Trajectories of Rubber Balloons used in Balloon Releases:
Theory and Application
Trajektorien von Gummiballons in Ballonwettbewerben:
Theorie und Anwendung
Patrick Glaschke

Abstract/Zusammenfassung

Balloon releases are one of the main attractions of many fairs. Helium filled rubber balloons are released to carry postcards over preferably long distances. Although such balloons have been considered in atmospheric sciences and air safety analysis, there is only scarce literature available on the subject. This work intends to close this gap by providing a comprehensive theoretical overview and a thorough analysis of real-life data. All relevant physical properties of a rubber balloon are carefully modelled and supplemented by weather observations to form a self-contained trajectory simulation tool. The analysis of diverse balloon releases provided detailed insight into the flight dynamics and potential optimisations. Helium balloons are found to reach routinely altitudes above 10 km. Under optimal conditions, they could stay more than 24 hours airborne while reaching flight distances close to 3000 km. However, external weather effects reduce the typical lifetime to 2 – 5 hours.

Ballonwettbewerbe sind eine der Hauptattraktionen von vielen Volksfesten. Heliumgefüllte Gummiballons werden mit einer Postkarte gestartet, um eine möglichst große Strecke zurückzulegen. Obwohl solche Ballons in der Atmosphärenforschung und der Luftfahrtsicherheit eine gewisse Rolle gespielt haben, gibt es nur spärlich Literatur zu diesem Themenkreis. Diese Arbeit versucht diese Lücke mit einem umfassenden theoretischen Überblick und einer sorgfältigen Analyse von realen Meßdaten zu schließen. Alle relevanten physikalischen Eigenschaften eines Gummiballons werden sorgfältig modelliert und mit Wetterbeobachtungen ergänzt, um ein abgeschlossenes Programm zur Trajektoriensimulation zu erstellen. Die Analyse verschiedener Ballonwettbewerbe eröffnete detaillierte Einsichten in die Flugdynamik und mögliche Optimierungen. Es zeigt sich, daß Heliumballons regelmäßig Höhen um 10 km erreichen. Unter optimalen Umständen bleiben sie mehr als 24 Stunden in der Luft und können dabei fast 3000 km weit fliegen. Jedoch beschränken externe Wettereinflüsse die typische Lebenszeit auf 2 – 5 Stunden.

Kapitel 1 Einleitung

Ballonwettbewerbe sind ein beliebter Programmpunkt auf vielen Feiern und Volksfesten. Ein Heliumballon wird mit einer Karte und einer Rücksendeadresse gestartet, um eine möglichst große Entfernung zurückzulegen. Der Erfolg ist dabei nicht gewiß – zu unberechenbar erscheint das Wettergeschehen, und zu guter Letzt muß die Karte auch noch gefunden und zurückgeschickt werden! Was aber passiert mit dem Ballon nach dem Start in der Luft? Welchen Einflüssen ist er unterworfen, und läßt sich eine gute Platzierung mit einer großen Flugweite vielleicht doch gezielt beeinflussen?

Es lohnt sich, mit einer weiter gefassten Perspektive zu beginnen. Ballons haben schon früh eine entscheidende Rolle bei der Erforschung der Atmosphäre gespielt [13]. Zuerst wurden Heißluft– und Gasballons eingesetzt, um Forschern die direkte Untersuchung der Atmosphäre zu ermöglichen. Später rückten vermehrt unbemannte Ballons in den Vordergrund, die eine Vielzahl automatischer Messungen bis hin zu astronomischen Beobachtungen durchführen konnten. Mit automatischen Meßballons (sogenannten Radiosonden) gewonnene Wetterdaten bilden noch heute das Rückgrat der täglichen Wettervorhersage [14]. Im Zuge der Entwicklung immer ausgefeilterer numerischer Wettermodelle und Simulationen zur Verbreitung von Luftschadstoffen werden Ballons auch zur „Markierung“ von Luftmassen verwendet, um die Richtigkeit von Strömungsmodellen [78, 6] zu überprüfen. Die Umsetzung kann auf mehrere Weisen erfolgen: Durch Ballons, die automatisch einem konstanten Druckniveau folgen [47, 57, 67, 85], durch die Auswertung von regelrechten Ballonwettfahrten [7] bis hin zur Einbindung von Ballonwettbewerben in die Forschung [91, 97]. Eine ausführliche Übersicht über den Stand der Trajektorienberechnung ist in [98] enthalten.

Die Untersuchung der Dynamik von Kartenballons111Im Folgenden werden die bei Ballonwettbewerben verwendeten Heliumballons kurz als „Kartenballon“ bezeichnet. spielt meist nur eine untergeordnete Rolle. Spezielle Arbeiten wurden zur Umweltverträglichkeit von Ballons [15] und der maximal erreichbaren Höhe durchgeführt [55], wobei aber nicht nach einer umfassende Beschreibung eines frei fliegenden Ballons gesucht wurde. Die Eigenschaften des Ballongummis sowie der absolut geringe Auftrieb eines Kartenballons erschweren die einfache Übertragung der charakteristischen Eigenschaften größerer Ballons. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Roberts [86], die ein einfaches numerisches Modell zur Flugweitenabschätzung vorstellt. Ein Vergleich mit realen Kartenballonflügen oder die Berechnung von Ballontrajektorien erfolgte in dieser Arbeit aber nicht.

Die offenen Fragen sind also noch zahlreich: Wie weit kann ein Kartenballon fliegen? Wie lange bleibt er in der Luft? Wie hoch fliegt er? Kann die Flugweite optimiert werden, und wenn ja, wie? Diesen Fragen soll in der folgenden Arbeit systematisch nachgegangen werden, um ein umfassendes Bild von dem Verhalten von Kartenballons in der Atmosphäre zu zeichnen. Zuerst erfolgt eine detaillierte Untersuchung aller relevanten physikalischen Eigenschaften eines Kartenballons in Kapitel 2, gefolgt von einer Zusammenfassung der wichtigsten Umwelteinflüssen in den Kapiteln 3 und 4. Diese Bausteine werden anschließend in Kapitel 5 zu einem Computermodell zusammengefügt, das dann mit Hilfe von Ballonwettbewerben und Experimenten in Kapitel 6 geprüft wird.

Kapitel 2 Ballonphysik

2.1 Einleitung

Die theoretische Beschreibung eines Kartenballons umfaßt alle für die Trajektorienberechnung relevanten Eigenschaften: Angefangen von der Geometrie des Ballons, dem Materialverhalten des Ballongummis, über Auftrieb und Aerodynamik bis hin zu dem scheinbar unmerklichen Verlust des Füllgases während des Fluges. Für die meisten dieser Fragestellungen ist es ausreichend, alleine den Gummiballon zu betrachten. Die angebundene Karte verändert neben dem Gesamtgewicht nur die Aerodynamik des Kartenballons. Erst nach dem möglichen Platzen des Ballons wird das Geschehen ausschließlich durch die frei fallende Karte bestimmt.

Die folgenden Abschnitte gehen detailliert auf die Eigenschaften eines Gummiballon ein, wobei die Aerodynamik unter Berücksichtigung der angehängten Karte in Abschnitt 2.6 diskutiert wird.

2.2 Geometrie

Refer to caption
Abbildung 2.1: Ballon mit dem Äquivalenzellipsoid mit Durchmesser D𝐷D und langer Halbachse a𝑎a.

Die Grundlage für die Beschreibung der Ballongeometrie ist die Kenntnis des Volumens V𝑉V und der Oberfläche A𝐴A. Ein Ballon kann grob durch einen prolaten Ellipsoid mit langer Halbachse a𝑎a und Durchmesser D𝐷D beschrieben werden (siehe Abb. 2.1). Wird die Abweichung von diesem Ellipsoid in einem Parameter ε𝜀\varepsilon zusammengefaßt, ergibt sich das Volumen zu:

V𝑉\displaystyle V =\displaystyle= 4π3εR2a,R=D/24𝜋3𝜀superscript𝑅2𝑎𝑅𝐷2\displaystyle\frac{4\pi}{3}\varepsilon R^{2}a,\qquad R=D/2 (2.1)

Bei gleich gefertigten Ballons ist das Verhältnis a/D𝑎𝐷a/D in etwa konstant und die obige Formel kann vereinfacht werden zu:

V𝑉\displaystyle V =\displaystyle= fVD3subscript𝑓𝑉superscript𝐷3\displaystyle f_{V}D^{3} (2.2)
A𝐴\displaystyle A =\displaystyle= fAD2subscript𝑓𝐴superscript𝐷2\displaystyle f_{A}D^{2} (2.3)

Mit Hilfe von Ballonphotos wurden die freien Parameter für zwei unterschiedliche Fabrikate bestimmt:

Mittelung über ε𝜀\varepsilon fVsubscript𝑓𝑉f_{V} fAsubscript𝑓𝐴f_{A} 1R/a1𝑅𝑎1-R/a
48 melloc© 32 cm Ballons 0,96±0,02plus-or-minus0.960.020,96\pm 0,02 0,63±0,02plus-or-minus0.630.020,63\pm 0,02 3,71±0,12plus-or-minus3.710.123,71\pm 0,12 0,20±0,03plus-or-minus0.200.030,20\pm 0,03
10 Volksbank Werbeballons 0,94±0,01plus-or-minus0.940.010,94\pm 0,01 0,58±0,01plus-or-minus0.580.010,58\pm 0,01 3,48±0,05plus-or-minus3.480.053,48\pm 0,05 0,15±0,02plus-or-minus0.150.020,15\pm 0,02

Die beiden Fabrikate unterscheiden sich hauptsächlich in der Abplattung 1R/a1𝑅𝑎1-R/a, die in der letzten Spalte mit angegeben ist. Die Fehler geben jeweils die Streuung innerhalb der Ballonstichproben an. Für manche Anwendungen ist es nützlicher, das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen anzugeben. Von allen Körpern hat die Kugel das kleinste Verhältnis:

A/V2/3=4,84KugelA/V2/3=5,05±0,20melloc© 32 cm Ballon A/V2/3=5,00±0,09Volksbank Ballon𝐴superscript𝑉234.84Kugel𝐴superscript𝑉23plus-or-minus5.050.20melloc© 32 cm Ballon 𝐴superscript𝑉23plus-or-minus5.000.09Volksbank Ballon\displaystyle\begin{array}[]{lcll}A/V^{2/3}&=&4,84&\mbox{Kugel}\\ A/V^{2/3}&=&5,05\pm 0,20&\mbox{melloc\copyright\leavevmode\nobreak\ 32\leavevmode\nobreak\ cm\leavevmode\nobreak\ Ballon }\\ A/V^{2/3}&=&5,00\pm 0,09&\mbox{Volksbank Ballon}\end{array} (2.7)

Einen ersten Hinweis auf die elastischen Eigenschaften eines Ballons gibt das Füllvolumen, das zum Platzen der Gummihülle führt. Um eine erste Übersicht zu erhalten, wurde eine kleine Stichprobe ausgewählt und bis zum Platzen gefüllt. Während des Füllvorgangs wurden die geometrischen Abmessungen regelmäßig erfaßt. Die daraus abgeleiteten Platzvolumina sind:

Dmaxsubscript𝐷D_{\max}[cm] Vmaxsubscript𝑉V_{\max}[l] V0subscript𝑉0V_{0}[l] Bemerkung
34±1plus-or-minus34134\pm 1 23±2plus-or-minus23223\pm 2 0,1 Volksbankballon bei 20 C
37±1plus-or-minus37137\pm 1 32±3plus-or-minus32332\pm 3 0,15 melloc© 32 cm Ballon bei 20 C
34±1plus-or-minus34134\pm 1 25±2plus-or-minus25225\pm 2 0,15 melloc© 32 cm Ballon bei 10superscript10-10^{\circ}C

Alle Ballons haben sich kurz vor dem Platzen teilweise erheblich deformiert, so daß die einfache Anwendung der Gleichungen 2.1 und 2.2 nicht zuverlässig ist. Hinzu kommt, daß die Versuchsbedingungen eine nur ungenaue Annäherung an die langsame Ausdehnung eines steigenden Ballons sind. Hystereseeffekte in der Gummihülle und insbesondere die Wechselwirkung mit den fallenden Temperaturen beim Aufstieg wurden nicht erfaßt. Aus dem Volumen V0subscript𝑉0V_{0} des ungedehnten (d. h. druckfreien) Ballons kann die maximalen Dehnung des Ballongummis ermittelt werden. Sie liegt im Bereich von 500 % bis 600 % (bezogen auf den ungedehnten Ballon) und ist mit den Angaben in [15] vergleichbar.

2.3 Innendruck

Refer to caption
Abbildung 2.2: Balloninnendruck in Abhängigkeit des Ballondurchmessers.

Die Gummihülle eines Ballons übt einen zusätzlichen Druck auf das Füllgas aus. Die Beschreibung der nichtlinearen elastischen Eigenschaften von Gummi (siehe z. B. [66]) erlaubt die Berechnung des Drucksprungs ΔpΔ𝑝\Delta p als Funktion des Ballonradius R𝑅R. Das Ergebnis der von [68] durchgeführten Rechnung ist

Δp(R)Δ𝑝𝑅\displaystyle\Delta p(R) =\displaystyle= 43VGummiV0C1(R0RR07R7)(1+C1C1R2R02)43subscript𝑉Gummisubscript𝑉0subscript𝐶1subscript𝑅0𝑅superscriptsubscript𝑅07superscript𝑅71subscript𝐶1subscript𝐶1superscript𝑅2superscriptsubscript𝑅02\displaystyle\frac{4}{3}\frac{V_{\mathrm{Gummi}}}{V_{0}}C_{1}\left(\frac{R_{0}}{R}-\frac{R_{0}^{7}}{R^{7}}\right)\left(1+\frac{C_{-1}}{C_{1}}\frac{R^{2}}{R_{0}^{2}}\right) (2.8)
V0subscript𝑉0\displaystyle V_{0} =\displaystyle= 4π3R034𝜋3superscriptsubscript𝑅03\displaystyle\frac{4\pi}{3}R_{0}^{3} (2.9)

mit dem Schubmodul C1subscript𝐶1absentC_{1}\approx 0,17 MPa und dem nichtlinearen Parameter C1/C10,1subscript𝐶1subscript𝐶10.1C_{-1}/C_{1}\approx 0,1. R0subscript𝑅0R_{0} ist der Radius des entspannten (d. h. druckfreien) Ballons. Das Volumen VGummisubscript𝑉GummiV_{\mathrm{Gummi}} der Gummihülle kann über die Dichte des verwendeten Gummis aus dem Ballongewicht abgeleitet werden:

MGummisubscript𝑀Gummi\displaystyle M_{\mathrm{Gummi}} =\displaystyle= ρGummiVGummisubscript𝜌Gummisubscript𝑉Gummi\displaystyle\rho_{\mathrm{Gummi}}V_{\mathrm{Gummi}} (2.10)

Typische Gewichte für die bereits genannten Fabrikate sind:

MGummisubscript𝑀GummiM_{\mathrm{Gummi}}
melloc© 32 cm Ballon : 5,1±0,2plus-or-minus5.10.25,1\pm 0,2 g
melloc© 13 cm Ballon : 0,860.860,86 g
Volksbank Werbeballon : 3,2±0,3plus-or-minus3.20.33,2\pm 0,3 g

Die Stichprobe der 13 cm Ballons war zu klein, um eine repräsentative Streuung zu ermitteln. Das Minimum und Maximum der Druckkurve (siehe Abb. 2.2) ist für C1/C1=0,1subscript𝐶1subscript𝐶10.1C_{-1}/C_{1}=0,1:

rmaxsubscript𝑟\displaystyle r_{\max} =\displaystyle= 1,476×R0Δpmax=0,745×43VGummiV0C11.476subscript𝑅0Δsubscript𝑝0.74543subscript𝑉Gummisubscript𝑉0subscript𝐶1\displaystyle 1,476\times R_{0}\qquad\Delta p_{\max}=0,745\times\frac{4}{3}\frac{V_{\mathrm{Gummi}}}{V_{0}}C_{1} (2.11)
rminsubscript𝑟\displaystyle r_{\min} =\displaystyle= 3,143×R0Δpmin=0,632×43VGummiV0C13.143subscript𝑅0Δsubscript𝑝0.63243subscript𝑉Gummisubscript𝑉0subscript𝐶1\displaystyle 3,143\times R_{0}\qquad\Delta p_{\min}=0,632\times\frac{4}{3}\frac{V_{\mathrm{Gummi}}}{V_{0}}C_{1} (2.12)

Mit der bekannten Abhängigkeit des Innendrucks von der Ballongröße kann nun das Volumen eines mit der Gasmenge N𝑁N gefüllten Ballons bei einem vorgegebenen Druck p0subscript𝑝0p_{0} und Temperatur T0subscript𝑇0T_{0} berechnet werden. Unter der Verwendung der Zustandsgleichung für ideale Gase erhält man für die Bestimmung des Ballonvolumens V𝑉V die Gleichung:

(p0+Δp(V))V=NRT0subscript𝑝0Δ𝑝𝑉𝑉𝑁𝑅subscript𝑇0\displaystyle(p_{0}+\Delta p(V))V=NRT_{0} (2.13)

R𝑅R ist hier die universelle Gaskonstante. Obwohl der Drucksprung (Gl. 2.8) selbst keine monoton steigende Funktion des Ballonvolumens ist, trifft dies auf die gesamte linke Seite zu:

ddV((p0+Δp(V))V)>0V>0formulae-sequence𝑑𝑑𝑉subscript𝑝0Δ𝑝𝑉𝑉0for-all𝑉0\displaystyle\frac{d}{dV}\big{(}(p_{0}+\Delta p(V))V\big{)}>0\quad\forall\quad V>0 (2.14)

Dies garantiert für alle realisierbaren Kombinationen der freien Parameter jeweils eine eindeutige Lösung für das Ballonvolumen. Da der Druck über einen weiten Bereich nur wenig variiert, wird er in dieser Arbeit durch einen konstanten Wert angenähert:

ΔpΔ𝑝\displaystyle\Delta p \displaystyle\approx 0,7×43VGummiV0C10.743subscript𝑉Gummisubscript𝑉0subscript𝐶1\displaystyle 0,7\times\frac{4}{3}\frac{V_{\mathrm{Gummi}}}{V_{0}}C_{1} (2.15)
=\displaystyle= 4760 Pa×VGummi/3 cm3V0/100 cm34760 Pasubscript𝑉Gummi3superscript cm3subscript𝑉0100superscript cm3\displaystyle 4760\mbox{ Pa}\times\frac{V_{\mathrm{Gummi}}/3\mbox{ cm}^{3}}{V_{0}/100\mbox{ cm}^{3}} (2.16)

2.4 Thermodynamik

Refer to caption
Abbildung 2.3: Vereinfachtes Strahlungsgleichgewicht, bestimmt durch die Sonneneinstrahlung \mathcal{F}, die diffuse Strahlung IR+cos(θ)αsubscriptIR𝜃𝛼\mathcal{F}_{\mathrm{IR}}+\cos(\theta)\alpha\mathcal{F} von der Erdoberfläche und die Wärmestrahlung des Ballons.

