebnis erhält man dann einen eindeutigen konkreten Wert für die kritische minimale Länge .
Eine grobe und universelle Abschätzung der kritischen minimalen Länge ist jedoch einfacher möglich. In der Experimentalphysik werden üblicherweise die SI-Einheiten als Einheiten für Messgrößen und Parameter verwendet. Diese Einheiten haben die Eigenschaft, dass die Zahlenwerte der Größen in der Nähe der Eins liegen mit einer Toleranz von einigen wenigen Größenordnungen. Wir wollen hier mal Größenordnungen nach oben und nach unten annehmen. Das entspricht Zahlenwerten zwischen und . In den obigen Formeln (347) und (349) zusammen mit (348) weichen nur zwei Größen deutlich davon ab, und zwar die Boltzmann-Konstante und die minimale Länge , welche beide sehr kleine Zahlenwerte haben. Diese kommen nur in dem Verhältnis vor. Die kritische minimale Länge bekommen wir daher aus der Bedingung, dass der Zahlenwert dieses Verhältnisses in SI-Einheiten bei Eins liegt, also
(355) |
Nehmen wir an, die Dimension des Raumes sei , so finden wir die kritische minimale Länge
(356) |
Wegen dem Exponenten in (355) reduziert sich die Toleranz auf eine halbe Größenordnung nach oben und nach unten. Somit liegt also die kritische minimale Länge im Intervall . Den kleineren Wert erwarten wir für Flüssigkeiten mit größeren Dichten wie Wasser, und den größeren Wert erwarten wir für Gase mit kleineren Dichten wie Luft.
VII.6 Erwartungswert und Varianz der Entropie-Änderung
Mit der Verteilungsfunktion (325) lassen sich der Erwartungswert und die Varianz der Entropie-Änderung berechnen und durch die zwei Kramers-Moyal-Koeffizienten darstellen. Wir finden für den Erwartungswert
(357) |
und für die Varianz
(358) |
Den zweiten Kramers-Moyal-Koeffizienten können wir über (334) durch den dissipativen Anteil des ersten Koeffizienten ausdrücken. Verwenden wir weiterhin (333) und (357), so erhalten wir
(359) |
Setzen wir hier den fluktuierenden Anteil des ersten Koeffizienten (347) ein, so erhalten wir für die Hydrodynamik einer normalen Flüssigkeit das explizite Ergebnis
(360) |
Die Entropie-Änderung ist eine extensive Größe. Daher ist sie proportional zum Volumen des Systems. Ebenso ist sie proportional zum Zeitintervall . Daher enthalten in den Formeln (359) und (360) beide Terme auf den rechten Seiten jeweils einen Faktor , der ausgeklammert werden kann. Folglich wird die relative Größe der beiden Terme zueinander nicht durch das Volumen des Systems und nicht durch das betrachtete Zeitintervall beeinflusst.
Wir interpretieren die zwei Terme in der folgenden Weise. Der erste Term in (360) is proportional zu dem Mittelwert der Entropie-Änderung. Er ist null im thermischen Gleichgewicht und positiv in einem Nichtgleichgewichts-Zustand. Folglich ist der erste Term der Nichtgleichgewichts-Beitrag zu der Varianz der Entropie-Änderung. Andererseits ist der zweite Term in (360) ein Integral über lokale Größen, die in lokalen thermischen Gleichgewichten berechnet werden. Aus diesem Grunde interpretieren wir den zweiten Term als den Beitrag der Gleichgewichts-Fluktuationen zu der Varianz der Entropie-Änderung.
Das Fluktuations-Theorem in seiner ursprünglichen Form erlaubt nur den ersten Term in den Formeln (359) und (360). Das bedeutet, in der Varianz der Entropie-Änderung wird nur der Nichtgleichgewichts-Beitrag berücksichtigt. Daher interpretieren wir den Korrekturterm in der Modifizierung des Fluktuations-Theorems als Beitrag der Gleichgewichts-Fluktuationen. In den letzten zwei Abschnitten haben wir herausgefunden, dass der Korrekturterm stark von der minimalen Länge abhängt, welche eine Regularisierung der Effekte auf kurzen Längenskalen bewirkt. Ob in den Formeln (359) und (360) nun der erste oder der zweite Term dominiert, hängt davon ab, ob die minimale Länge größer oder kleiner als die kritische minimale Länge ist, welche in den Gleichungen (354)-(356) bestimmt wurde.