Die Temperatur eines Ballons bestimmt das Volumen über die Zustandsgleichung des Füllgases und die elastischen Eigenschaften der Gummihülle. Während die Temperatur eines Ballons im Schatten in guter Näherung durch die Lufttemperatur gegeben ist, muß in der freien Atmosphäre und insbesondere in großen Höhen das Strahlungsgleichgewicht mit der Umgebung berücksichtigt werden.

Der Arbeit von Nelson [72] folgend wird eine einfache Zweibandbeschreibung (Abb. 2.3) gewählt. Im Bereich optischer Wellenlängen erhält der Ballon Energie durch die direkte Strahlung der Sonne \mathcal{F} und den durch die Albedo α𝛼\alpha der Erdoberfläche reflektierten Anteil. Im Bereich infraroter Wellenlängen strahlt der Ballon selbst Wärmeenergie ab und empfängt Wärmestrahlung IRsubscriptIR\mathcal{F}_{\mathrm{IR}} von der Erdoberfläche. Die umgebende Luft der Temperatur T0subscript𝑇0T_{0} trägt über direkte Wärmeleitung bei. In der folgenden Bilanz wird die adiabatische Abkühlung bzw. Erwärmung des Ballons beim Aufsteigen und Sinken vernachlässigt:

aOptπR2(1+2cos(θ)α)+aIR2πR2IRsubscript𝑎Opt𝜋superscript𝑅212𝜃𝛼subscript𝑎IR2𝜋superscript𝑅2subscriptIR\displaystyle a_{\mathrm{Opt}}\pi R^{2}(1+2\cos(\theta)\alpha)\mathcal{F}+a_{\mathrm{IR}}2\pi R^{2}\mathcal{F}_{\mathrm{IR}} =\displaystyle= 2πλLuftNuR(TT0)+4πaIRR2σT42𝜋subscript𝜆LuftNu𝑅𝑇subscript𝑇04𝜋subscript𝑎IRsuperscript𝑅2𝜎superscript𝑇4\displaystyle 2\pi\lambda_{\mathrm{Luft}}\mbox{Nu}R(T-T_{0})+4\pi a_{\mathrm{IR}}R^{2}\sigma T^{4} (2.17)

Die Sonneneinstrahlung111Die Solarkonstante ist 1367 W/m2, Weltorganisation für Meteorologie (1982) erfolgt unter dem Zenitwinkel θ𝜃\theta, T𝑇T ist die zu bestimmende Temperatur des Ballons und R𝑅R sein Radius. σ𝜎\sigma ist die Stefan-Boltzmann-Konstante. Im Folgenden wird ein graues Ballonmodell mit Absorptionskoeffizienten aIR=0,5subscript𝑎IR0.5a_{\mathrm{IR}}=0,5 und aOpt=0,25subscript𝑎Opt0.25a_{\mathrm{Opt}}=0,25 als plausible Werte angenommen. Realistische Werte der Albedo α𝛼\alpha liegen im Bereich 0,20,50.20.50,2\dots 0,5. λLuftsubscript𝜆Luft\lambda_{\mathrm{Luft}} ist die molekulare Wärmeleitfähigkeit der Luft. Die wirkliche Wärmeleitung ist um den Faktor222Die Nusselt-Zahl Nu ist proportional zum Verhältnis der Wärmeleitung einschließlich Konvektion und Turbulenz zur molekularen Wärmeleitung. Es gilt Nu >1absent1>1. Nu größer. Eine empirische Formel für die Nusselt-Zahl einer Kugel ist nach [54]:

NuNu\displaystyle\mathrm{Nu} =\displaystyle= 2+(0,4Retot1/2+0,06Retot2/3)Pr0,4(ηηK)1/420.4superscriptsubscriptRetot120.06superscriptsubscriptRetot23superscriptPr0.4superscriptsubscript𝜂subscript𝜂𝐾14\displaystyle 2+(0,4\,\mathrm{Re_{tot}}^{1/2}+0,06\,\mathrm{Re_{tot}}^{2/3})\mathrm{Pr}^{0,4}\left(\frac{\eta_{\infty}}{\eta_{K}}\right)^{1/4} (2.18)

Der Unterschied der dynamischen Viskosität der Luft im freien Raum ηsubscript𝜂\eta_{\infty} zu dem Wert auf der Kugeloberfläche ηKsubscript𝜂𝐾\eta_{K} ist für die hier betrachtete Anwendung so gering, daß dieser Korrekturfaktor vernachläßigt werden kann. Die totale Reynolds-Zahl RetotsubscriptRetot\mathrm{Re_{tot}} setzt sich aus der Umströmung der Kugel und dem konvektiven Anteil, beschrieben durch die Grashof-Zahl Gr, zusammen:

Retot2superscriptsubscriptRetot2\displaystyle\mathrm{Re_{tot}}^{2} =\displaystyle= Re2+0,4GrsuperscriptRe20.4Gr\displaystyle\mathrm{Re}^{2}+0,4\mathrm{Gr} (2.19)
GrGr\displaystyle\mathrm{Gr} =\displaystyle= |TT0|T0gD3ν2𝑇subscript𝑇0subscript𝑇0𝑔superscript𝐷3superscript𝜈2\displaystyle\frac{|T-T_{0}|}{T_{0}}\frac{gD^{3}}{\nu^{2}} (2.20)

In der letzten Gleichung ist g𝑔g die Erdbeschleunigung, ν𝜈\nu die kinematische Viskosität der umgebenden Luft und D𝐷D der Durchmesser der Kugel. Bei einer Anströmung mit 1 m/s erhält man für einen Ballon etwa Nu \approx 100. Für eine einfachere Behandlung wird der Strahlungsfluß aus der Umgebung in Gl. 2.17 durch eine effektive Infrarot-Temperatur Teffsubscript𝑇effT_{\mathrm{eff}} ausgedrückt:

4aIRσTeff44subscript𝑎IR𝜎superscriptsubscript𝑇eff4\displaystyle 4a_{\mathrm{IR}}\sigma T_{\mathrm{eff}}^{4} =\displaystyle= 2λLuftNu/R(TT0)+4aIRσT42subscript𝜆LuftNu𝑅𝑇subscript𝑇04subscript𝑎IR𝜎superscript𝑇4\displaystyle 2\lambda_{\mathrm{Luft}}\mbox{Nu}/R(T-T_{0})+4a_{\mathrm{IR}}\sigma T^{4} (2.21)
\displaystyle\approx 2λLuftNu/R(TT0)+4aIRσT04+16aIRσT03(TT0)2subscript𝜆LuftNu𝑅𝑇subscript𝑇04subscript𝑎IR𝜎superscriptsubscript𝑇0416subscript𝑎IR𝜎superscriptsubscript𝑇03𝑇subscript𝑇0\displaystyle 2\lambda_{\mathrm{Luft}}\mbox{Nu}/R(T-T_{0})+4a_{\mathrm{IR}}\sigma T_{0}^{4}+16a_{\mathrm{IR}}\sigma T_{0}^{3}(T-T_{0}) (2.22)

Umstellen der Wärmebilanz ergibt:

TT0𝑇subscript𝑇0\displaystyle T-T_{0} \displaystyle\approx Teff4T04NuλLuft/(2σaIRR)+4T03superscriptsubscript𝑇eff4superscriptsubscript𝑇04Nusubscript𝜆Luft2𝜎subscript𝑎IR𝑅4superscriptsubscript𝑇03\displaystyle\frac{T_{\mathrm{eff}}^{4}-T_{0}^{4}}{\mbox{Nu}\lambda_{\mathrm{Luft}}/(2\sigma a_{\mathrm{IR}}R)+4T_{0}^{3}} (2.23)

Für die betrachteten Temperaturdifferenzen TT0𝑇subscript𝑇0T-T_{0} können die Strahlungsterme um T0subscript𝑇0T_{0} entwickelt werden:

TT0𝑇subscript𝑇0\displaystyle T-T_{0} \displaystyle\approx TeffT0NuλLuft/(8T03σaIRR)+1subscript𝑇effsubscript𝑇0Nusubscript𝜆Luft8superscriptsubscript𝑇03𝜎subscript𝑎IR𝑅1\displaystyle\frac{T_{\mathrm{eff}}-T_{0}}{\mbox{Nu}\lambda_{\mathrm{Luft}}/(8T_{0}^{3}\sigma a_{\mathrm{IR}}R)+1} (2.24)

Die Temperaturdifferenz TeffT0subscript𝑇effsubscript𝑇0T_{\mathrm{eff}}-T_{0} reicht von Werten um 4040-40 °C (Nachts, große Höhen) bis über +4040+40 °C (Bodennähe, Sonnenschein). Um den Einfluß auf die Ballontemperatur abzuschätzen, wird der Faktor in Gl. 2.24 ausgewertet. Die Wärmeleitfähigkeit λLuftsubscript𝜆Luft\lambda_{\mathrm{Luft}} ist unabhängig vom Druck und nur proportional zur Wurzel der Temperatur, so daß die Wärmeleitfähigkeit am Boden auch für größere Höhen ein guter Richtwert ist. Mit R𝑅R = 15 cm ergibt sich die Abschätzung:

NuλLuft8T03σaIRRNusubscript𝜆Luft8superscriptsubscript𝑇03𝜎subscript𝑎IR𝑅\displaystyle\frac{\mbox{Nu}\lambda_{\mathrm{Luft}}}{8T_{0}^{3}\sigma a_{\mathrm{IR}}R} =\displaystyle= 2,8×Nu100×(293 KT0)32.8Nu100superscript293 Ksubscript𝑇03\displaystyle 2,8\times\frac{\mbox{Nu}}{100}\times\left(\frac{293\mbox{ K}}{T_{0}}\right)^{3} (2.25)

Der durch die Ballongröße bedingte starke Einfluß der direkten Wärmeleitung reduziert den Temperaturunterschied zur umgebenden Luft auf Werte um 10 K. Für die Berechnung des Ballonvolumens und des Auftriebs ergeben sich nur Korrekturen im Prozentbereich, so daß die Ballontemperatur T𝑇T gleich der Temperatur der umgebenden Luft T0subscript𝑇0T_{0} gesetzt werden kann. Diese Vereinfachung erspart auch die komplexe Modellierung des Strahlungsflußes in der Atmosphäre, die bereits mit einfachen Annahmen sehr umfangreich ist [82]. Bei Tagesflügen fehlen ohnehin genaue Wetterdaten, um den Einfluß der Wolkenbedeckung auf die Sonneneinstrahlung zu rekonstruieren.

2.5 Materialverhalten

Bei tiefen Temperaturen verliert Gummi seine Flexibilität und erstarrt in einem Glaszustand. Für einen aufsteigenden Ballon bedeutet dieser Phasenübergang die Zerstörung der Hülle durch das sich weiterhin ausdehnende Füllgas. Der Glasübergang erstreckt sich über einen Temperaturbereich und läßt sich nur näherungsweise durch eine feste Temperatur beschreiben. Besonders für stark gedehnte Ballons muß ein allmählicher Übergang vom Platzen durch Überdehnung zum Platzen durch Verglasung angenommen werden [74].

Zur Modellierung dieses Effekts wird ein einfaches Modell verwendet: Unterschreitet die Ballontemperatur eine Grenze TBurstsubscript𝑇BurstT_{\mathrm{Burst}}, wird der Ballon als geplatzt betrachtet. Experimente von Kofoed-Hansen [55] zeigen deutlich, daß bis 2020-20 °C die elastischen Eigenschaften nicht beeinträchtigt werden. Burchette [15] gibt die Glasübergangstemperatur mit 4040-40 °C an, während Roberts [86] einen Wert um 6060-60 °C annimmt.

Aus den in Kapitel 6 durchgeführten Simulationen, auf die an dieser Stelle vorgegriffen wird, ergibt sich die Notwendigkeit des Glasübergangs bei einer Lufttemperatur von etwa 5555-55 °C. Zusammen mit den in Kapitel 2.4 ausgeführten Überlegungen ist nicht ausgeschlossen, daß der Ballongummi eine andere Temperatur hat. In diesem Sinne ist die aus den Simulationen abgeleitete Temperatur hauptsächlich eine Information über die maximale Höhe, die ein Ballon unter optimalen Umständen erreichen kann.

2.6 Aerodynamik

Auf einen in z𝑧z-Richtung aufsteigenden Gasballon der Masse M𝑀M wirkt der Nettoauftrieb Fasubscript𝐹𝑎F_{a} und die Reibungskraft FRsubscript𝐹𝑅F_{R}

Mz¨𝑀¨𝑧\displaystyle M\ddot{z} =\displaystyle= Fa+FRsubscript𝐹𝑎subscript𝐹𝑅\displaystyle F_{a}+F_{R} (2.26)

wobei die Reibungskraft durch den Ansatz nach Newton beschrieben wird:

FRsubscript𝐹𝑅\displaystyle F_{R} =\displaystyle= 12cwAqρLvz|vz|12subscript𝑐𝑤subscript𝐴𝑞subscript𝜌Lsubscript𝑣𝑧subscript𝑣𝑧\displaystyle-\frac{1}{2}c_{w}A_{q}\rho_{\mathrm{L}}v_{z}|v_{z}| (2.27)

Aqsubscript𝐴𝑞A_{q} ist die Querschnittsfläche in Bewegungsrichtung, cwsubscript𝑐𝑤c_{w} der Widerstandsbeiwert und vzsubscript𝑣𝑧v_{z} die vertikale Geschwindigkeit des Ballons. Die Lösung der Differentialgleichung 2.26 ist:

z(t)𝑧𝑡\displaystyle z(t) =\displaystyle= lln[cosh(tv/l)]𝑙𝑡subscript𝑣𝑙\displaystyle l\ln\left[\cosh\left(tv_{\infty}/l\right)\right] (2.28)
vz(t)subscript𝑣𝑧𝑡\displaystyle v_{z}(t) =\displaystyle= vtanh(tv/l)subscript𝑣𝑡subscript𝑣𝑙\displaystyle v_{\infty}\tanh\left(tv_{\infty}/l\right) (2.29)

Die Endgeschwindigkeit vsubscript𝑣v_{\infty} und die Längenskala l𝑙l berechnen sich aus den Parametern des Ballons zu:

vsubscript𝑣\displaystyle v_{\infty} =\displaystyle= lFaM,l=2McwAqρL𝑙subscript𝐹𝑎𝑀𝑙2𝑀subscript𝑐𝑤subscript𝐴𝑞subscript𝜌L\displaystyle\sqrt{\frac{lF_{a}}{M}},\qquad l=\frac{2M}{c_{w}A_{q}\rho_{\mathrm{L}}} (2.30)

Mit einer Referenzluftdichte333ρL,Ref=1,204subscript𝜌LRef1.204\rho_{\mathrm{L},\mathrm{Ref}}=1,204 k g /^ 3 m , siehe Anhang A. ρL,Refsubscript𝜌LRef\rho_{\mathrm{L},\mathrm{Ref}} kann diese Gleichung weiter vereinfacht werden:

vsubscript𝑣\displaystyle v_{\infty} =\displaystyle= v,0ρL,RefρL,v,0:=2FacwAqρL,Refassignsubscript𝑣.0subscript𝜌LRefsubscript𝜌Lsubscript𝑣.02subscript𝐹𝑎subscript𝑐𝑤subscript𝐴𝑞subscript𝜌LRef\displaystyle v_{\infty,0}\sqrt{\frac{\rho_{\mathrm{L},\mathrm{Ref}}}{\rho_{\mathrm{L}}}},\qquad v_{\infty,0}:=\sqrt{\frac{2F_{a}}{c_{w}A_{q}\rho_{\mathrm{L},\mathrm{Ref}}}} (2.31)

Ein Kartenballon erreicht innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde die Endgeschwindigkeit vsubscript𝑣v_{\infty}. Das Gesamtgewicht M𝑀M eines Ballons hängt von den verwendeten Karten444Ballonpostkarten haben das übliche Format 105×148105148105\times 148 mm, sind aber mit 80 g/m2 deutlich leichter als Standardpostkarten. und Materialien ab.

Eine kleine Auswahl bietet die folgende Tabelle:

Postkarte : 3,8 g
Ballonkarte : 1,6 g
Geschenkband mit Plastikclip : 0,9 g
Papierkarte in PE-Hülle : 2,0 g

Für den Widerstandsbeiwert cwsubscript𝑐𝑤c_{w} findet man:

cwsubscript𝑐𝑤c_{w} Bemerkung
0,44 Literaturwert Kugel [94]
0,81±0,02plus-or-minus0.810.020,81\pm 0,02 Ballon alleine beim Aufsteigen
0,93±0,09plus-or-minus0.930.090,93\pm 0,09 Ballon mit Karte
0,960.960,96 Pilotballon nach [62]

Wenn man die geringe Abweichung eines Ballons von der Kugelform bedenkt, erscheint die deutliche Abweichung des klassischen Literaturwerts für eine Kugel zunächst erstaunlich. Der Unterschied ist aber nur zu einem geringen Teil auf die veränderte Geometrie zurückzuführen. Messungen des Strömungswiderstandes gehen von einem fixierten Prüfkörper aus, was einem im Vergleich zum umgebenden Medium sehr dichten beweglichen Körper entspricht. Ein steigender Ballon hat aber offensichtlich eine geringere mittlere Dichte als Luft, so daß die intensive Wechselwirkung mit der Wirbelschleppe den Luftwiderstand erhöht [62, 80].

Um diesen Befund unter realistischen Bedingungen weiter abzusichern, wurde der gefundene cwsubscript𝑐𝑤c_{w}-Wert mit den Aufstiegsgeschwindigkeiten von angepeilten Ballons in Bodennähe in Tabelle 2.1 verglichen. Zu beachten ist, daß die angegebenen Steiggeschwindigkeiten stark durch die Variabilität des Windes in Bodennähe schwanken (vgl. Abb. 6.2).

Datum Durchmesser Höhe Zeit nach Start vzsubscript𝑣𝑧v_{z} vz,theosubscript𝑣𝑧theov_{z,\mathrm{theo}} Quelle
30.08.1998 6,6 ′ 24 ° 45 s 1,3 m/s 1,32 m/s Photo
20.09.1998 21,0 ′ 31 ° 15 s 1,5 m/s 1,34 m/s Photo
21.07.1999 15,6 ′ 24 ° 25 s 1,0 m/s 1,51 m/s Photo
05.08.1999 9,0 ′ 38 ° 40 s 1,7 m/s 1,45 m/s Photo
14.01.2001 \approx 6 ″ 14 ° 20 min 1,8 m/s 1,14 m/s Teleskop
Tabelle 2.1: Auswertung der Steiggeschwindigkeit vzsubscript𝑣𝑧v_{z} aus Ballonstarts. Die vorletzte Spalte enthält theoretische Werte nach Gl. 2.30. Die Ballons sind Teil der in Kapitel 6.4 vorgestellten Versuchsreihe.

Platzt der Ballon durch äußere Einflüsse oder ein zu großes Volumen, fällt die Karte zu Boden. Für eine einzelne Karte in einer PE-Hülle findet man v,0=1,0±0,12subscript𝑣.0plus-or-minus1.00.12v_{\infty,0}=1,0\pm 0,12 m/s. Die wirksame Fläche Aw=cwAqsubscript𝐴𝑤subscript𝑐𝑤subscript𝐴𝑞A_{w}=c_{w}A_{q} beträgt in diesem Fall 326 cm2.

2.7 Permeabilität

Die Gummihülle eines Ballons schließt die Gasfüllung nicht hermetisch ein, sondern erlaubt einen geringen Gasaustausch, der im Laufe der Zeit zum Schrumpfen des Ballons führt. Der Gastransport durch die Gummihülle kann in zwei Prozesse zerlegt werden: Das Gas löst sich zunächst in der Membran (beschrieben durch das Henry-Gesetz) und diffundiert anschließend durch die Membran. Die Kombination beider Prozesse liefert die Stoffmenge pro Zeit N˙˙𝑁\dot{N}, mit der das Gas eine Membran der Fläche A𝐴A und der Dicke d𝑑d durchdringt:

N˙˙𝑁\displaystyle\dot{N} =\displaystyle= QAdΔp𝑄𝐴𝑑Δ𝑝\displaystyle Q\frac{A}{d}\Delta p (2.32)

Getrieben wird der Fluß durch eine Partialdruckdifferenz ΔpΔ𝑝\Delta p. Aus diesem Grund ist der Gasverlust eines Luftballons deutlich kleiner als der eines Heliumballons, obwohl die Permeabilitäten selbst für beide Gase vergleichbar sind. Die Permeabilität Q𝑄Q läßt sich aus der Diffusivität D𝐷D und der Henry-Konstante kHsubscript𝑘𝐻k_{H} berechnen:

Q𝑄\displaystyle Q =\displaystyle= DkH𝐷subscript𝑘𝐻\displaystyle Dk_{H} (2.33)

Q𝑄Q ist temperaturabhängig. In Analogie zu Arrhenius-Gleichung gilt die Näherung

Q(T)𝑄𝑇\displaystyle Q(T) =\displaystyle= Q0exp(TQ(1/T1/T0))subscript𝑄0subscript𝑇𝑄1𝑇1subscript𝑇0\displaystyle Q_{0}\exp\big{(}-T_{Q}(1/T-1/T_{0})\big{)} (2.34)

wobei TQsubscript𝑇𝑄T_{Q} die in eine Temperatur umgerechnete Aktivierungsenergie der beteiligten Prozesse ist. Q0subscript𝑄0Q_{0} ist der bei der Temperatur T0subscript𝑇0T_{0} bestimmte Referenzwert. Für die weiteren Betrachtungen wird TQ1700subscript𝑇𝑄1700T_{Q}\approx 1700 K (geschätzt nach [102]) verwendet. Gleichung 2.32 läßt sich für ein ideales Gas leicht mit Hilfe der Konzentration n𝑛n schreiben:

N˙˙𝑁\displaystyle\dot{N} =\displaystyle= δAdΔn𝛿𝐴𝑑Δ𝑛\displaystyle\delta\frac{A}{d}\Delta n (2.35)

Einsetzen der idealen Gasgleichung liefert die auf die Konzentrationsdifferenz ΔnΔ𝑛\Delta n bezogene Größe

δ𝛿\displaystyle\delta :=assign\displaystyle:= QRT𝑄𝑅𝑇\displaystyle QRT (2.36)

die weiterhin ebenfalls kurz als Permeabilität555Um Mehrdeutigkeiten auszuschließen wird in dieser Arbeit ausschließlich δ𝛿\delta verwendet. bezeichnet wird. Die Temperaturabhängigkeit ist:

δ(T)𝛿𝑇\displaystyle\delta(T) =\displaystyle= δ0TT0exp(TQ(1/T1/T0))subscript𝛿0𝑇subscript𝑇0subscript𝑇𝑄1𝑇1subscript𝑇0\displaystyle\delta_{0}\frac{T}{T_{0}}\exp\big{(}-T_{Q}(1/T-1/T_{0})\big{)} (2.37)
δ0subscript𝛿0\displaystyle\delta_{0} :=assign\displaystyle:= Q0RT0subscript𝑄0𝑅subscript𝑇0\displaystyle Q_{0}RT_{0} (2.38)

Die Modellierung der Temperaturabhängigkeit der Permeabilität hat einen entscheidenden Einfluß auf den Gasverlust in großer Höhe und damit die Flugweite. Tabelle 2.2 gibt einen Überblick über die Permeabilität von Ballongummi für verschiedene Gase. Die letzte Spalte enthält Werte für vulkanisierten Naturgummi, die nur bedingt auf Ballongummi übertragen werden können.

δ[106\delta[10^{-6} dm2/h]]] melloc© 32 cm melloc© 13 cm Daten von [92] Daten von [102]
N2 1,2±0,2plus-or-minus1.20.21,2\pm 0,2 1,2±0,7plus-or-minus1.20.71,2\pm 0,7    – 1,67
O2 2,2±0,9plus-or-minus2.20.92,2\pm 0,9 3,3±1,7plus-or-minus3.31.73,3\pm 1,7    – 4,78
Luft 1,3±0,3plus-or-minus1.30.31,3\pm 0,3 1,6±0,7plus-or-minus1.60.71,6\pm 0,7 0,70.70,7    –
H2 6,2±0,5plus-or-minus6.20.56,2\pm 0,5 7,4±1,0plus-or-minus7.41.07,4\pm 1,0 7,27.27,2 10,71
He    –    – 3,83.83,8 6,31
CO2    – 22±3plus-or-minus22322\pm 3    – 27,53
Tabelle 2.2: Permeabilitäten δ𝛿\delta des Ballongummis bei Zimmertemperatur und Normdruck. Die Volksbankballons sind mit den Daten der melloc© 32 cm Ballons konsistent.

2.8 Diffusion

Mit den Permeabilitäten der beteiligten Gase kann der Volumenverlust eines Ballons als Funktion der Zeit bestimmt werden. In der Praxis sind zwei Gase – Luft und die Ballonfüllung – oft ausreichend für eine genaue Beschreibung. Da Luft im wesentlichen ein Gemisch aus Stickstoff und Sauerstoff ist, bietet es sich aber an, noch ein weiteres Gas hinzuzufügen und einen Ballon mit drei verschiedenen Füllgasen als Modell zu verwenden. Die Konzentration der drei Gase im Außenraum sei unabhängig von der Zeit n1,n2subscript𝑛1subscript𝑛2n_{1},n_{2} und n3subscript𝑛3n_{3}. Die Stoffmengen der Gase im Ballon werden durch N1,N2subscript𝑁1subscript𝑁2N_{1},N_{2} und N3subscript𝑁3N_{3} gegeben. Jedes Gas hat eine individuelle Permeabilität δisubscript𝛿𝑖\delta_{i}. Die Zeitentwicklung der Stoffmengen nach Gl. 2.35 ist dann:

ddt(N1N2N3)𝑑𝑑𝑡subscript𝑁1subscript𝑁2subscript𝑁3\displaystyle\frac{d}{dt}\left(\begin{array}[]{l}N_{1}\\ N_{2}\\ N_{3}\end{array}\right) =\displaystyle= Ad(δ1(n1N1/V)δ2(n2N2/V)δ3(n3N3/V))𝐴𝑑subscript𝛿1subscript𝑛1subscript𝑁1𝑉subscript𝛿2subscript𝑛2subscript𝑁2𝑉subscript𝛿3subscript𝑛3subscript𝑁3𝑉\displaystyle\frac{A}{d}\left(\begin{array}[]{l}\delta_{1}(n_{1}-N_{1}/V)\\ \delta_{2}(n_{2}-N_{2}/V)\\ \delta_{3}(n_{3}-N_{3}/V)\\ \end{array}\right) (2.45)

Die Dicke d𝑑d der Gummihülle ergibt sich in sehr guter Näherung aus dem Gummivolumen der Hülle zu d=VGummi/A𝑑subscript𝑉Gummi𝐴d=V_{\mathrm{Gummi}}/A. Alle weiteren Parameter wie der Innendruck pinnensubscript𝑝innenp_{\mathrm{innen}}, der Außendruck paußensubscript𝑝außenp_{\mathrm{au\mathchar 28697\relax{}en}} und die Temperatur T𝑇T werden als konstant angenommen. Zur Vereinfachung der Gleichung werden neue Variablen Vi=NiRT/pinnensubscript𝑉𝑖subscript𝑁𝑖𝑅𝑇subscript𝑝innenV_{i}=N_{i}RT/p_{\mathrm{innen}} und ri=niRT/paußensubscript𝑟𝑖subscript𝑛𝑖𝑅𝑇subscript𝑝außenr_{i}=n_{i}RT/p_{\mathrm{au\mathchar 28697\relax{}en}} eingeführt:

ddt(V1V2V3)𝑑𝑑𝑡subscript𝑉1subscript𝑉2subscript𝑉3\displaystyle\frac{d}{dt}\left(\begin{array}[]{l}V_{1}\\ V_{2}\\ V_{3}\end{array}\right) =\displaystyle= A2VVGummi1p~(δ1(p~r1)δ1r1δ1r1δ2r2δ2(p~r2)δ2r2δ3r3δ3r3δ3(p~r3))(V1V2V3)superscript𝐴2𝑉subscript𝑉Gummi1~𝑝subscript𝛿1~𝑝subscript𝑟1subscript𝛿1subscript𝑟1subscript𝛿1subscript𝑟1subscript𝛿2subscript𝑟2subscript𝛿2~𝑝subscript𝑟2subscript𝛿2subscript𝑟2subscript𝛿3subscript𝑟3subscript𝛿3subscript𝑟3subscript𝛿3~𝑝subscript𝑟3subscript𝑉1subscript𝑉2subscript𝑉3\displaystyle-\frac{A^{2}}{VV_{\mathrm{Gummi}}}\frac{1}{\tilde{p}}\left(\begin{array}[]{ccc}\delta_{1}(\tilde{p}-r_{1})&-\delta_{1}r_{1}&-\delta_{1}r_{1}\\ -\delta_{2}r_{2}&\delta_{2}(\tilde{p}-r_{2})&-\delta_{2}r_{2}\\ -\delta_{3}r_{3}&-\delta_{3}r_{3}&\delta_{3}(\tilde{p}-r_{3})\\ \end{array}\right)\left(\begin{array}[]{c}V_{1}\\ V_{2}\\ V_{3}\end{array}\right) (2.55)
V𝑉\displaystyle V =\displaystyle= iVi1=irisubscript𝑖subscript𝑉𝑖1subscript𝑖subscript𝑟𝑖\displaystyle\sum_{i}V_{i}\qquad 1=\sum_{i}r_{i} (2.56)
p~~𝑝\displaystyle\tilde{p} :=assign\displaystyle:= pinnenpaußen1subscript𝑝innensubscript𝑝außen1\displaystyle\frac{p_{\mathrm{innen}}}{p_{\mathrm{au\mathchar 28697\relax{}en}}}\geq 1 (2.57)

Zur weiteren Untersuchung wird die Matrix in Gl. 2.55 diagonalisiert. Die Eigenwerte γisubscript𝛾𝑖\gamma_{i} sind Lösungen der Gleichung:

j=13δjrjδjγi=p~superscriptsubscript𝑗13subscript𝛿𝑗subscript𝑟𝑗subscript𝛿𝑗subscript𝛾𝑖~𝑝\sum_{j=1}^{3}\frac{\delta_{j}r_{j}}{\delta_{j}-\gamma_{i}}=\tilde{p} (2.58)

Hieraus läßt sich direkt eine Ungleichung für die Nullstellen ablesen:

δ3γ3>δ2γ2>δ1γ10subscript𝛿3subscript𝛾3subscript𝛿2subscript𝛾2subscript𝛿1subscript𝛾10\delta_{3}\geq\gamma_{3}>\delta_{2}\geq\gamma_{2}>\delta_{1}\geq\gamma_{1}\geq 0 (2.59)

Die den Eigenwerten γisubscript𝛾𝑖\gamma_{i} entsprechenden Eigenvektoren sind

v~isubscript~𝑣𝑖\displaystyle\tilde{v}_{i} =\displaystyle= 1p~(δ1r1δ1γiδ2r2δ2γiδ3r3δ3γi)1~𝑝subscript𝛿1subscript𝑟1subscript𝛿1subscript𝛾𝑖subscript𝛿2subscript𝑟2subscript𝛿2subscript𝛾𝑖subscript𝛿3subscript𝑟3subscript𝛿3subscript𝛾𝑖\displaystyle\frac{1}{\tilde{p}}\left(\begin{array}[]{l}\frac{\delta_{1}r_{1}}{\delta_{1}-\gamma_{i}}\\ \frac{\delta_{2}r_{2}}{\delta_{2}-\gamma_{i}}\\ \frac{\delta_{3}r_{3}}{\delta_{3}-\gamma_{i}}\end{array}\right) (2.63)

wobei jeder Eigenvektor ein Gasgemisch mit einem Einheitsvolumen beschreibt:

11\displaystyle 1 =\displaystyle= j=13(v~i)jsuperscriptsubscript𝑗13subscriptsubscript~𝑣𝑖𝑗\displaystyle\sum_{j=1}^{3}(\tilde{v}_{i})_{j} (2.64)

Der Index j𝑗j bezieht sich auf die einzelnen Komponenten des Vektors v~isubscript~𝑣𝑖\tilde{v}_{i}. Da der Innendruck nur wenig größer ist als der Außendruck, kann der kleinste Eigenwert γ1subscript𝛾1\gamma_{1} über eine Entwicklung nach p~1~𝑝1\tilde{p}-1 bestimmt werden:

1barδ1bar𝛿\displaystyle\frac{1}{\mathrm{bar}\delta} :=assign\displaystyle:= i=13riδisuperscriptsubscript𝑖13subscript𝑟𝑖subscript𝛿𝑖\displaystyle\sum_{i=1}^{3}\frac{r_{i}}{\delta_{i}} (2.65)
γ1subscript𝛾1\displaystyle\gamma_{1} =\displaystyle= barδ(p~1)+𝒪((p~1)2)bar𝛿~𝑝1𝒪superscript~𝑝12\displaystyle\mathrm{bar}\delta\,(\tilde{p}-1)+\mathcal{O}\left((\tilde{p}-1)^{2}\right) (2.66)

barδbar𝛿\mathrm{bar}\delta kann als die mittlere Permeabilität eines Gasgemisches angesehen werden. Für den kleinsten Eigenwert γ1subscript𝛾1\gamma_{1} hat die durch v~1subscript~𝑣1\tilde{v}_{1} beschriebene Gasmischung praktisch die Gaszusammensetzung des Außenraums. Dies entspricht einem luftgefüllten Ballon, dessen Gasverlust ausschließlich durch den Drucksprung der Ballonhülle getrieben wird. Die Differentialgleichungen für die Eigenfunktionen V~isubscript~𝑉𝑖\tilde{V}_{i} sind nun:

V𝑉\displaystyle V =\displaystyle= V~1+V~2+V~3subscript~𝑉1subscript~𝑉2subscript~𝑉3\displaystyle\tilde{V}_{1}+\tilde{V}_{2}+\tilde{V}_{3} (2.67)
ddt(V~1V~2V~3)𝑑𝑑𝑡subscript~𝑉1subscript~𝑉2subscript~𝑉3\displaystyle\frac{d}{dt}\left(\begin{array}[]{l}\tilde{V}_{1}\\ \tilde{V}_{2}\\ \tilde{V}_{3}\end{array}\right) =\displaystyle= A2VVGummi(γ1V~1γ2V~2γ3V~3)superscript𝐴2𝑉subscript𝑉Gummisubscript𝛾1subscript~𝑉1subscript𝛾2subscript~𝑉2subscript𝛾3subscript~𝑉3\displaystyle-\frac{A^{2}}{VV_{\mathrm{Gummi}}}\left(\begin{array}[]{l}\gamma_{1}\tilde{V}_{1}\\ \gamma_{2}\tilde{V}_{2}\\ \gamma_{3}\tilde{V}_{3}\end{array}\right) (2.74)

Einsetzen des Ansatzes

V~i(t)subscript~𝑉𝑖𝑡\displaystyle\tilde{V}_{i}(t) =\displaystyle= V~0,iexp(u(t)γi)subscript~𝑉0𝑖𝑢𝑡subscript𝛾𝑖\displaystyle\tilde{V}_{0,i}\exp(-u(t)\gamma_{i}) (2.75)

reduziert das Differentialgleichungssystem auf die Bestimmung der Hilfsfunktion u(t)𝑢𝑡u(t):

u˙˙𝑢\displaystyle\dot{u} =\displaystyle= A(u)2V(u)VGummi𝐴superscript𝑢2𝑉𝑢subscript𝑉Gummi\displaystyle\frac{A(u)^{2}}{V(u)V_{\mathrm{Gummi}}} (2.76)
t𝑡\displaystyle t =\displaystyle= 0u(t)VGummiV(u)A(u)2𝑑usuperscriptsubscript0𝑢𝑡subscript𝑉Gummi𝑉𝑢𝐴superscript𝑢2differential-d𝑢\displaystyle\int_{0}^{u(t)}V_{\mathrm{Gummi}}\frac{V(u)}{A(u)^{2}}du (2.77)

Gleichung 2.77 stellt u(t)𝑢𝑡u(t) implizit dar. Aus den Eigenfunktionen in Gl. 2.75 können dann die Funktionen Vi(t)subscript𝑉𝑖𝑡V_{i}(t) mit Hilfe der Eigenvektoren in Gl. 2.63 linear kombiniert werden. Ist nur ein V~0,i0subscript~𝑉0𝑖0\tilde{V}_{0,i}\not=0, läßt sich die Lösung explizit angeben:

τisubscript𝜏𝑖\displaystyle\tau_{i} :=assign\displaystyle:= V0,iVGummiγiA0,i2subscript𝑉0𝑖subscript𝑉Gummisubscript𝛾𝑖superscriptsubscript𝐴0𝑖2\displaystyle\frac{V_{0,i}V_{\mathrm{Gummi}}}{\gamma_{i}A_{0,i}^{2}} (2.78)
V~i(t)subscript~𝑉𝑖𝑡\displaystyle\tilde{V}_{i}(t) =\displaystyle= V0,i(1+t/(3τi))3subscript𝑉0𝑖superscript1𝑡3subscript𝜏𝑖3\displaystyle\frac{V_{0,i}}{\left(1+t/(3\tau_{i})\right)^{3}} (2.79)

Zur Zeit t=τi𝑡subscript𝜏𝑖t=\tau_{i} ist das Volumen etwa auf die Hälfte abgefallen. Bei einem vernachlässigbaren Drucksprung (p~=1~𝑝1\tilde{p}=1) hat das Diffusionsproblem eine Erhaltungsgröße. Über die Eigenvektoren wisubscript𝑤𝑖w_{i} der transponierten Matrix

wisubscript𝑤𝑖\displaystyle w_{i} =\displaystyle= (1δ1γi1δ2γi1δ3γi)1subscript𝛿1subscript𝛾𝑖1subscript𝛿2subscript𝛾𝑖1subscript𝛿3subscript𝛾𝑖\displaystyle\left(\begin{array}[]{l}\frac{1}{\delta_{1}-\gamma_{i}}\\ \frac{1}{\delta_{2}-\gamma_{i}}\\ \frac{1}{\delta_{3}-\gamma_{i}}\end{array}\right) (2.83)

gewinnt man mit γ1=0subscript𝛾10\gamma_{1}=0 die explizite Darstellung:

i=13Vi(t)δisuperscriptsubscript𝑖13subscript𝑉𝑖𝑡subscript𝛿𝑖\displaystyle\sum_{i=1}^{3}\frac{V_{i}(t)}{\delta_{i}} =\displaystyle= konst. (2.84)

Die obenstehenden Gleichungen können sofort auf höherdimensionale Matrizen desselben Typs verallgemeinert werden.