Zusammenfassend stellen wir also fest. Wir finden eine Erweiterung und Modifizierung des Fluktuations-Theorems und berechnen einen Korrekturterm. Ob dieser Korrekturterm nun dominiert oder irrelevant ist, hängt von der minimalen Längenskala ab, auf der die relevanten hydrodynamischen Variablen variieren dürfen. Für dominiert der Korrekturterm. Für wird er klein und irrelevant.
VII.7 Modifizierte Jarzynski-Gleichung für die Entropie
Zum Schluss leiten wir eine modifizierte Version der Jarzynski-Gleichung (312) her, in welcher die Entropie-Änderung die Variable ist. Wir berechnen zunächst die linke Seite des Fluktuations-Theorems (311) und setzen hier die bedingten Wahrscheinlichkeiten (325) ein. Verschieben wir die Argumente der bedingten Wahrscheinlichkeiten noch mit einem Zusatzterm , so erhalten wir
(361) |
Die rechte Seite stimmt dann offensichtlich mit dem Fluktuations-Theorem in der ursprünglichen Form überein. Wir multiplizieren die Faktoren etwas um und verschieben die Entropie-Änderung nochmals gemäß . Dann finden wir die äquivalente Gleichung
(362) |
Diese Gleichung integrieren wir nun über . Wegen der Normierung der bedingten Wahrscheinlichkeitsverteilung ergibt die rechte Seite eins, und wir finden die modifizierte Jarzynski-Gleichung
(363) |
Setzen wir hier die Entropie-Änderung ein, so können wir den Erwartungswert alternativ mit der allgemeineren bedingten Wahrscheinlichkeit berechnen, wobei über die hydrodynamischen Variablen des Endzustandes integriert wird.
Die Gleichungen (361)-(363) gelten zunächst nur für infinitesimale Zeitintervalle . Die modifizierte Jarzynski-Gleichung (363) kann jedoch exakt und ohne Näherungen auf ein beliebig großes endliches Zeitintervall erweitert werden. Der Grund dafür ist, dass die rechte Seite von (363) eins ist und nicht von den hydrodynamischen Variablen des Anfangszustandes abhängt. Wir zerlegen nun das endliche Zeitintervall in eine unendliche Anzahl infinitesimaler Zeitintervalle. Für jedes dieser infinitesimalen Zeitintervalle gibt es eine modifizierte Jarzynski-Gleichung. Wir multiplizieren alle diese modifizierten Jarzynski-Gleichungen zusammen, klammern die Integrationen über die hydrodynamischen Variablen alle aus, und erhalten somit das Ergebnis
(364) |
Das Produkt der unendlich vielen bedingten Wahrscheinlichkeiten für jedes infinitesimale Zeitintervall ergibt eine Verbundwahrscheinlichkeit für einen Pfad von den hydrodynamischen Variablen . Somit wird der Erwartungswert in (364) zu einem Pfadintegral. Lediglich die hydrodynamischen Variablen des Anfangszustandes sind noch unbestimmte Variablen, weil wir von bedingten Wahrscheinlichkeiten ausgegangen sind. Wenn wir zusätzlich noch mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung für den Anfangszustand multiplizieren und über integrieren, gibt es keine freien Variablen mehr. Das Pfadintegral integriert dann wie üblich über alle Variablen des gesamten endlichen Zeitintervalls .
Die Gl. (364) ist die modifizierte Jarzynski-Gleichung für beliebig große endliche Zeitintervalle . Sie ist exakt gültig und unterscheidet sich von der ursprünglichen Jarzynski-Gleichung (312) Ja97A ; Ja97B durch den Zusatzterm mit dem fluktuierenden Anteil des ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten . Die ursprüngliche Jarzynski-Gleichung (312) erhalten wir im Spezialfall zurück. Wir haben den fluktuierenden Anteil des ersten Koeffizienten für eine normale Flüssigkeit explizit berechnet. Das Ergebnis (347) hängt stark von der minimalen Länge ab, mit der eine Regularisierung durchgeführt wurde so dass nur Variationen der hydrodynamischen Variablen auf Längenskalen oberhalb dieser minimalen Länge berücksichtigt werden. Ob der Zusatzterm nun klein und irrelevant oder groß und dominierend ist hängt davon ab, ob die minimale Länge größer oder kleiner als die kritische minimale Länge ist, welche in (354)-(356) definiert wurde. Folglich darf der Zusatzterm in der modifizierten Jarzynski-Gleichung (364) für eine normale Flüssigkeit im allgemeinen nicht vernachlässigt werden.