Kapitel 3 Wetter

3.1 UV-Strahlung und Ozon

Die Sonneneinstrahlung in Verbindung mit Oxidantien in der Luft hat einen starken Einfluß auf die Haltbarkeit eines Gummiballons. Die UV-Strahlung zerstört dabei den Gummi nicht nur direkt durch das Aufbrechen der Polymerketten, sondern vor allem durch die dadurch ermöglichten radikalischen Reaktionen mit Ozon und Stickstoffoxiden. Einmal gestartet, laufen diese Reaktionen auch im Dunkeln weiter und führen schließlich zum Zerfall des Gummis bzw. Platzen des Ballons [45].

Experimente von Burchette [15] bestätigen dieses Szenario, in dem durch Witterungseinflüsse und Sonnenlicht bereits im Laufe eines Tages der Großteil der Testballons zerstört wird. Die Zerfallsrate nimmt mit der Spannung des Gummis zu, so daß besonders stark aufgeblasene Ballons zuerst platzen [72].

In milder Form macht sich die Oxidation des Gummis bereits nach einigen Stunden durch eine Mattierung der Ballonoberfläche bemerkbar, die von einem erhöhten Gasverlust begleitet wird [39].

Während die Wichtigkeit der UV-Strahlung außer Frage steht, ist die realistische Modellierung weitaus schwieriger. Ballonspannung, die Hysterese der Ballonhülle und die Volumenänderung beim Aufstieg wechselwirken mit der Oxidation des Gummis und den wechselnden Wettereinflüssen. Ohne kontrolliert durchgeführte Experimente ist es kaum möglich, eine theoretische Beschreibung zu gewinnen. Aus diesem Grund wird auf die direkte Modellierung dieses Prozesses zugunsten einer empirischen Untersuchung der Ballonflugdaten verzichtet.

3.2 Regen und Luftfeuchtigkeit

Regen ist allgegenwärtig. Rund 50 % aller Tage in Deutschland gelten als Regentage, haben also einen Gesamtniederschlag von mehr als 0,1 mm in 24 Stunden [53]. Die Wichtigkeit auch geringer Niederschläge für die Simulation eines Ballons läßt sich verdeutlichen, indem man die Wirkung eines Regens mit Niederschlagsrate w𝑤w auf den Auftrieb mit dem Verlust des Füllgases vergleicht. Die jeweiligen Auftriebsverluste F˙asubscript˙𝐹𝑎\dot{F}_{a} durch diese beiden Prozesse sind:

F˙a,Regensubscript˙𝐹𝑎Regen\displaystyle\dot{F}_{a,\mathrm{Regen}} \displaystyle\approx gwAeffρW𝑔𝑤subscript𝐴effsubscript𝜌𝑊\displaystyle-gwA_{\mathrm{eff}}\rho_{W} (3.1)
F˙a,Diffsubscript˙𝐹𝑎Diff\displaystyle\dot{F}_{a,\mathrm{Diff}} \displaystyle\approx gρLδA2VGummi𝑔subscript𝜌L𝛿superscript𝐴2subscript𝑉Gummi\displaystyle-g\rho_{\mathrm{L}}\delta\frac{A^{2}}{V_{\mathrm{Gummi}}} (3.2)

Aeffsubscript𝐴effA_{\mathrm{eff}} repräsentiert die effektive Sammelfläche des Ballons für Regen und ρWsubscript𝜌𝑊\rho_{W} ist die Dichte von flüssigem Wasser. Die weiteren Variablen entsprechen der Nomenklatur aus Kapitel 2.8.

Auflösen von F˙a,Regen<F˙a,Diffsubscript˙𝐹𝑎Regensubscript˙𝐹𝑎Diff\dot{F}_{a,\mathrm{Regen}}<\dot{F}_{a,\mathrm{Diff}} nach w𝑤w ergibt die Bedingung für die Dominanz des Regens beim Auftriebsverlust:

w𝑤\displaystyle w \displaystyle\geq ρLρWA2δAeffVGummisubscript𝜌Lsubscript𝜌𝑊superscript𝐴2𝛿subscript𝐴effsubscript𝑉Gummi\displaystyle\frac{\rho_{\mathrm{L}}}{\rho_{W}}\frac{A^{2}\delta}{A_{\mathrm{eff}}V_{\mathrm{Gummi}}} (3.3)

Einsetzen plausibler Werte ergibt eine Größenordnung von 0,14 mm/Tag, also ein sehr leichter Nieselregen. Eine solche Wasserübernahme könnte bereits bei einem Flug durch Wolken erreicht werden. Obwohl Ballongummi einen hydrophoben Charakter hat, kann sich genug Wasser in Form großer Tropfen auf der Ballonhülle sammeln, um den Auftrieb eines Kartenballons vollständig zu neutralisieren und ihn zu Boden drücken. Eine über den Ballonquerschnitt Aqsubscript𝐴𝑞A_{q} integrierte Niederschlagsmenge von 0,1 mm ist dafür bereits ausreichend. Zufälligerweise entspricht diese Niederschlagsmenge dem Mindestniederschlag von 0,1 mm, um einen Tag als Regentag zu bezeichnen. Zusätzlich zu der Belastung des Ballons durch anhaftendes Wasser kann auf der Hülle gefrierender Regen zu einem verfrühten Platzen der Hülle führen und so den Ballonflug direkt beenden111Dieses Phänomen ist bei Radiosondenballons bekannt [81].. Folglich bringt jeder ausgeprägte Niederschlag einen Ballon mit großer Wahrscheinlichkeit sofort zu Boden.

Leider sind frei verfügbare Daten zu grobmaschig, um die lokal sehr stark schwankende Niederschlagsverteilung ausreichend aufzulösen [2, 75]. Die größte für die Forschung freie Wetterdatensammlung in Europa ist das European Climate Assessment & Dataset [53]. Auch hier schwankt die Dichte der verfügbaren Stationen sehr stark und ist in vielen europäischen Ländern zu gering, zudem sind die Niederschlagsdaten nur integriert pro Tag verfügbar. Versuchsweise wurden diese Wetterdaten über Thiessen-Polygone interpoliert, da die geringe Stationendichte die Verwendung eines einfachen und robusten Verfahrens erfordert, und mit den Trajektorienrechnungen (siehe Kap. 5) kombiniert. Eine aussagekräftige Auswertung scheiterte aber an der geringen Auflösung der Daten, so daß dieser Ansatz nicht weiter verfolgt wurde.

3.3 Atmosphäre

Die Atmosphäre gliedert sich in mehrere verschiedene dynamische Schichten. Direkt an den Boden grenzt die laminare Unterschicht mit einer Stärke von wenigen Millimeter, die durch die Viskosität der Luft dominiert wird. Daran schließt sich die Prandtl-Schicht an, ein turbulenter Luftstrom der in den unteren Bereichen von der Oberflächenstruktur bestimmt wird. Sie ist 20 bis 60 Meter dick. Die Eckman-Schicht bildet schließlich den Übergang zu dem durch Druckgradienten und Corioliskraft geprägten geostrophen Wind.

Das bodennahe Windprofil ist für den Start eines Kartenballons von besonderem Interesse. Eine oft verwendete Beschreibung ist die Monin-Obukhov-Ähnlichkeitstheorie. Sie basiert auf einer dimensionslosen Formulierung der relevanten hydrodynamischen Gleichungen und einer geschickt gewählten Schließungsbedingung. Dieser Ansatz reduziert die Differentialgleichung für das höhenabhängige Geschwindigkeitsprofil v(z)𝑣𝑧v(z) auf

Kzvvz𝐾𝑧subscript𝑣𝑣𝑧\displaystyle\frac{Kz}{v_{*}}\frac{\partial v}{\partial z} =\displaystyle= ΦM(z/L)subscriptΦ𝑀𝑧𝐿\displaystyle\Phi_{M}(z/L) (3.4)

mit der von-Kármán-Konstante K𝐾K, der Reibungsgeschwindigkeit vsubscript𝑣v_{*} und der Obukhov-Länge L𝐿L. Eine kompakte Darstellung mit weiterführender Literatur ist in [33] enthalten. Die verbleibende universelle Skalenfunktion ΦMsubscriptΦ𝑀\Phi_{M} muß experimentell bestimmt werden [16]. Für neutrale Schichtungen ist L𝐿L\rightarrow\infty und die Skalenfunktion reduziert sich auf die Konstante ΦM=1subscriptΦ𝑀1\Phi_{M}=1. In diesem Fall läßt sich Gl. 3.4 einfach integrieren und man erhält das klassische logarithmische Windprofil:

v(z)𝑣𝑧\displaystyle v(z) =\displaystyle= vKln(z/z0)subscript𝑣𝐾𝑧subscript𝑧0\displaystyle\frac{v_{*}}{K}\ln(z/z_{0}) (3.5)

Die Integrationskonstante z0subscript𝑧0z_{0} ist die sogenannte Rauhigkeitslänge, die von der Geländestruktur abhängt und ebenfalls experimentell ermittelt werden muß.

Ein erster Schritt, um die Atmosphäre in großen Höhen zu beschreiben, sind gemittelte Werte von Wind, Druck und Temperatur als Funktion der Höhe. Als Grundlage werden die Daten aus Tabelle E.1 für die mittlere Troposphäre über Deutschland verwendet, um ein einfaches und realistisches Modell zur Hand zu haben. Diese Daten lassen sich gut durch folgende Funktionen in Abhängigkeit der Höhe z𝑧z darstellen:

p[Pa]𝑝delimited-[]Pa\displaystyle p[\mbox{Pa}] =\displaystyle= 101 325exp(z7,5 km)101325𝑧7.5 km\displaystyle 101\,325\exp\left(-\frac{z}{7,5\mbox{ km}}\right) (3.6)
v[m/s]𝑣delimited-[]m/s\displaystyle v[\mbox{m/s}] =\displaystyle= 2,58z1 km+5,132.58𝑧1 km5.13\displaystyle 2,58\frac{z}{1\mbox{ km}}+5,13 (3.7)
T[C]\displaystyle T[^{\circ}\mbox{C}] =\displaystyle= T04,223z1 km0,187(z1 km)2subscript𝑇04.223𝑧1 km0.187superscript𝑧1 km2\displaystyle T_{0}-4,223\frac{z}{1\mbox{ km}}-0,187\left(\frac{z}{1\mbox{ km}}\right)^{2} (3.8)
ρ[kg/m3]𝜌delimited-[]kgsuperscriptm3\displaystyle\rho[\mbox{kg}/\mbox{m}^{3}] \displaystyle\approx 1,26exp(z9,2 km)1.26𝑧9.2 km\displaystyle 1,26\exp\left(-\frac{z}{9,2\mbox{ km}}\right) (3.9)

Die Temperatur T0subscript𝑇0T_{0} am Boden ist im Mittel 9 °C, kann aber verändert werden um verschiedene Jahreszeiten zu repräsentieren. Für einfache Studien des Flugverhaltens sind diese Gleichungen ausreichend und werden im weiteren als Referenz verwendet. Die Höhenabhängigkeit der Dichte kann aus dem Druck– und Temperaturverlauf berechnet werden und ist hier nur für analytische Abschätzungen mit angegeben.

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Abbildung 3.1: Über die Jahre 2000–2008 gemittelter Wind- und Temperaturverlauf der Radiosondenstation „10548 Meiningen“, geglättet mit einem Gauß-Kern der Breite 7 Tage. hmaxsubscripth_{\max} markiert die 5555-55 °C-Isotherme.

Die genaue Berechnung von Trajektorien erfordert zwangsläufig bessere zeit– und ortsaufgelöste Daten für den betrachteten Zeitraum und Startorte. Als Datenquelle kommen praktisch nur Radiosondenaufstiege in Frage, die die gewünschten Werte punktuell als Funktion der Höhe liefern [71]. In dieser Arbeit werden Daten von [83] verwendet, die kostenfrei für Forschung und Lehre zur Verfügung stehen. Die im HTML-Format vorliegenden Daten wurden konvertiert und einem einfachen Plausibilitätstest unterworfen, um Datenfehler zu erkennen. Die Interpolation in der Höhe erfolgt mit einer Spline-Interpolation dritter Ordnung. Datensätze mit zu wenigen Punkten wurden verworfen, um Interpolationsprobleme zu vermeiden. Die räumliche Interpolation der Daten Xisubscript𝑋𝑖X_{i} an den Stützstellen xisubscript𝑥𝑖\vec{x}_{i} erfolgt mit einer einfachen inversen Distanzgewichtung [50]

X(x)𝑋𝑥\displaystyle X(\vec{x}) =\displaystyle= iXiwiiwisubscript𝑖subscript𝑋𝑖subscript𝑤𝑖subscript𝑖subscript𝑤𝑖\displaystyle\frac{\sum_{i}X_{i}w_{i}}{\sum_{i}w_{i}} (3.10)
wisubscript𝑤𝑖\displaystyle w_{i} =\displaystyle= 1|xix|41superscriptsubscript𝑥𝑖𝑥4\displaystyle\frac{1}{|\vec{x}_{i}-\vec{x}|^{4}} (3.11)

wobei X𝑋X ein Platzhalter für die zu interpolierende Größe am Ort x𝑥\vec{x} ist. Abweichend von dem oft verwendeten Exponenten 2 in der Gewichtungsfunktion wurde der Exponent 4 gewählt, der ein glatteres Geschwindigkeitsfeld liefert und in Vergleichen mit den Ballonflugdaten geringere Fehler aufzeigt. Besonders künstliche Maxima der Windgeschwindigkeit an den Stützpunkten („Bullseye-Effekt“) werden reduziert. Der Ansatz 3.10 gewährleistet, daß die interpolierte Größe nicht das Maximum der diskreten Werte übersteigen kann. Dies gibt dem Verfahren eine große Robustheit, bedeutet aber auch eine systematische Unterschätzung von z. B. interpolierten Windgeschwindigkeiten.

Neben der inversen Distanzgewichtung stehen eine Vielzahl von Interpolationsalgorithmen zur Verfügung (siehe die Übersicht in [58]), die zum Beispiel statistische Korrelationen oder ausgefeiltere Basisfunktionen verwenden [40, 109] und dadurch eine höhere Genauigkeit erreichen können. Da die Interpolationsqualität von Radiosondendaten bereits durch die Dichte der Messpunkte limitiert ist [99] und komplexe Modelle durch die fehlende Verfügbarkeit großer Rechenleistung von vornherein ausgeschlossen waren, wurde die inverse Distanzgewichtung als bester Kompromiss gewählt. Die zeitliche Interpolation der Daten erfolgt mit einer einfachen linearen Interpolation, um störende numerische Artefakte bei dynamischen Wettersituationen zu vermeiden.

Eine anschauliche Darstellung der jahreszeitlichen Effekte gibt die Datenstatistik der Station Meiningen in Abbildung 3.1. Das Temperaturprofil folgt der Temperatur am Boden, variiert aber sonst nur wenig. Der Gang der Windgeschwindigkeit mit der Jahreszeit zeigt eine halbjährliche Periode mit einem starken Maximum im Winter und einem weiteren Maximum im Sommer, die auf Strahlströme in rund 10 km Höhe zurückzuführen sind. Die noch deutlich erkennbaren Schwankungen des gemittelten Windes deuten auf einen zu kurzen Mittelungszeitraum hin.

Die Fluktuation der Windgeschwindigkeit um diesen Mittelwert wird gut durch eine zweiparametrige Weibull-Dichtefunktion wiedergegeben [76]:

f(v)𝑓𝑣\displaystyle f(v) =\displaystyle= kv0(v/v0)k1exp((vv0)k)𝑘subscript𝑣0superscript𝑣subscript𝑣0𝑘1superscript𝑣subscript𝑣0𝑘\displaystyle\frac{k}{v_{0}}(v/v_{0})^{k-1}\exp\left(-\left(\frac{v}{v_{0}}\right)^{k}\right) (3.12)

Der Formparameter k𝑘k ist vom Ort, der Höhe und der Jahreszeit abhängig. Der jahresgemittelte Wert liegt im Bereich k=1,82,6𝑘1.82.6k=1,8\dots 2,6, so daß k=2𝑘2k=2 eine realistische Wahl ist. Für k=2𝑘2k=2 entspricht die Weibull-Verteilung der Rayleigh-Verteilung. Mittelwert E und Varianz Var sind:

E(v)E𝑣\displaystyle\mathrm{E}(v) =\displaystyle= v0Γ(1/k+1)subscript𝑣0Γ1𝑘1\displaystyle v_{0}\Gamma(1/k+1) (3.13)
=\displaystyle= v0π2für k=2subscript𝑣0𝜋2für 𝑘2\displaystyle v_{0}\frac{\sqrt{\pi}}{2}\qquad\mbox{f\"{u}r }k=2 (3.14)
Var(v)Var𝑣\displaystyle\mathrm{Var}(v) =\displaystyle= v02(Γ(2/k+1)Γ(1/k+1)2)superscriptsubscript𝑣02Γ2𝑘1Γsuperscript1𝑘12\displaystyle v_{0}^{2}\left(\Gamma(2/k+1)-\Gamma(1/k+1)^{2}\right) (3.15)
=\displaystyle= v02(1π/4)für k=2superscriptsubscript𝑣021𝜋4für 𝑘2\displaystyle v_{0}^{2}(1-\pi/4)\qquad\mbox{f\"{u}r }k=2 (3.16)

ΓΓ\Gamma ist die bekannte Gammafunktion.

3.4 Turbulenz

Neben den großskaligen Luftbewegungen, die als Wind wahrgenommen werden, ist jede Luftströmung auch von Turbulenz bis hin zu den kleinsten Skalen geprägt. Für die Simulation eines Ballons ist es sinnvoll, zwei verschiedene Anteile der Turbulenz getrennt zu betrachten: Vertikale Luftbewegungen, die das Aufsteigen des Ballons beeinflussen, sowie Fluktuationen der horizontalen Driftbewegung. Senkrechte Luftbewegungen beeinflussen das Aufsteigen des Ballons und entscheiden somit, wann und ob der Ballon seine Platzgrenze erreicht. Darüber hinaus kann eine veränderte Verweildauer in den verschiedenen Luftschichten bei starken Windscherungen auch die Flugrichtung beeinflussen. Das Ausmaß vertikaler Luftbewegungen hängt wesentlich von der Stabilität der Luftschichtung ab: Nur bei labilen Wetterlagen und starker Konvektion, in starken Windscherungen oder in der Nähe von orographischen Hindernissen ist sie bemerkbar222Die Stratosphäre zeigt durch die ihr eigene Temperaturinversion eine besonders große Stabilität. Ein Kartenballon verweilt aber praktisch nur in der Troposphäre.. Im Mittel ist die vertikale Luftbewegung recht gering; Messungen ergeben typische Geschwindigkeit im Bereich weniger Meter pro Sekunde [79]. Verkehrsflugzeuge sind nur wenige Prozent der Flugzeit Turbulenzen ausgesetzt[31], was ebenfalls für eine ruhige Atmosphäre spricht. Gegenüber dieser typischen Situation, in der die vertikale Turbulenz auf den Flug eines Ballons vernachlässigt werden kann, ist der Einfluß bei starker Konvektion unbestreitbar. Da diese Situation oft von Niederschlägen und Gewittern begleitet wird, ist ein abruptes Ende des Ballonflugs aber wahrscheinlicher als eine systematische Beeinflussung der Trajektorie. Aus diesem Grund wird dieser Effekt vernachlässigt und später über die empirischen Daten erschlossen.

Der horizontale Anteil der Turbulenz beschränkt nur die erreichbare Genauigkeit der Trajektorie. Eine erste Quantifizierung der Turbulenz bietet die Korrelation der Geschwindigkeiten v𝑣\vec{v} an zwei Orten x1subscript𝑥1\vec{x}_{1} und x2subscript𝑥2\vec{x}_{2} zu einer festen Zeit t𝑡t:

Cv(x1,x2)subscript𝐶𝑣subscript𝑥1subscript𝑥2\displaystyle C_{v}(\vec{x}_{1},\vec{x}_{2}) :=assign\displaystyle:= v(x1)v(x2)delimited-⟨⟩𝑣subscript𝑥1𝑣subscript𝑥2\displaystyle\left\langle\vec{v}(\vec{x}_{1})\cdot\vec{v}(\vec{x}_{2})\right\rangle (3.17)

Das Mittel ist hier über verschiedene Realisierungen der Strömung zu führen. Für die Betrachtung von Trajektorienfehlern ist es sinnvoller, die Korrelation der Geschwindigkeitsdifferenz ΔvΔ𝑣\Delta\vec{v} zu betrachten (Strukturfunktion zweiter Ordnung):

ΔvΔ𝑣\displaystyle\Delta\vec{v} :=assign\displaystyle:= v2v1subscript𝑣2subscript𝑣1\displaystyle\vec{v}_{2}-\vec{v}_{1} (3.18)
ΔvΔvdelimited-⟨⟩Δ𝑣Δ𝑣\displaystyle\langle\Delta\vec{v}\cdot\Delta\vec{v}\rangle =\displaystyle= Cv(x1,x1)+Cv(x2,x2)2Cv(x1,x2)subscript𝐶𝑣subscript𝑥1subscript𝑥1subscript𝐶𝑣subscript𝑥2subscript𝑥22subscript𝐶𝑣subscript𝑥1subscript𝑥2\displaystyle C_{v}(\vec{x}_{1},\vec{x}_{1})+C_{v}(\vec{x}_{2},\vec{x}_{2})-2C_{v}(\vec{x}_{1},\vec{x}_{2}) (3.19)

Bei räumlicher Homogenität der Strömung entfällt die absolute Ortsabhängigkeit:

ΔvΔvdelimited-⟨⟩Δ𝑣Δ𝑣\displaystyle\langle\Delta\vec{v}\cdot\Delta\vec{v}\rangle =\displaystyle= 2v22Cv(x2x1)2delimited-⟨⟩superscript𝑣22subscript𝐶𝑣subscript𝑥2subscript𝑥1\displaystyle 2\langle v^{2}\rangle-2C_{v}(\vec{x}_{2}-\vec{x}_{1}) (3.20)

Eine alternative Charakterisierung ist die spektralen Verteilung der kinetischen Energie, die aus dem Mittel der fouriertransformierten Geschwindigkeiten v(k)𝑣𝑘\vec{v}(\vec{k}) gewonnen wird:

E(k)𝐸𝑘\displaystyle E(\vec{k}) :=assign\displaystyle:= 12|v(k)|212delimited-⟨⟩superscript𝑣𝑘2\displaystyle\frac{1}{2}\langle\left|\vec{v}(\vec{k})\right|^{2}\rangle (3.21)

Die Geschwindigkeitskorrelation steht über dem Faltungstheorem in Zusammenhang mit der spektralen Verteilung der kinetischen Energie

E(k)𝐸𝑘\displaystyle E(\vec{k}) =\displaystyle= 12C~v(k)12subscript~𝐶𝑣𝑘\displaystyle\frac{1}{2}\tilde{C}_{v}(\vec{k}) (3.22)

wobei C~v(k)subscript~𝐶𝑣𝑘\tilde{C}_{v}(\vec{k}) die fouriertransformierte Korrelation aus Gl. 3.17 ist. Bei räumlicher Isotropie kann das Spektrum weiter zu einer eindimensionalen Funktion reduziert werden. Für ein zweidimensionales Problem (z. B. stabil geschichtete Atmosphäre) erhält man die Projektion

E(k)𝐸𝑘\displaystyle E(k) =\displaystyle= E(k)δ(k|k|)𝑑k2𝐸superscript𝑘𝛿𝑘superscript𝑘differential-dsuperscriptsuperscript𝑘2\displaystyle\int E(\vec{k}^{\prime})\delta(k-|\vec{k}^{\prime}|)d{k^{\prime}}^{2} (3.23)

wobei hier δ𝛿\delta die Dirac-Funktion ist. Die Strukturfunktion und das Energiespektrum der Atmosphäre sind zeit– und ortsabhängig. Globale Mittelwerte sind aber ein robustes Maß für die Verhältnisse in der Atmosphäre [95]. Als Basis für die weitere Betrachtung wird deshalb das global gemittelte Ergebnis von [60] für eine Höhe von etwa 10 km angegeben:

ΔvΔv[m/s]delimited-⟨⟩Δ𝑣Δ𝑣delimited-[]ms\displaystyle\langle\Delta\vec{v}\cdot\Delta\vec{v}\rangle\left[\square\mathrm{m}\mathrm{/}\square\mathrm{s}\right] =\displaystyle= 7,6×103r2/3+8,9×109r20,59×109r2lnr7.6superscript103superscript𝑟238.9superscript109superscript𝑟20.59superscript109superscript𝑟2𝑟\displaystyle 7,6\times 10^{-3}r^{2/3}+8,9\times 10^{-9}r^{2}-0,59\times 10^{-9}r^{2}\ln r (3.24)
E(k)[m3/s]𝐸𝑘delimited-[]superscriptm3s\displaystyle E(k)\left[\mathrm{{}^{3}}\mathrm{m}\mathrm{/}\square\mathrm{s}\right] =\displaystyle= 9,1×104k5/3+3×1010k39.1superscript104superscript𝑘533superscript1010superscript𝑘3\displaystyle 9,1\times 10^{-4}k^{-5/3}+3\times 10^{-10}k^{-3} (3.25)
r𝑟\displaystyle r =\displaystyle= |x2x1|subscript𝑥2subscript𝑥1\displaystyle|\vec{x}_{2}-\vec{x}_{1}| (3.26)

r𝑟r und k𝑘k sind jeweils in SI-Einheiten einzusetzen.

Die in Gl. 3.24 beschriebenen Geschwindigkeitsfluktuationen treiben zwei benachbarte Ballons mit der Zeit auseinander. Dieser Effekt ist dabei fundamentaler Natur: Selbst wenn die Startorte der Ballons beliebig nahe beieinander sind, entfernen sich die Ballons durch diesen diffusiven Prozess. Dieser Aspekt deterministischen Chaos limitiert die Genauigkeit einer Trajektorienberechnung unabhängig von der Datenqualität und dem verwendeten Algorithmus. Für die mittlere Entfernung r𝑟r gleichzeitig gestarteter Ballons als Funktion der Zeit t𝑡t gilt das klassische Ergebnis von Richardson [84]

r2(t)delimited-⟨⟩superscript𝑟2𝑡\displaystyle\langle r^{2}(t)\rangle =\displaystyle= 280243(tϵ)3280243superscript𝑡italic-ϵ3\displaystyle\frac{280}{243}(t\epsilon)^{3} (3.27)
=\displaystyle= 0,62km2h3t3superscript0.62superscriptkm2superscripth3superscript𝑡3\displaystyle 0,6^{2}\frac{\mathrm{km}^{2}}{\mathrm{h}^{3}}t^{3} (3.28)

mit einem Wert des Parameters ϵ=italic-ϵabsent\epsilon= 0,0187 m/2/3{}^{2/3}/s. Die Gültigkeit dieses Gesetzes hängt von der Luftschicht und der absoluten Größe der Ballonverteilung ab. Auf globalen Skalen geht das Richardson-Gesetz in eine normale Diffusion über [57].

Die mittlere Entfernung in Gl. 3.27 gibt nur eine grobe Vorstellung über die Verteilung der Ballons im Raum. Eine genauere Charakterisierung erlaubt eine Dichtefunktion fr(r,t)subscript𝑓𝑟𝑟𝑡f_{r}(r,t), welche die Verteilung der Ballons als Funktion der Zeit t𝑡t und dem Abstand r𝑟r zum Mittelpunkt der Ballonverteilung angibt. Über die genaue Form dieser Dichtefunktion herrscht weniger Gewißheit (vergleiche [8, 9, 10, 12]). Allgemein sind die Lösungen aber von der Form frexp(ra)proportional-tosubscript𝑓𝑟superscript𝑟𝑎f_{r}\propto\exp(-r^{a}) [11], wobei es verschiedene Ansichten über die richtige Wahl des Exponenten a𝑎a gibt. Richardson gibt die eindimensionale Dichtefunktion

fr(r,t)subscript𝑓𝑟𝑟𝑡\displaystyle f_{r}(r,t) =\displaystyle= 94π(tϵ)3/2exp(94|r|2/3tϵ)94𝜋superscript𝑡italic-ϵ3294superscript𝑟23𝑡italic-ϵ\displaystyle\frac{9}{4\sqrt{\pi}(t\epsilon)^{3/2}}\exp\left(-\frac{9}{4}\frac{|r|^{2/3}}{t\epsilon}\right) (3.29)

in seiner Arbeit an. Bei einer maximalen Ballonflugzeit von 20 Stunden liefert Gl. 3.28 eine unvermeidbare mittlere Streuung in den Trajektorien gleichzeitig gestarteter Ballons von rund 60 km. Auch wenn dieser Wert eine kilometergenaue Berechnung von Ballontrajektorien ausschließt, ist er deutlich kleiner als die Strecke von mehreren 100 Kilometern, die ein Kartenballon typischerweise in 20 Stunden zurückgelegt. Eine Vertiefung dieser Fehlerbetrachtung erfolgt in Kapitel 6.8.

Kapitel 4 Boden

Die Fundwahrscheinlichkeit einer Ballonkarte hängt davon ab, in welcher Umgebung der Ballon zu Boden geht. Um einen Einblick in ein typisches Landegebiet zu erhalten, wurde mit dem Programm GoogleEarth111Siehe http://earth.google.de/index.html 20.11.2006 ein Experiment durchgeführt. Aus einem Quadrat222Das Quadrat wird in etwa durch die Städte Karlsruhe – Frankfurt – Lohr am Main – Sulzbach an der Murr begrenzt., das durch den 49ten und 50ten Breitengrad sowie den 8,5(E) und 9,5(E) Längenkreis begrenzt wird, wurden 70 Landeplätze per Zufall ausgewählt. Die Zusammensetzung der gewählten Fläche aus Wald, Landwirtschaft und Siedlungen entspricht in etwa dem zu erwartenden Zielgebiet.

Für jeden fiktiven Fundort wurde der Abstand zum nächsten Weg (d. h. Straße/ Feldweg/ Waldweg/ …) und zum Rand der nächsten Siedlung sowie der Typ (Stadt/Wald/Feld) der Fläche bestimmt. Die Anteile der verschiedenen Flächentypen sind in Tabelle 4.1 zusammengefaßt. Die aus dieser kleinen Stichprobe ermittelten Daten passen gut zu den umfangreicheren Erhebungen aus [46], die ebenfalls in der Tabelle enthalten sind.

Für die Verteilung des Abstandes r𝑟r zur nächsten Straße bzw. Stadt wird eine kurze theoretische Betrachtung durchgeführt. Abbildung 4.1 gibt eine schematische Zusammenfassung der im Folgenden verwendeten Größen. Befindet sich eine einzelne Struktur i𝑖i mit der Fläche AS,isubscript𝐴𝑆𝑖A_{S,i} in einem Gebiet mit der Fläche A0subscript𝐴0A_{0}, ist die Wahrscheinlichkeit, sich im Abstand r𝑟r oder weiter entfernt zu befinden

p(>r)annotated𝑝absent𝑟\displaystyle p(>r) =\displaystyle= (1Ai(r)A0AS,i)1subscript𝐴𝑖𝑟subscript𝐴0subscript𝐴𝑆𝑖\displaystyle\left(1-\frac{A_{i}(r)}{A_{0}-A_{S,i}}\right) (4.1)

wobei die Nachbarfläche Aisubscript𝐴𝑖A_{i} der Bereich aller Punkte ist, die näher als r𝑟r an der betrachteten Struktur sind. Durch zufälliges Hinzufügen weiterer (nicht notwendigerweise identischer) Strukturen bei gleichzeitiger Erweiterung der Gesamtfläche erhält man

p(>r)annotated𝑝absent𝑟\displaystyle p(>r) =\displaystyle= i=1n(1Ai(r)nA0AS,i)superscriptsubscriptproduct𝑖1𝑛1subscript𝐴𝑖𝑟𝑛subscript𝐴0subscript𝐴𝑆𝑖\displaystyle\prod_{i=1}^{n}\left(1-\frac{A_{i}(r)}{nA_{0}-A_{S,i}}\right) (4.2)

Der Grenzübergang n𝑛n\rightarrow\infty führt schließlich auf die Poisson-Verteilung (vgl. z. B. [18])

p(>r)annotated𝑝absent𝑟\displaystyle p(>r) =\displaystyle= exp(ΣbarA(r))Σbar𝐴𝑟\displaystyle\exp\left(-\Sigma\mathrm{bar}A(r)\right) (4.3)
barA(r)bar𝐴𝑟\displaystyle\mathrm{bar}A(r) :=assign\displaystyle:= limn1ni=1nAi(r)subscript𝑛1𝑛superscriptsubscript𝑖1𝑛subscript𝐴𝑖𝑟\displaystyle\lim_{n\rightarrow\infty}\frac{1}{n}\sum_{i=1}^{n}A_{i}(r) (4.4)

mit der neu eingeführten Anzahldichte der Strukturen Σ=1/A0Σ1subscript𝐴0\Sigma=1/A_{0}. Die Abstandsabhängigkeit der Nachbarfläche steht in direktem Zusammenhang mit der Hausdorff-Dimension DHsubscript𝐷𝐻D_{H} des Randes der betrachteten Struktur:

barA(r)bar𝐴𝑟\displaystyle\mathrm{bar}A(r) proportional-to\displaystyle\propto r2DHsuperscript𝑟2subscript𝐷𝐻\displaystyle r^{2-D_{H}} (4.5)

Umgekehrt kann der Längenskala r𝑟r eine fraktale Dimension zugeordnet werden:

DH(r)subscript𝐷𝐻𝑟\displaystyle D_{H}(r) =\displaystyle= 2dln(barA(r))dln(r)2𝑑bar𝐴𝑟𝑑𝑟\displaystyle 2-\frac{d\ln(\mathrm{bar}A(r))}{d\ln(r)} (4.6)

Nach diesen Vorarbeiten werden nun die Abstandsverteilungen zur nächsten Straße und zum nächsten Stadtrand empirisch aus dem Experiment ermittelt:

pWeg(>r)annotatedsubscript𝑝Wegabsent𝑟\displaystyle p_{\mathrm{Weg}}(>r) \displaystyle\approx exp(r95 m(1+r4300 m)1)r<600 m𝑟95 msuperscript1𝑟4300 m1𝑟600 m\displaystyle\exp\left(-\frac{r}{95\mbox{ m}}\left(1+\sqrt{\frac{r}{4300\mbox{ m}}}\right)^{-1}\right)\qquad r<\mbox{600 m} (4.7)
pStadt(>r)annotatedsubscript𝑝Stadtabsent𝑟\displaystyle p_{\mathrm{Stadt}}(>r) \displaystyle\approx exp((r1,1 km)1,5)r<2 kmsuperscript𝑟1.1 km1.5𝑟2 km\displaystyle\exp\left(-\left(\frac{r}{1,1\mbox{ km}}\right)^{1,5}\right)\qquad r<\mbox{2 km} (4.8)

Die Gültigkeit dieser Verteilungen ist durch den geringen Umfang der Stichprobe auf die angegebenen Bereiche beschränkt. Während die funktionale Form dieser Verteilungen rein empirisch bestimmt und daher ohne besondere Bedeutung ist, läßt sich der geometrische Gehalt gut mit Hilfe von Gl. 4.6 erschließen. Straßen erscheinen auf kleinen Skalen eindimensional, gehen aber auf größeren Skalen in ein Netzwerk mit Dimension 1,5 über. Städte erscheinen als aufgelöste Punktmenge mit Dimension 0,5, was gut den ländlichen Charakter des betrachteten Gebietes abbildet. Dieser Befund paßt zu weitergehenden Untersuchungen zu den fraktalen Eigenschaften von Siedlungsstrukturen [24, 35], die Straßen Dimensionen um 1,5 und ländlichen Siedlungsstrukturen Dimensionen kleiner 1,0 zuordnen.

Refer to caption
Abbildung 4.1: Darstellung des kürzesten Abstandes r𝑟r vom Fundort zur nächsten Straße und zum nächsten Ort. Die in Gl. 4.1 verwendeten Flächen sind für einen Fundort eingezeichnet.

Wenn man die regelmäßig von Menschen aufgesuchte Fläche (d.h. die Fläche, auf der ein Kartenballon hauptsächlich gefunden wird) mit den Angaben zu Siedlung und Verkehr in Tabelle 4.1 gleichsetzt und problematische Fundorte wie Dächer und Bäume vernachläßigt, ergibt sich eine obere Grenze der Fundquote von etwas mehr als 10 %. In dünn besiedelten Gebieten, z. B. in Gebirgen, weiten Teilen der USA und Osteuropa oder in dichter besiedelten Regionen wie Japan ist dieser Wert entsprechend nach oben oder unten zu korrigieren (vgl. Tab. 6.1). Darüber hinaus können Länder– bzw. Sprachgrenzen den Anteil der zurückgeschickten Karten merklich reduzieren (pers. Mitteilung M. Kollefrath).

[%] B.-Würt. (2001) D(2001) GoogleEarth
Landwirtschaft 46,8 53,5 46±6plus-or-minus46646\pm 6
Wald 38,0 29,5 44±6plus-or-minus44644\pm 6
Wasser/Sonstiges 2,0 4,3
Siedlung u. Verkehr 13,2 12,3 10±4plus-or-minus10410\pm 4
davon: Gebäudefläche 53,2
Erholungsfläche 5,0
Verkehrsfläche 40,2
Tabelle 4.1: Flächennutzung in Baden-Württemberg und Gesamtdeutschland nach [46]. Die letzte Spalte enthält das GoogleEarth-Experiment. Wald bezieht sich hier auf baumbestandene Flächen.