Zum Schluss haben wir noch eine Bemerkung für das thermische Gleichgewicht, in dem gilt. Während in diesem Fall die ursprüngliche Jarzynski-Gleichung eine scharfe bedingte Wahrscheinlichkeit mit Breite null erzwingt, bewirkt der Zusatzterm, dass die modifizierte Jarzynski-Gleichung weniger einschränkend ist und erlaubt, dass auch im thermischen Gleichgewicht die bedingte Wahrscheinlichkeit eine endliche Breite haben darf.
VII.8 Vergleich der Fluktuations-Theoreme
Wir haben das Fluktuations-Theorem im Rahmen des GENERIC-Formalismus in zwei verschiedenen Varianten hergeleitet und untersucht, zum einen in der ursprünglichen Form (Abschnitte VII.1 und VII.2) für eine entropieartige Variable und zum anderen in einer modifizierten Form (Abschnitte VII.3 bis VII.7) für die Entropie-Änderung .
Im modifizierten Fluktuations-Theorem haben wir einen Zusatz-Term gefunden, welcher mit den Fluktuationen der Entropie im thermischen Gleichgewicht zusammenhängt. Dieser Zusatzterm ist wichtig für die Konsistenz der Theorie. In dem ursprünglichen Fluktuations-Theorem gibt es diesen Zusatz-Term nicht. Dafür hat die Variable neben der Entropie-Änderung einen zweiten Term. Es gibt also entweder explizit im Fluktuations-Theorem oder implizit in der Variablen einen Zusatz-Term.
Das ursprüngliche Fluktuations-Theorem ist eine Folge der Mikroreversibilität und der Existenz eines detaillierten Gleichgewichts. Andererseits wurde das modifizierte Fluktuations-Theorem mit einer expliziten Verteilungsfunktion für die bedingte Wahrscheinlichkeit hergeleitet und so auf die Kramers-Moyal-Koeffizienten der Entropie zurückgeführt. Die explizite Struktur dieser Kramers-Moyal-Koeffizienten liefert dann das Fluktuations-Theorem und den Zusatz-Term. Diese Struktur wird durch den GENERIC-Formalismus bestimmt und hängt wiederum mit der Mikroreversibilität und dem detaillierten Gleichgewicht zusammen. In sofern ist auch das modifizierte Fluktuations-Theorem letztendlich eine Folge der Zeitumkehrinvarianz des zugrunde mikroskopischen physikalischen Systems und der daraus folgenden Existenz eines detaillierten Gleichgewichts.
VIII Abschließende Bemerkungen
Aus der mikroskopischen Theorie für Quantenvielteilchensysteme wurden mit Methoden der Quantenstatistik und Projektionsoperatoren die verallgemeinerten hydrodynamischen Gleichungen hergeleitet. Zunächst sind die Gleichungen exakt. Sie sind räumlich und zeitlich nicht lokal und enthalten Gedächtniseffekte und Fluktuationen. Die Gleichungen haben eine besondere grundlegende Struktur. Auf der rechten Seite stehen drei Arten von Termen: reversible, dissipative und fluktuierende. Bereits die exakten Gleichungen lassen sich auf eine verallgemeinerte Form des GENERIC-Formalismus von Grmela und Öttinger GO97A ; GO97B ; Ot05 bringen.
Die Näherungen ändern an dieser grundlegenden Struktur nichts. Vernachlässigt man im ersten Schritt die Gedächtniseffekte (Markov-Näherung), so bekommen die hydrodynamischen Gleichung eine Form, welche der ursprünglichen Version des GENERIC-Formalismus entspricht. Betrachtet man eine normale Flüssigkeit und vernachlässigt nicht lokale Effekte, so folgen die hydrodynamischen Gleichungen mit Fluktuationen, wie sie aus den Lehrbüchern LL06 ; LL09 bekannt sind. Durch Symmetrieargumente findet man, dass die Effekte von Dissipation und Fluktuation in einer normalen Flüssigkeit durch drei Parameter beschrieben werden, die Scherviskosität , die Volumenviskosität und die Wärmeleitfähigkeit .