Kapitel 5 Simulationen

5.1 Gleichungen

Die in den Kapiteln 23 vorgestellten Grundlagen bilden einen vollständigen Satz von Gleichungen, um die Trajektorie eines gasgefüllten Ballons zu berechnen. Die Position des Ballons wird durch die geographische Länge λ𝜆\lambda, die Breite β𝛽\beta und die Höhe über Normalnull z𝑧z beschrieben. Die Windgeschwindigkeit ist durch vusubscript𝑣𝑢v_{u} (ostwärts) und vvsubscript𝑣𝑣v_{v} (nordwärts) gegeben, vertikale Luftbewegungen werden vernachläßigt. Die Massenbilanz und der Auftrieb sind:

M𝑀\displaystyle M =\displaystyle= M0+mGNG+mLNLsubscript𝑀0subscript𝑚𝐺subscript𝑁𝐺subscript𝑚𝐿subscript𝑁𝐿\displaystyle M_{0}+m_{G}N_{G}+m_{L}N_{L} (5.1)
Fasubscript𝐹𝑎\displaystyle F_{a} =\displaystyle= VgρL(λ,β,z)Mg𝑉𝑔subscript𝜌L𝜆𝛽𝑧𝑀𝑔\displaystyle Vg\rho_{\mathrm{L}}(\lambda,\beta,z)-Mg (5.2)

Die Ballonmasse M𝑀M ergibt sich aus dem Hüllen- und Kartengewicht M0subscript𝑀0M_{0}, der Stoffmenge NGsubscript𝑁𝐺N_{G} des Füllgases „G“ und der eindiffundierten Luftmenge NLsubscript𝑁𝐿N_{L}. mGsubscript𝑚𝐺m_{G} und mLsubscript𝑚𝐿m_{L} sind jeweils die Molmasse des Füllgases und der eindiffundierten Luft. Die Trajektoriengleichung x˙=v(x,t)˙𝑥𝑣𝑥𝑡\dot{\vec{x}}=\vec{v}(\vec{x},t) in den gewählten Koordinaten ist:

β˙˙𝛽\displaystyle\dot{\beta} =\displaystyle= vv(λ,β,z)RErde+zsubscript𝑣𝑣𝜆𝛽𝑧subscript𝑅Erde𝑧\displaystyle\frac{v_{v}(\lambda,\beta,z)}{R_{\mathrm{Erde}}+z} (5.3)
λ˙˙𝜆\displaystyle\dot{\lambda} =\displaystyle= vu(λ,β,z)cos(β)(RErde+z)subscript𝑣𝑢𝜆𝛽𝑧𝛽subscript𝑅Erde𝑧\displaystyle\frac{v_{u}(\lambda,\beta,z)}{\cos(\beta)(R_{\mathrm{Erde}}+z)} (5.4)
z˙˙𝑧\displaystyle\dot{z} =\displaystyle= {sign(Fa)2|Fa|cwAqρL(λ,β,z)Ballon intakt.v,0ρL,RefρL(λ,β,z)sonst.casessignsubscript𝐹𝑎2subscript𝐹𝑎subscript𝑐𝑤subscript𝐴𝑞subscript𝜌L𝜆𝛽𝑧Ballon intakt.subscript𝑣.0subscript𝜌LRefsubscript𝜌L𝜆𝛽𝑧sonst.\displaystyle\left\{\begin{array}[]{ll}\mathrm{sign}(F_{a})\sqrt{\frac{2|F_{a}|}{c_{w}A_{q}\rho_{\mathrm{L}}(\lambda,\beta,z)}}&\mbox{Ballon intakt.}\\ -v_{\infty,0}\sqrt{\frac{\rho_{\mathrm{L},\mathrm{Ref}}}{\rho_{\mathrm{L}}(\lambda,\beta,z)}}&\mbox{sonst.}\end{array}\right. (5.7)

Das Ballonvolumen V𝑉V und die Querschnittsfläche Aqsubscript𝐴𝑞A_{q} werden mit der Zustandsgleichung des Ballongases ermittelt:

V𝑉\displaystyle V =\displaystyle= (NL+NG)RTL(λ,β,z)pL(λ,β,z)+Δpsubscript𝑁𝐿subscript𝑁𝐺𝑅subscript𝑇𝐿𝜆𝛽𝑧subscript𝑝𝐿𝜆𝛽𝑧Δ𝑝\displaystyle\frac{(N_{L}+N_{G})RT_{L}(\lambda,\beta,z)}{p_{L}(\lambda,\beta,z)+\Delta p} (5.8)
A𝐴\displaystyle A =\displaystyle= 5,0V2/35.0superscript𝑉23\displaystyle 5,0\,V^{2/3} (5.9)
Aqsubscript𝐴𝑞\displaystyle A_{q} =\displaystyle= A4,7𝐴4.7\displaystyle\frac{A}{4,7} (5.10)

pLsubscript𝑝𝐿p_{L} und TLsubscript𝑇𝐿T_{L} sind das zeit- und ortsabhängige Druck- und Temperaturprofil der Atmosphäre (siehe Kap. 3.3). Zuletzt wird die Diffusion des Füllgases bestimmt:

N˙Gsubscript˙𝑁𝐺\displaystyle\dot{N}_{G} =\displaystyle= A2VGummiδG(λ,β,z)NGVsuperscript𝐴2subscript𝑉Gummisubscript𝛿𝐺𝜆𝛽𝑧subscript𝑁𝐺𝑉\displaystyle-\frac{A^{2}}{V_{\mathrm{Gummi}}}\delta_{G}(\lambda,\beta,z)\frac{N_{G}}{V} (5.11)
N˙Lsubscript˙𝑁𝐿\displaystyle\dot{N}_{L} =\displaystyle= A2VGummiδL(λ,β,z)(NLVnL(λ,β,z))superscript𝐴2subscript𝑉Gummisubscript𝛿𝐿𝜆𝛽𝑧subscript𝑁𝐿𝑉subscript𝑛𝐿𝜆𝛽𝑧\displaystyle-\frac{A^{2}}{V_{\mathrm{Gummi}}}\delta_{L}(\lambda,\beta,z)\left(\frac{N_{L}}{V}-n_{L}(\lambda,\beta,z)\right) (5.12)

Der Ballon gilt als geplatzt, sobald das Volumen größer als das Maximalvolumen Vmaxsubscript𝑉V_{\max} ist oder die Temperatur unter die Glasübergangstemperatur TBurstsubscript𝑇BurstT_{\mathrm{Burst}} des Gummis fällt.

ΔpΔ𝑝\Delta p  : 5300 Pa
Vmaxsubscript𝑉V_{\max}  : 30 l
M0subscript𝑀0M_{0}  : 7,1 g
MGummisubscript𝑀GummiM_{\mathrm{Gummi}}  : 5,1 g
cwsubscript𝑐𝑤c_{w}  : 0,93
v,0subscript𝑣.0v_{\infty,0}  : 1,0 m/s
TBurstsubscript𝑇BurstT_{\mathrm{Burst}}  : 5555-55 °C
Tabelle 5.1: Referenzparameter zur Beschreibung eines Kartenballons.

5.2 Theorie

Zunächst wird eine analytische Betrachtung der Gleichungen durchgeführt, um die grundlegenden Effekte zu verstehen. Zu diesem Zweck wird das rein höhenabhängige Atmosphärenmodell in Gl. 3.63.8 und ein kartesisches Koordinatensystem für die Ballonposition verwendet. Die Gleichungen 5.35.4 ändern sich dadurch auf:

x˙˙𝑥\displaystyle\dot{x} =\displaystyle= v(z)𝑣𝑧\displaystyle v(z) (5.13)
y˙˙𝑦\displaystyle\dot{y} =\displaystyle= 00\displaystyle 0 (5.14)

Für die folgenden Studien wird ein typischer Ballon betrachtet, dessen Parameter in Tabelle 5.1 zusammengestellt sind. Dieser Parametersatz wird auch in Kapitel 6 verwendet, wenn keine detaillierten Informationen über die gestarteten Ballons vorlagen. Durch das mögliche Platzen des Ballons während des Fluges können drei verschiedene Trajektorientypen unterschieden werden:

  1. I

    Der Ballon bleibt während des gesamten Fluges intakt.

  2. II

    Der Ballon erreicht die Maximalhöhe und platzt durch den Glasübergang des Ballongummis.

  3. III

    Der Ballon bleibt unter der Maximalhöhe, platzt aber durch die Überdehnung der Hülle.

Fall I ermöglicht offensichtlich die größten Flugweiten, so daß dieses Szenario am detailliertesten diskutiert wird. Anschließend werden die beiden letzten Szenarien angesprochen.

Fall I

Um ein übersichtlicheres Gleichungssystem zu erhalten, wird die Diffusion der Luft sowie der Drucksprung des Ballons vernachläßigt (δL=0subscript𝛿𝐿0\delta_{L}=0, Δp=0Δ𝑝0\Delta p=0). Das Eindiffundieren von Luft vergrößert den Ballon und erhöht dadurch indirekt den Verlust des Füllgases. Darüber hinaus verringert sich für Δp>0Δ𝑝0\Delta p>0 der Auftrieb, was aber nur in großen Höhen einen merklichen Beitrag liefert. Insgesamt ist der Einfluß auf die Ballontrajektorie aber zu vernachlässigen. Der endliche Drucksprung des Ballons sorgt für einen zusätzlichen Verlust des Auftriebs beim Aufsteigen, der aber „gespeichert“ und beim Abstieg wieder freigesetzt wird. Durch die stärkere Kompression in großen Höhen kann der Ballon am Boden auch viel stärker gefüllt werden, ohne zu platzen. Dies führt zu einer deutlichen Asymmetrie der Trajektorie und ermöglicht größere Flugweiten. Trotz des deutlichen Einflusses des Drucksprungs auf die Trajektorie, der in Kapitel 5.3 genauer untersucht wird, gibt eine vereinfachte Betrachtung wertvolle Einsichten.

Unter Verwendung dieser Näherungen erhält man aus Gl. 5.15.2 und Gl. 5.85.14:

Fasubscript𝐹𝑎\displaystyle F_{a} =\displaystyle= (NG(mLmG)M0)gsubscript𝑁𝐺subscript𝑚𝐿subscript𝑚𝐺subscript𝑀0𝑔\displaystyle(N_{G}(m_{L}-m_{G})-M_{0})g (5.15)
z˙˙𝑧\displaystyle\dot{z} =\displaystyle= sign(Fa)2|Fa|cwAqρL(z)signsubscript𝐹𝑎2subscript𝐹𝑎subscript𝑐𝑤subscript𝐴𝑞subscript𝜌L𝑧\displaystyle\mathrm{sign}(F_{a})\sqrt{\frac{2|F_{a}|}{c_{w}A_{q}\rho_{\mathrm{L}}(z)}} (5.16)
x˙˙𝑥\displaystyle\dot{x} =\displaystyle= v(z)𝑣𝑧\displaystyle v(z) (5.17)
N˙Gsubscript˙𝑁𝐺\displaystyle\dot{N}_{G} =\displaystyle= A2VGummiδG(z)ρLmLsuperscript𝐴2subscript𝑉Gummisubscript𝛿𝐺𝑧subscript𝜌Lsubscript𝑚𝐿\displaystyle-\frac{A^{2}}{V_{\mathrm{Gummi}}}\delta_{G}(z)\frac{\rho_{\mathrm{L}}}{m_{L}} (5.18)

Zunächst werden die Gleichungen zusammengefaßt und dimensionslos formuliert. Aus der Leermasse M0subscript𝑀0M_{0}, der Luftdichte ρLsubscript𝜌L\rho_{\mathrm{L}} und der Permeabilität δGsubscript𝛿𝐺\delta_{G} am Boden können alle nötigen Skalengrößen gewonnen werden:

V0subscript𝑉0\displaystyle V_{0} :=assign\displaystyle:= M0ρL,0mLmLmGτ0:=VGummiV0δ0A02assignsubscript𝑀0subscript𝜌L.0subscript𝑚𝐿subscript𝑚𝐿subscript𝑚𝐺subscript𝜏0subscript𝑉Gummisubscript𝑉0subscript𝛿0superscriptsubscript𝐴02\displaystyle\frac{M_{0}}{\rho_{\mathrm{L},0}}\frac{m_{L}}{m_{L}-m_{G}}\qquad\tau_{0}:=\frac{V_{\mathrm{Gummi}}V_{0}}{\delta_{0}A_{0}^{2}} (5.19)
f𝑓\displaystyle f :=assign\displaystyle:= FaM0gvz,0:=9,4M0gcwA0ρL,0assignsubscript𝐹𝑎subscript𝑀0𝑔subscript𝑣𝑧.09.4subscript𝑀0𝑔subscript𝑐𝑤subscript𝐴0subscript𝜌L.0\displaystyle\frac{F_{a}}{M_{0}g}\qquad\qquad v_{z,0}:=\sqrt{\frac{9,4M_{0}g}{c_{w}A_{0}\rho_{\mathrm{L},0}}} (5.20)

V0subscript𝑉0V_{0} ist das Volumen eines Ballons mit Fa=0subscript𝐹𝑎0F_{a}=0, τ0subscript𝜏0\tau_{0} die entsprechende Gasverlustzeitskala, f𝑓f der Auftrieb in Einheiten des Gesamtgewichts und vz,0subscript𝑣𝑧.0v_{z,0} die Steiggeschwindigkeit eines Ballons mit Auftrieb f=1𝑓1f=1. Die Luftdichte ρ𝜌\rho und Permeabilität δ𝛿\delta werden in Einheiten der Werte am Boden (z=0𝑧0z=0) ausgedrückt:

ρ~~𝜌\displaystyle\tilde{\rho} :=assign\displaystyle:= ρ(z)ρ(0),δ~:=δ(z)δ(0)assign𝜌𝑧𝜌0~𝛿𝛿𝑧𝛿0\displaystyle\frac{\rho(z)}{\rho(0)},\qquad\tilde{\delta}:=\frac{\delta(z)}{\delta(0)} (5.21)

Die dimensionslosen Gleichungen sind:

f˙˙𝑓\displaystyle\dot{f} =\displaystyle= 1τ0(1+f)4/3δ~Gρ~L31subscript𝜏0superscript1𝑓43subscript~𝛿𝐺3subscript~𝜌L\displaystyle-\frac{1}{\tau_{0}}(1+f)^{4/3}\frac{\tilde{\delta}_{G}}{\sqrt[3]{\tilde{\rho}_{\mathrm{L}}}} (5.22)
z˙˙𝑧\displaystyle\dot{z} =\displaystyle= sign(f)vz,0|f|(1+f)1/3ρ~L1/6sign𝑓subscript𝑣𝑧.0𝑓superscript1𝑓13superscriptsubscript~𝜌L16\displaystyle\mathrm{sign}(f)v_{z,0}\frac{\sqrt{|f|}}{(1+f)^{1/3}{\tilde{\rho}_{\mathrm{L}}}^{1/6}} (5.23)

Diese können zu

δ~Gρ~L1/6dzL0subscript~𝛿𝐺superscriptsubscript~𝜌L16𝑑𝑧subscript𝐿0\displaystyle\frac{\tilde{\delta}_{G}}{{\tilde{\rho}_{\mathrm{L}}}^{1/6}}\frac{dz}{L_{0}} =\displaystyle= sign(f)|f|(1+f)5/3dfsign𝑓𝑓superscript1𝑓53𝑑𝑓\displaystyle-\mathrm{sign}(f)\frac{\sqrt{|f|}}{(1+f)^{5/3}}df (5.24)
L0subscript𝐿0\displaystyle L_{0} :=assign\displaystyle:= vz,0τ0subscript𝑣𝑧.0subscript𝜏0\displaystyle v_{z,0}\tau_{0} (5.25)

zusammengefaßt werden. Die linke Seite enthält nur von z𝑧z abhängige Größen und kann integriert werden:

z~~𝑧\displaystyle\tilde{z} :=assign\displaystyle:= 0zδ~Gρ~L1/6dzL0superscriptsubscript0𝑧subscript~𝛿𝐺superscriptsubscript~𝜌L16𝑑superscript𝑧subscript𝐿0\displaystyle\int_{0}^{z}\frac{\tilde{\delta}_{G}}{{\tilde{\rho}_{\mathrm{L}}}^{1/6}}\frac{dz^{\prime}}{L_{0}} (5.26)

In erster Näherung kann z~z/L0~𝑧𝑧subscript𝐿0\tilde{z}\approx z/L_{0} gesetzt werden. Zunächst wird f1much-less-than𝑓1f\ll 1 untersucht. Die Integration der Differentialgleichung ab z~=0~𝑧0\tilde{z}=0 liefert:

z~(f)~𝑧𝑓\displaystyle\tilde{z}(f) =\displaystyle= 23(f03/2|f|3/2)+𝒪(f5/3)23superscriptsubscript𝑓032superscript𝑓32𝒪superscript𝑓53\displaystyle\frac{2}{3}\left(f_{0}^{3/2}-|f|^{3/2}\right)+\mathcal{O}(f^{5/3}) (5.27)

Die maximale Flugweite wird erreicht, wenn der Ballon knapp unter der Maximalhöhe hmaxsubscripth_{\max} bleibt und intakt zu Boden sinkt. Damit folgt für den optimalen Auftrieb:

Fa,optsubscript𝐹𝑎opt\displaystyle F_{a,\mathrm{opt}} =\displaystyle= M0g(32h~max)2/3subscript𝑀0𝑔superscript32subscript~23\displaystyle M_{0}g\left(\frac{3}{2}\tilde{h}_{\max}\right)^{2/3} (5.28)
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Abbildung 5.1: Ballonflüge in Abhängigkeit von der Leermasse M0subscript𝑀0M_{0} und dem Auftrieb Fasubscript𝐹𝑎F_{a}. Die Konturlinien beschreiben die jeweils erreichte Scheitelhöhe hsuperscripth^{*}. Zum Vergleich sind die Ballons aus Tabelle 6.2 mit eingetragen.