Die exakten verallgemeinerten hydrodynamischen Gleichungen sind invariant unter der Zeitumkehr, weil wir annehmen, dass die zugrunde liegende mikroskopische Theorie diese Eigenschaft hat. Wir untersuchen, wie sich die Zeitumkehrinvarianz auf die drei Terme der rechten Seite verteilt. Die reversiblen Terme sind natürlich invariant. In Folge ist auch die Summe der dissipativen und der fluktuierenden Terme invariant in unter der Zeitumkehr. Die dissipativen und fluktuierenden Terme im einzelnen brechen jedoch die Zeitumkehrinvarianz. Man sieht dies insbesondere an der Bewegungsgleichung für die Entropie. Der dissipative Term ist hier quadratisch und positiv definit. Er führt zu einem Anwachsen der Entropie mit der Zeit und bildet die Grundlage für den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Dem kann nur der fluktuierende Term entgegenwirken. Nur dieser kann die Entropie wieder absenken. Solange man also die fluktuierenden Terme berücksichtigt, bleibt die Zeitumkehrinvarianz bestehen. Daran ändern auch die Näherungen nichts, welche zu den hydrodynamischen Gleichungen der normalen Flüssigkeit führen.
Werden die Gedächtniseffekte vernachlässigt, so bekommen die hydrodynamischen Gleichungen die Form von Langevin-Gleichungen, wobei die fluktuierenden Terme durch gaußische stochastische Kräfte modelliert werden. Wir vergleichen mit der allgemeinen Theorie für stochastischer Prozesse und stellen fest, dass die Hydrodynamik mit Fluktuationen zu einer stochastischen Theorie mit gaußischen Fluktuationen äquivalent ist. Eine zugehörige Fokker-Planck-Gleichung lässt sich finden, deren Lösung im thermischen Gleichgewicht eine großkanonische Boltzmann-Verteilung ist. Weiterhin zeigen wir, dass im thermischen Gleichgewicht die Entropie im Mittel konstant bleibt, wie es erwartet wird. Zwar bewirkt der positiv definite dissipative Term durch Fluktuationen auch im thermischen Gleichgewicht ein stetiges Anwachsen der Entropie. Dieser Effekt wird jedoch im Mittel exakt kompensiert durch den fluktuierenden Term.
Es lässt sich also eine stochastische Theorie mit gaußischen stochastischen Kräften formulieren, die in sich konsistent und frei von Widersprüchen ist. Wir führen diese Überlegungen für die allgemeinen nichtlokalen hydrodynamischen Gleichungen in der GENERIC-Form durch. Sie sind jedoch nicht darauf beschränkt, sondern gelten auch für die speziellen lokalen hydrodynamischen Gleichungen einer normalen Flüssigkeit. Als konkretes Beispiel haben wir immer eine normale Flüssigkeit betrachtet. Unsere Überlegungen zusammen mit dem GENERIC-Formalismus gelten jedoch allgemeiner und sind auch auf komplexere Flüssigkeiten anwendbar. Solche wären z.B. Mischungen aus unterschiedlichen Komponenten ohne und mit chemischen Reaktionen Ot09 ; Ba14 ; Ba15 .
Zum Schluss haben wir gezeigt, wie man die Herleitung des Fluktuations-Theorems nach Crooks Cr98 ; Cr99 ; Cr00 auf den GENERIC-Formalismus und die Hydrodynamik einer normalen Flüssigkeit übertragen kann. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Variable des Fluktuations-Theorems nicht die Entropie-Änderung ist, sondern einen Zusatzterm enthält. Aus diesem Grunde haben wir alternativ für die Entropie-Änderung als Variable eine modifizierte Version des Fluktuations-Theorems und der Jarzynski-Gleichung hergeleitet. Wir finden hier im Fluktuations-Theorem selbst einen Zusatzterm, der von dem fluktuierenden Anteil des ersten Kramers-Moyal-Koeffizienten für die Entropie erzeugt wird.
Wir berechnen diesen Zusatzterm explizit für eine normale Flüssigkeit und finden zunächst eine Ultraviolett-Divergenz. Um ein endliches und physikalisch sinnvolles Ergebnis zu erhalten, müssen wir eine Regularisierung durchführen mit einer minimalen Längenskala, bis zu welcher die räumlichen Variationen und Fluktuationen der hydrodynamischen Variablen berücksichtigt werden. Der Zusatzterm hängt stark von dieser minimalen Länge ab. Je nachdem ob die minimale Länge größer oder kleiner als eine bestimmte kritische Länge ist, wird der Zusatzterm klein und irrelevant oder groß und dominierend sein. Wir schließen daraus, dass für eine normale Flüssigkeit das Fluktuations-Theorem und die Jarzynski-Gleichung im allgemeinen durch einen Zusatzterm modifiziert werden müssen, wenn die Variable die Entropie-Änderung in der Flüssigkeit sein soll.
Danksagungen.
Der Autor dankt Prof. Dr. M. Fuchs für inspirierende Diskussionen und Prof. Dr. H. C. Öttinger und Prof. Dr. U. Seifert für hilfreiche Kommentare zum Manuskript.Literatur
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