Die Flugweite ergibt sich aus der Zeitintegration des Windprofils in Gl. 3.7:

d𝑑\displaystyle d =\displaystyle= 0tmaxv(z(t))𝑑tsuperscriptsubscript0subscript𝑡𝑣𝑧𝑡differential-d𝑡\displaystyle\int_{0}^{t_{\max}}v(z(t))dt (5.29)
\displaystyle\approx 2τ0f0v(3/5hmax)2subscript𝜏0subscript𝑓0𝑣35subscript\displaystyle 2\tau_{0}f_{0}v(3/5h_{\max}) (5.30)

Für den optimalen Startauftrieb nach Gl. 5.28 erhält man:

dmaxsubscript𝑑\displaystyle d_{\max} \displaystyle\approx v(3/5hmax)(hmax3ρL,0M0)2/9cwVGummigδG,03(mLmLmG)1/9𝑣35subscriptsuperscriptsuperscriptsubscript3subscript𝜌L.0subscript𝑀0293subscript𝑐𝑤subscript𝑉Gummi𝑔subscript𝛿𝐺.0superscriptsubscript𝑚𝐿subscript𝑚𝐿subscript𝑚𝐺19\displaystyle v(3/5h_{\max})\left(\frac{h_{\max}^{3}\rho_{\mathrm{L},0}}{M_{0}}\right)^{2/9}\sqrt[3]{\frac{c_{w}V_{\mathrm{Gummi}}}{g\delta_{G,0}}}\left(\frac{m_{L}}{m_{L}-m_{G}}\right)^{1/9} (5.31)

dmaxsubscript𝑑d_{\max} ist die maximale Flugweite, die mit einem gegebenen Kartenballon erreicht werden kann. Bei größeren Werten der Leermasse M0subscript𝑀0M_{0} ist auch ein größerer Ballon nötig, so daß der Ballon schließlich nicht mehr die maximale Höhe hmaxsubscripth_{\max} erreichen kann und vorher platzt (Übergang zu Fall III). In diesem Fall muß erst die Scheitelhöhe hsubscripth_{*} ermittelt werden:

VmaxρL(h)=M(h)subscript𝑉subscript𝜌𝐿subscript𝑀subscript\displaystyle V_{\max}\rho_{L}(h_{*})=M(h_{*}) (5.32)

Mit dieser kann dann der optimale Auftrieb entsprechend berechnet werden:

Fa,optsubscript𝐹𝑎opt\displaystyle F_{a,\mathrm{opt}} =\displaystyle= M0g(32h~)2/3subscript𝑀0𝑔superscript32subscript~23\displaystyle M_{0}g\left(\frac{3}{2}\tilde{h}_{*}\right)^{2/3} (5.33)

Fall II

Wird der Auftrieb geringfügig gesteigert, platzt der Ballon durch die Kälte und fällt zu Boden. Die nun erreichte Entfernung dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} ist die maximal Flugweite für einen Ballon, der vor dem Erreichen des Scheitelpunkts platzt und zu Boden fällt. Dieser Fall tritt ein für:

0<Fa(hmax)/g0subscript𝐹𝑎subscript𝑔\displaystyle 0<F_{a}(h_{\max})/g \displaystyle\leq VmaxρL(hmax)M(hmax)subscript𝑉subscript𝜌Lsubscript𝑀subscript\displaystyle V_{\max}\rho_{\mathrm{L}}(h_{\max})-M(h_{\max}) (5.34)
hsubscript\displaystyle h_{*} =\displaystyle= hmaxsubscript\displaystyle h_{\max} (5.35)

In diesem Regime ist die Scheitelhöhe gleich der Maximalhöhe. Die Ungleichung 5.34 kann für Kartenballons mit großer Leermasse nicht erfüllt werden. Somit ist das Erreichen der Maximalhöhe unabhängig von der Ballonfüllung ausgeschlossen (Übergang zu Fall III).

Fall III

Ab einem bestimmten Auftrieb platzt der Ballon bereits durch die überdehnte Hülle, bevor die Kälte in großen Höhen den Ballon zerstört. Dies definiert eine weitere Flugweite dburst2subscript𝑑burst2d_{\mathrm{burst2}}. Der Ballon platzt in der maximalen Höhe hmaxsubscripth_{\max} (oder früher) wenn

Fa(hmax)/gsubscript𝐹𝑎subscript𝑔\displaystyle F_{a}(h_{\max})/g >\displaystyle> VmaxρL(hmax)M(hmax)subscript𝑉subscript𝜌Lsubscript𝑀subscript\displaystyle V_{\max}\rho_{\mathrm{L}}(h_{\max})-M(h_{\max}) (5.36)

gilt. Für den dimensionslosen Auftrieb in dieser Höhe bedeutet dies:

f(hmax)𝑓subscript\displaystyle f(h_{\max}) >\displaystyle> VmaxρL(hmax)/M0M(hmax)/M0subscript𝑉subscript𝜌Lsubscriptsubscript𝑀0𝑀subscriptsubscript𝑀0\displaystyle V_{\max}\rho_{\mathrm{L}}(h_{\max})/M_{0}-M(h_{\max})/M_{0} (5.37)

Im Bereich großer Auftriebe (Übergang zu Fall II) wird Gl. 5.27 ungenau und wird durch folgende Näherung ersetzt (mit einem Fehler von 10 % für 0,2<f<30.2𝑓30,2<f<3):

z~~𝑧\displaystyle\tilde{z} \displaystyle\approx 13(f0f)13subscript𝑓0𝑓\displaystyle\frac{1}{3}(f_{0}-f) (5.38)

Nach dem Einsetzen dieser Näherung erhält man für den Startauftrieb am Boden die Ungleichung:

Fa,0subscript𝐹𝑎.0\displaystyle F_{a,0} greater-than-or-equivalent-to\displaystyle\gtrsim Mmaxg(13h~max)M0gsubscript𝑀𝑔13subscript~subscript𝑀0𝑔\displaystyle M_{\max}g-(1-3\tilde{h}_{\max})M_{0}g (5.39)
Mmaxsubscript𝑀\displaystyle M_{\max} \displaystyle\approx VmaxρL(hmax)subscript𝑉subscript𝜌Lsubscript\displaystyle V_{\max}\rho_{\mathrm{L}}(h_{\max}) (5.40)

Dies ist eine notwendige Bedingung für das Platzen des Ballons vor dem Erreichen der Maximalhöhe. Nur Ballons, die leichter als Mmaxsubscript𝑀M_{\max} sind, können die Maximalhöhe intakt erreichen. Der genaue Wert hängt vom Füllgas ab und liegt im Bereich von 10 – 11 g (vgl. Abb. 5.1). Die Scheitelhöhe in diesem Regime ist die Lösung der Gleichung:

Fa(h)/gsubscript𝐹𝑎subscript𝑔\displaystyle F_{a}(h_{*})/g =\displaystyle= VmaxρL(h)M(h)subscript𝑉subscript𝜌Lsubscript𝑀subscript\displaystyle V_{\max}\rho_{\mathrm{L}}(h_{*})-M(h_{*}) (5.41)

5.3 Numerische Integration

Zur genaueren Untersuchung wurden die Modellgleichungen mit einem Runge-Kutta Verfahren zweiter Ordnung numerisch integriert [1]. Als Zeitschritt wurden 50 Sekunden gewählt. Durch diese Wahl können Integrationsfehler vernachläßigt werden und die erzielte Höhenauflösung von rund 100 Metern entspricht gut der vertikalen Auflösung der interpolierten Wetterdaten.

Die in der Praxis wichtigsten (und am leichtesten beeinflußbaren) Parameter eines Kartenballons sind die Leermasse, der Startauftrieb (bzw. die Ballonfüllung) und die Wahl des Füllgases. Abbildung 5.1 zeigt die Integration des Musterballons aus Tabelle 5.1, jeweils mit Helium und Wasserstoff als Gasfüllung und verschiedenen Leermassen und Startauftriebskräften. Zur deutlicheren Darstellung sind auch Leermassen kleiner 5,1 g enthalten, obwohl diese einer Nutzlast mit negativer Masse entsprechen. Zur besseren Vergleichbarkeit wird die Auftriebskraft mit der Erdbeschleunigung111Als Standardwert wird in dieser Arbeit g=9,81𝑔9.81g=9,81 m//s2 verwendet. in eine äquivalente Masse umgerechnet dargestellt. Die bereits beschriebenen Trajektorientypen sind gut zu erkennen. Die Trennlinien zwischen den Bereichen entsprechen den Gleichungen 5.28 (I–II), 5.33 (I–III) und 5.39 (II–III) und stimmen sehr gut mit dem gefundenen qualitativen Verhalten überein. Der Übergang zwischen dem Platzen durch Kälte (II) und Überdehnung (III) wird nur durch die Modellierung als scharfe Linie erkennbar. In der Praxis faßt man diesen Bereich besser als einen stetigen Übergang auf. Zur Orientierung sind die Kartenballons aus der Versuchsreihe „Glaschke“ (siehe Tab. 6.1) mit eingetragen. Sie zeigen deutlich, daß für die verwendeten Ballons die maximale Flugweite von der Kälteempfindlichkeit des Ballongummis abhängt, während die Platzgröße zweitrangig ist. Dieser Befund läßt sich auch auf die bei Ballonwettbewerben verwendeten Modelle222Ballongrößen über 25 cm \varnothing sind bereits ausreichend. übertragen.

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Abbildung 5.2: Flugweite als Funktion des Auftriebs für zwei Gasfüllungen.

Die Flugweite bei fester Leermasse und verschiedenen Startauftrieben gibt einen tieferen Einblick in die Abhängigkeit der Flugweite von der Ballonfüllung (Abb. 5.2). Deutlich erkennbar sind die bereits angesprochenen drei ausgezeichneten Flugweiten dmaxsubscript𝑑d_{\max}, dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} und dburst2subscript𝑑burst2d_{\mathrm{burst2}}. Die jeweils größte erreichte Flugweite wird durch dmaxsubscript𝑑d_{\max} markiert. Links davon befinden sich Trajektorien mit Ballons, die nach dem Erreichen der Scheitelhöhe intakt absteigen. Unmittelbar nach rechts fällt die Flugweite auf dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} ab – hier fallen die Ballons geplatzt zu Boden. Bei noch größerem Auftrieb nimmt die Scheitelhöhe und Flugweite weiter ab (dburst2subscript𝑑burst2d_{\mathrm{burst}2}). Besonders deutlich wird die starke Abhängigkeit der maximalen Flugweite von der Ballonfüllung. Eine Genauigkeit von mindestens 0,5 l beim Füllen ist notwendig, und selbst dann kann die Wetterabhängigkeit von Fa,optsubscript𝐹𝑎optF_{a,\mathrm{opt}} die genaue Lage um bis zu einem Gramm verschieben. Der Verlauf der Scheitelhöhen kann aus einem Schnitt mit M0=7,1subscript𝑀07.1M_{0}=7,1 g in Abbildung 5.1 entnommen werden.

Die numerische Lösung der Differentialgleichungen bietet auch die Möglichkeit, den Einfluß des vernachlässigten Drucksprungs auf die Ballontrajektorie zu diskutieren. Zum Vergleich wurde ein optimal gefüllter Heliumballon mit und ohne Drucksprung gerechnet sowie ein leicht überfüllter Ballon (Abb. 5.3). Der endliche Drucksprung ΔpΔ𝑝\Delta p macht sich in einer ausgeprägten Asymmetrie des Ballonaufstiegs bemerkbar: Beim Aufsteigen wird der Ballon stärker komprimiert (relativ zu einem Ballon mit Δp=0Δ𝑝0\Delta p=0), so daß der Auftrieb schneller abnimmt und der Ballon regelrecht gebremst wird. Beim anschließenden Abstieg wird dieser „gespeicherte“ Auftrieb wieder freigesetzt und verlangsamt den Sinkflug. Dieser Effekt wird zusätzlich durch die starke Temperaturabhängigkeit der Permeabilität verstärkt333Roberts [86] geht von einer anderen Temperaturabhängigkeit der Permeabilität aus und findet nur eine schwach ausgeprägte Asymmetrie.. Dieser Mechanismus erklärt auch, warum die Flugweite dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} weit geringer ist als die Hälfte von dmaxsubscript𝑑d_{\max}. Trotz dieser starken Vereinfachung der analytischen Rechnung behalten die abgeleiteten Skalierungsgesetze ihre Gültigkeit (vgl. Abb. 5.4).

Abschließend wird noch der optimale Auftrieb für verschiedene Leermassen in Abbildung 5.4 dargestellt. Leermassen kleiner 10 g entsprechen Fall I und sind für das Erreichen großer Flugweiten besonders zu empfehlen. Anhand der numerischen Kurven kann auch die Proportionalitätskonstante in Gl. 5.28 bestimmt werden:

Fa,opt[g]subscript𝐹𝑎optdelimited-[]g\displaystyle F_{a,\mathrm{opt}}[\mbox{g}] \displaystyle\approx 0,22(M01 g)10/90.22superscriptsubscript𝑀01 g109\displaystyle 0,22\left(\frac{M_{0}}{1\mbox{ g}}\right)^{10/9} (5.42)

Als Faustformel gilt, daß der Auftrieb rund 20 % der Leermasse betragen sollte.

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Abbildung 5.3: Trajektorien für einen optimal gefüllten Ballon, einen leicht übervollen Ballon und einen optimal gefüllten Ballon ohne Drucksprung.
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Abbildung 5.4: Fa,optsubscript𝐹𝑎optF_{a,\mathrm{opt}} als Funktion der Leermasse. Die durchgezogene Linie ist Gl. 5.42.

Kapitel 6 Ballonflüge

6.1 Einleitung

Der Entwurf eines Trajektorienmodells muß mit Experimenten verglichen werden, um die verwendeten Annahmen beurteilen zu können und Hinweise auf unbekannte Phänomene zu erhalten. Die praktische Durchführung von Experimenten wird durch mehrere Faktoren erschwert: Kartenballons haben nur einen geringen Auftrieb, der es unmöglich macht Messtechnik anzubringen, ohne die Ballonparameter zu beeinflussen. Dies schließt detaillierte Informationen über die Flugbahn aus. Werden vor dem Start eines Ballons alle Parameter erfaßt, sind die einzigen zugänglichen Informationen die Balloneigenschaften beim Start und der Landeplatz. Dieser Ansatz wird jedoch durch die geringe Fundquote von im besten Fall 10 % (vgl. Tab. 6.1) erschwert, die mehrere tausend Ballons erfordert, um statistisch signifikante Aussagen treffen zu können.

Aus diesem Grund wurde zunächst eine Vorstudie unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt (siehe Kapitel 6.3) und durch Daten von Ballonwettbewerben ergänzt. Der Vorteil von Ballonwettbewerben besteht in den umfangreichen Daten, die oft über mehrere Jahre mit mehreren Dutzenden gefundenen Karten pro Wettbewerb anzugeben sind. Der Nachteil besteht in den unbekannten Ballonparametern, zumal die wissenschaftliche Auswertung erst im Nachhinein erfolgt und typischerweise nicht Teil der Wettbewerbsplanung ist. Eine besondere Datenquelle besteht in der Zusammenarbeit mit Herrn Haberlandt [39], der Ballonstarts über Jahre privat durchgeführt hat und genaue Angaben zu den Startbedingungen machen kann.

Die Eckdaten jedes gefundenen Kartenballons bestehen somit aus Startort und Startzeit sowie dem Fundort. Einblicke in den Ballonflug und die beteiligte Physik können nur indirekt gewonnen werden, indem jeder Fundort mit einer individuell berechneten Trajektorie verglichen wird. Unstimmigkeiten geben dann einen Hinweis auf vernachlässigte Effekte oder Fehler des Trajektorienmodells.

Die Anzahl von mehreren tausend Funden macht eine automatische Auswertung zwingend erforderlich. Zunächst wurden alle verfügbaren Daten einheitlich formatiert und die entsprechenden Trajektorien automatisch berechnet. Die Berechnung und Auswertung der Trajektorien erfolgte mit einem selbstentwickelten Computerprogramm111Anhang B stellt das entwickelte Programm kurz vor..

6.2 Funddaten

Alle verwendeten Daten sind in Tabelle 6.1 zusammengefaßt. Angegeben ist jeweils der Zeitraum, in dem die Ballonstarts erfolgt sind, die Anzahl der Starttage in dieser Zeit sowie die Gesamtzahl der gefundenen Ballons. In den letzten Spalten ist das verwendete Füllgas und die Fundquote angegeben.

„Campingkirche“ und „Trostberg“ sind regelmäßig stattfindende Ballonflugwettbewerbe, die auch aktuell noch durchgeführt werden222Daten nach 2008 waren teilweise erst nach dem Beginn der Auswertung verfügbar und sind in dieser Arbeit noch nicht berücksichtigt.. Sie bilden über Jahre einen homogenen Datensatz. Die Daten „Trostberg“ enthalten auch Informationen zu der Zeit, die zwischen dem Start eines Ballons und dem Fund der Karte vergangen ist.

Die umfangreichste Datenquelle ist „Haberlandt“. Die Vielfalt der durchgeführten Starts machte eine Aufteilung nach den Angaben des Experimentators in drei Blöcke nötig: Block A enthält explorative Versuche mit Ballonvolumina333Es sind jeweils die geometrischen Volumina angegeben. bis zu 17 l, die schrittweise auf etwa 8,2 l reduziert wurden. Als Mittelwert werden 13 l angenommen. Die Ballons wurden über den Tag verteilt bis in den frühen Abend gestartet. Block B sind Starts mit der als optimal erkannten Füllung von 8,2 l und in Block C wurden Wettervorhersagen des Windes und des Niederschlags mit einbezogen, um die Flugweite weiter zu erhöhen und die Verlustrate durch ungünstiges Wetter zu minimieren. Starts erfolgten hier nur noch am frühen Abend.

„Glaschke“ repräsentiert eigene Ballonexperimente, in denen neben der Uhrzeit, dem Gewicht und Auftrieb auch die Ballons selbst photographisch erfaßt wurden.

Die letzten beiden Zeilen sind eigenständige Forschungsarbeiten, die Kartenballons zur Untersuchung von Luftströmungen eingesetzt haben. Eine genaue Untersuchung der Ballontrajektorien selbst erfolgte im Rahmen dieser Arbeiten jedoch nicht. Bereits der Umfang der Ballondaten macht eine Neuanalyse sehr attraktiv, bedingt durch den zeitlichen Abstand und der teilweise geringen Verfügbarkeit von meteorologischen Daten wurde diese Perspektive aber vorerst nicht weiterverfolgt. Die Daten von Sakagami zeigen beeindruckend, wie stark der Anteil der zurückgeschickten Ballons von der Bevölkerungsdichte (hier Japan) abhängt.

Referenz Zeitraum Tage Ballons Gas Fundquote Quelle
Campingkirche 2000 – 2008 46 881 He 10 – 15 % [17]
Glaschke 1998 – 2001 7 7 H2 11 ±plus-or-minus\pm 4 %
Haberlandt A 2003 – 10.2004 60 162 He 4,2 ±plus-or-minus\pm 0,3 % [39]
Haberlandt B 10.2004 – 08.2007 215 640 He 3,6 ±plus-or-minus\pm 0,1 % [39]
Haberlandt C 09.2007 – 2008 72 281 He 4,3 ±plus-or-minus\pm 0,3 % [39]
Trostberg 1998 – 2010 13 240 He 9,2 ±plus-or-minus\pm 0,6 % [56]
Sakagami (1961) 1960 16 11 152 H2 22,8 ±plus-or-minus\pm 0,2 % [91]
Stocker (1990) 1986 1 \approx 8600 He 4,5 ±plus-or-minus\pm 0,05 % [97]
Tabelle 6.1: Auflistung aller verwendeten Ballonwettbewerbe mit Angaben zu den gefundenen Ballonkarten. Geschätzte Fundquoten sind ohne statistischen Fehler angegeben.

6.3 Eigene Experimente

Nr Datum Startzeit Fasubscript𝐹𝑎F_{a}[g] M0subscript𝑀0M_{0}[g] vz,0subscript𝑣𝑧.0v_{z,0}[km/h] d𝑑d[km] tFlugsubscript𝑡Flugt_{\mathrm{Flug}}
1 19.09.1998 18:25 7,1 5,4 5,0 181 ?
2 03.08.1999 14:23 8,6 7,5 5,4 30 <2absent2<2 h
3 16.08.1999 14:28 5,8 7,2 4,6 105 ?
4 18.09.1999 19:45 5,8 7,4 4,8 143 ?
5 21.09.1999 16:13 5,5 7,2 4,6 136 ?
6 01.01.2000 14:46 6,4 7,2 4,8 21 34 min
7 28.01.2001 12:35 4,3 7,2 4,2 267 ?
Tabelle 6.2: Startdaten der zurückgeschickten Ballonkarten.

Tabelle 6.2 enthält die Startdaten aller gefundenen Kartenballons. Die letzten beiden Spalten enthalten die Flugweite und Informationen über die Flugzeit, soweit sie aus den Angaben des Finders ableitbar waren. Die Ballons erreichten teilweise eine Flugweite von mehr als 250 km, wobei die Weite mit abnehmendem Auftrieb des Ballons zunimmt.

Die bekannten Parameter der Ballons erlauben es, eine vollständige Simulation jeder Ballontrajektorie durchzuführen. Als einziger freier Parameter wurde die Höhe, in der der Ballon durch unbekannte Einflüsse platzt, verwendet. Mit Flugweiten um 100 km bewegen sich die Trajektorien noch unter der Auflösungsgrenze des Windmodells (siehe Kap. 3), so daß die freie Platzhöhe solange verändert wurde, bis die Modellflugweite dem Experiment entspricht444Den Fundort exakt anzupassen ist im Rahmen der Modellgenauigkeit nicht möglich.. Die abgeleiteten Platzhöhen sind zusammen mit der Temperatur in dieser Höhe und der Gesamtflugzeit in Tabelle 6.3 enthalten. Die Platzhöhen fallen grob in zwei Gruppen: Ballons, die in rund 10 km Höhe bei Temperaturen um 5050-50 °C mit einem Volumen von etwa 30 l platzen und Ballons, die deutlich früher platzen. Die erste Gruppe entspricht den Erwartungen an die Haltbarkeit des Ballongummis (Kap. 2), so daß keine weiteren äußeren Einflüsse angenommen werden müssen. Ballons der zweiten Gruppe platzen bereits nach wenigen Stunden, insbesondere bei Starts am frühen Vormittag, was die Zerstörung der Ballonhülle durch die Sonneneinstrahlung nahelegt.

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Abbildung 6.1: Vergleich der Flugweiten der Ballons aus Tabelle 6.2 mit Simulationen des Referenzballons.

Die Simulationen zeigen aber auch weitergehende Unterschiede in den beiden Fällen mit bekannter Flugzeit:

  • Bei Ballon 6 konnte der Finder die Landung der Karte beobachten, so daß die Flugzeit genau bekannt ist. Aus der Flugzeit von 34 Minuten folgt eine maximale Höhe von etwa 1,2 Kilometern, was deutlich unter der berechneten Höhe ist. Die längere Flugzeit des berechneten Ballons deutet auf eine Unterschätzung der Winde durch die interpolierten Radiosondendaten hin.

  • Die Flugzeit von Ballon 2 weicht leicht von der gemessenen Flugzeit ab, die in diesem Fall aber nur eine Obergrenze darstellt (wann der Ballon genau vor dem Fund gelandet ist, ist nicht bekannt). Im Rahmen der erwarteten Genauigkeit ist der Fehler akzeptabel.

Abbildung 6.1 gibt eine abschließende Übersicht aller Flugweiten zusammen mit einer Simulationsreihe des Standardballons aus Tabelle 5.1. Hier wird besonders deutlich, daß alle gestarteten Ballons weit vom berechneten Optimum entfernt sind. Der Wert dieser Versuchsreihe besteht vor allem in der Absicherung der Bedingungen, unter denen ein Ballon platzt.

Nr hmaxsubscripth_{\max}[km] Tminsubscript𝑇T_{\min}[C] tFlugsubscript𝑡Flugt_{\mathrm{Flug}}[h] Vmaxsubscript𝑉V_{\max}[l]
1 10,0 4747-47 4,0 27,7
2 5,8 1414-14 2,3 24,0
3 5,3 1414-14 2,3 19,0
4 10,8 5454-54 4,4 31,0
5 7,6 3232-32 3,2 22,1
6 4,0 1212-12 1,7 17,1
7 9,8 5353-53 4,4 27,5
Tabelle 6.3: Auswertung der zurückgeschickten Ballonkarten.

6.4 Startdynamik

Für den erfolgreichen Start eines Ballons ist das Windprofil in Bodennähe von großem Einfluß. Während der Wind Ballons um geschlossene Hindernisse fast störungsfrei mitnimmt, stellen durchlässige Objekte wie Bäume und Antennen mögliche Hindernisse nach dem Start dar.

Zur genaueren Beurteilung wurde ein Teil der in dem vorhergehenden Kapitel geschilderten Ballonstarts verwendet, um das bodennahe Windprofil zu bestimmen. Die Vorgehensweise entspricht der Windmessung durch Pilotballone: Nach dem Start wird der Ballon in regelmäßigen Abständen angepeilt und der Höhen– und Azimutwinkel notiert. Aus der bekannten Steigrate vzsubscript𝑣𝑧v_{z} des Ballons kann dann die dreidimensionale Flugbahn und somit die Windgeschwindigkeit bestimmt werden. Als Modellfunktion wird das bereits vorgestellte logarithmische Windprofil (Gl. 3.5) verwendet, da keine Quantifizierung der atmosphärischen Stabilität durchgeführt werden konnte:

v(z)𝑣𝑧\displaystyle v(z) =\displaystyle= v0ln(z/z0)subscript𝑣0𝑧subscript𝑧0\displaystyle v_{0}\ln(z/z_{0}) (6.1)

Zur kompakteren Darstellung wurden alle Vorfaktoren zu einer Skalengeschwindigkeit v0subscript𝑣0v_{0} zusammengezogen. Mit Hilfe dieses Windprofils kann die Flugbahn des Ballons im Raum als Funktion der Höhe z𝑧z explizit bestimmt werden:

r(z)𝑟𝑧\displaystyle r(z) =\displaystyle= v0vz(zln(z/z0)(zz0))subscript𝑣0subscript𝑣𝑧𝑧𝑧subscript𝑧0𝑧subscript𝑧0\displaystyle\frac{v_{0}}{v_{z}}\left(z\ln(z/z_{0})-(z-z_{0})\right) (6.2)

r𝑟r ist der horizontal gemessene Abstand zum Startort. Für die Abschätzung der Kollisionsgefahr mit umstehenden Objekten ist der Abflugwinkel ϕitalic-ϕ\phi besser geeignet:

tan(ϕ)italic-ϕ\displaystyle\tan(\phi) =\displaystyle= zr(z)𝑧𝑟𝑧\displaystyle\frac{z}{r(z)} (6.3)
\displaystyle\approx 1ln(z/z0)1vzv01𝑧subscript𝑧01subscript𝑣𝑧subscript𝑣0\displaystyle\frac{1}{\ln(z/z_{0})-1}\frac{v_{z}}{v_{0}} (6.4)
ϕitalic-ϕ\displaystyle\phi \displaystyle\approx 20vzv0superscript20subscript𝑣𝑧subscript𝑣0\displaystyle 20^{\circ}\frac{v_{z}}{v_{0}} (6.5)

Zur Bestimmung der Skalengeschwindigkeit v0subscript𝑣0v_{0} wurden für mehrere Ballonstarts Geschwindigkeitsprofile erstellt (Abb. 6.2) und mit Gl. 6.1 verglichen. Da eine einzelne Trajektorie keine gemittelte, repräsentative Messung darstellt, ist ein logarithmisches Windprofil nicht für alle Messungen klar erkennbar. Dies trifft besonders auf Starts mit böigem Wind zu. Aus diesem Grund konnte nur ein Parameterbereich ermittelt werden:

v(z)𝑣𝑧\displaystyle v(z) =\displaystyle= (1,55,0)×ln(z2 m)kmh1.55.0𝑧2 mkmh\displaystyle(1,5\dots 5,0)\times\ln\left(\frac{z}{2\mbox{ m}}\right)\quad\frac{\mbox{km}}{\mbox{h}} (6.6)

Der Wertebereich deckt sich mit unabhängigen Bestimmungen des Windprofils durch Radiosonden [73]. Der zu erwartende kleine Abflugwinkel von optimal gefüllten Kartenballons macht eine besondere Sorgfalt beim Start erforderlich.

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Abbildung 6.2: Windprofil in Bodennähe. Jede Kurve entspricht einem Ballonstart. Die durch Gl. 6.6 beschriebenen Profile sind durch zwei Geraden angedeutet.

6.5 Ballonwettbewerbe

Die Auswertung der weiteren Daten aus Tabelle 6.1 erfolgt auf eine andere Weise. Da die genauen Parameter der gestarteten Ballons (insbesondere das Ballongewicht, der Startauftrieb und in vielen Fällen die Uhrzeit) nicht bekannt sind, ist eine detaillierte Auswertung von jedem Start nicht möglich. Statt dessen wird der folgende Ansatz gewählt: Für alle Starts wird pauschal ein Kartenballon mit der Masse 5,1 g und einer Karte von 2 g angenommen. Unbekannte Startzeiten werden durch den Schätzwert 15:00 Uhr ersetzt. Der unbekannte Startauftrieb wird durch einen Ensembleansatz umgangen: Für jeden Ballonstart wird eine ganze Reihe virtueller Flüge mit Fa,0=14subscript𝐹𝑎.014F_{a,0}=1\dots 4 g durchgeführt und die jeweils am besten passende Trajektorie zur Fehlerberechnung verwendet. Dieses Vorgehen führt im Prinzip zu einer Überschätzung der Trajektoriengenauigkeit, aber in der Mehrzahl der Fälle ist der Einfluß des Auftriebs auf die Flugrichtung so gering, daß der wahre Fehler kaum beeinflußt wird. Zusätzlich wird auch für jeden Start der optimale Auftrieb berechnet, der die Flugweite maximiert. Die folgenden zwei Abschnitte gehen näher auf die Flugweiten und Modellfehler ein. Abschließend werden starke Abweichungen der Trajektorien diskutiert.

6.6 Ballonflugweite

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Abbildung 6.3: Verteilung der charakteristischen Flugweiten dmaxsubscript𝑑d_{\max} und dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}}.

Die individuellen Flugweiten d𝑑d der zur Verfügung stehenden Kartenballons bilden die Grundlage, um die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Effekte zu untersuchen und quantitativ zu erfassen. Hierbei muß das Augenmerk auf einer sorgfältigen Zusammenführung der verschiedenen Flugtage und Wettbewerbe liegen, da die pro Flugtag verfügbaren Daten nur in den seltensten Fällen ausreichen, um eine aussagekräftige Statistik zu erstellen.

Die Schwierigkeit besteht in den individuell verschiedenen Wetterbedingungen jeden Flugtags, die einen einfachen Vergleich der Daten ausschliessen. Am prominentesten ist die zeitliche Veränderung des Windfelds, welche direkt die Flugweite eines Kartenballons beeinflußt. Die Eigenschaften des Windfelds erlauben aber eine elegante Lösung dieses Problems. Zum einen ist die Mehrzahl der Trajektorien nur schwach gekrümmt – dies zeigen berechnete Trajektorien und Kartenballonfundorte – so daß die Betrachtung auf das vertikale Windprofil v(z)𝑣𝑧v(z) beschränkt werden kann. Zum anderen wird eben dieses Windprofil im Mittel gut durch eine lineare Funktion beschrieben (vgl. Abb. 3.1). Dies läßt erwarten, daß sich der Einfluß des Windes durch eine einfache Skalierung der Flugweite korrigieren läßt. Um diesen Ansatz weiter zu stützen, wurden die Trajektorienrechnungen aus Kapitel 6.10 verwendet, um die Verteilung der charakteristischen Flugweiten dmaxsubscript𝑑d_{\max} und dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} zweidimensional darzustellen. Trotz der unterschiedlichen Trajektorien, die mit den jeweiligen charakteristischen Flugweiten verknüpft sind (vgl. Abb. 5.3), zeigt die Verteilung in Abbildung 6.3 eine sehr starke Korrelation.

Diese Argumente erlauben die Einführung einer skalierten Flugweite d~~𝑑\tilde{d}, die aus den individuell berechneten Flugweiten dmaxsubscript𝑑d_{\max} und dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} für jeden Kartenballon berechnet wird. Die stückweise linear skalierte Entfernung d~~𝑑\tilde{d} ist definiert durch:

d~~𝑑\displaystyle\tilde{d} :=assign\displaystyle:= {0,3ddburstfalls d<dburstddmaxfalls d>dmax0,3+0,7ddburstdmaxdburstsonst.cases0.3𝑑subscript𝑑burstfalls 𝑑subscript𝑑burst𝑑subscript𝑑falls 𝑑subscript𝑑0.30.7𝑑subscript𝑑burstsubscript𝑑subscript𝑑burstsonst.\displaystyle\left\{\begin{array}[]{ll}0,3\frac{d}{d_{\mathrm{burst}}}&\mbox{falls }d<d_{\mathrm{burst}}\\ \frac{d}{d_{\max}}&\mbox{falls }d>d_{\max}\\ 0,3+0,7\frac{d-d_{\mathrm{burst}}}{d_{\max}-d_{\mathrm{burst}}}&\mbox{sonst.}\end{array}\right. (6.10)

Die Wahl des kritischen Verhältnisses dburst/dmax=0,3subscript𝑑burstsubscript𝑑0.3d_{\mathrm{burst}}/d_{\max}=0,3 wurde über ein Mittelwert aus vielen Simulationen (vgl. Abb. 6.3) bestimmt. Die Skalierung der Flugweite dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} auf einen festen Wert wird durch die Aussagekraft dieses Wertes motiviert: Flugweiten größer als dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} fordern eindeutig, daß der Ballon den Scheitelpunkt der Trajektorie intakt passiert hat, während kleinere Werte wahrscheinlich (aber nicht notwendigerweise) auf einen geplatzten Ballon hindeuten. Normierte Flugweiten größer Eins sollten im Sinne dieser Definition nicht vorkommen. Eine genaue Analyse dieses Falls erfolgt mit einer ausführlichen Fehlerbetrachtung in den Kapiteln 6.8 und 6.9.

Die Verwendung einer skalierten Flugweite erlaubt, windbedingte Unterschiede in den Flugweiten zu korrigieren, was die Kombination von Kartenballondaten verschiedener Flugtage ermöglicht. Darüber hinaus ist die Mittelung verschiedener Flugtage eine Möglichkeit, Aussagen unabhängig und ohne genaue Kenntnis des Wettergeschehens der einzelnen Starttage treffen zu können.

Die im Folgenden vorgestellten Verteilungen der skalierten Flugweite erlauben auch die Umgehung eines weiteren Problems: Wenn der Startauftrieb eines Ballons nicht bekannt ist (z. B. im Falle der Ballonwettbewerbe), kann aus der Flugweite eines einzelnen Ballons nicht eindeutig auf die Flugzeit geschlossen werden (vgl. Abb. 5.2). Bei der Betrachtung einer Verteilung kann aber jeder skalierten Flugweite d~~𝑑\tilde{d} im Mittel eine zuverlässigere Flugzeit tFlugsubscript𝑡Flugt_{\mathrm{Flug}} zugeordnet werden:

tFlugsubscript𝑡Flug\displaystyle t_{\mathrm{Flug}} \displaystyle\approx 20 h×{0,45×(d~/0,3)2/3falls d~<0,30,45+0,55d~0,30,7sonst.20 hcases0.45superscript~𝑑0.323falls ~𝑑0.30.450.55~𝑑0.30.7sonst.\displaystyle 20\mbox{ h}\times\left\{\begin{array}[]{ll}0,45\times(\tilde{d}/0,3)^{2/3}&\mbox{falls }\tilde{d}<0,3\\ 0,45+0,55\frac{\tilde{d}-0,3}{0,7}&\mbox{sonst.}\end{array}\right. (6.13)

Diese Gleichung wurde ebenfalls aus einem geeigneten Mittel über viele Simulationen gewonnen.

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Abbildung 6.4: Kumulative Verteilungen der normierten Flugweite.
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Abbildung 6.5: Kumulative Verteilungen der normierten Flugweite am Tag.

Zunächst wird die Verteilung der normierten Flugweiten in Abbildung 6.4 untersucht. Der Idealfall, d. h. alle Ballons erreichen die maximal mögliche Flugweite, ist gegeben durch

p(>d~)annotated𝑝absent~𝑑\displaystyle p\left(>\tilde{d}\right) =\displaystyle= Θ(1d~)Θ1~𝑑\displaystyle\Theta\left(1-\tilde{d}\right) (6.14)

mit der Heaviside-Sprungfunktion ΘΘ\Theta. Eine erste Inspektion der Verteilungen zeigt bereits, daß dieses idealisierte Szenario nicht einmal annähernd eine treffende Beschreibung gibt. Zur weiteren Untersuchung wurden die Verteilungen anhand ihrer Ähnlichkeit in zwei Gruppen aufgeteilt: „Haberlandt B“ und „C“ (Gruppe 2) sowie die verbleibenden Datensätze (Gruppe 1). Die meisten Flugweiten in Gruppe 1 liegen deutlich unter dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}}, so daß hier in Übereinstimmung mit den Angaben zu „Haberlandt A“ von sehr stark gefüllten Ballons auszugehen ist. Überraschend ist die starke Streuung der Flugweiten, die sich nicht alleine mit unterschiedlich gefüllten Ballons erklären läßt. Gerade im Bereich stark gefüllter Ballons variiert die Flugweite nur schwach mit dem Auftrieb.

Gruppe 2 zeigt deutlich größere normierte Flugweiten, was durch die gezielte Optimierung des Startauftriebs zu erwarten war. Aber welche Verteilung ist in diesem Fall überhaupt zu erwarten? Das Volumen der Ballons in Gruppe 2 bewegt sich im Rahmen des technisch möglichen dicht am optimalen Wert 8,2 l. Dennoch ist es unwahrscheinlich, daß alle Ballons die maximale Flugweite erreichen, da der optimale Bereich sehr schmal ist und die genaue Lage vom Wettergeschehen abhängig ist. In diesem Licht ist es sinnvoll, eine annähernde Gleichverteilung der Ballonflugweiten zu postulieren:

p(>d~)annotated𝑝absent~𝑑\displaystyle p\left(>\tilde{d}\right) =\displaystyle= 1d~1~𝑑\displaystyle 1-\tilde{d} (6.15)

Aber selbst diese vielleicht etwas zu pessimistische Verteilung überschätzt den Anteil großer skalierter Flugweiten.

Es müssen also weitere Einflußfaktoren vorliegen, die bisher vernachläßigt wurden und weitgehend unabhängig von den Balloneigenschaften operieren. Der universelle, annähernd exponentielle Verlauf aller Verteilungen deutet in die gleiche Richtung. Bereits genannte Kandidaten sind UV/Ozon (Kap. 3.1) und Regen (Kap. 3.2). Zur genaueren Analyse dieser Einflußfaktoren wurde für die Daten „Haberlandt A“ (hier sind die Startzeiten bekannt) jeweils eine eigene Statistik für die Starts vor 16:00 Uhr und danach erstellt. Um einen quantitativen Vergleich der Verteilungen in Gruppe 1 mit einem idealisierten Szenario zu ermöglichen, wurde zusätzlich eine Jahresstatistik für den Startort Wildon555Startort der Daten „Haberlandt“ berechnet. An jedem Tag des Jahres 2004 wurde ein 13 l Heliumballon (vgl. Tab. 5.1) virtuell um 14:00 Uhr(UT) gestartet. Abbildung 6.5 stellt noch einmal alle Verteilungen aus Gruppe 1 und die berechnete Jahresstatistik dar. Obwohl ein konstantes Ballonvolumen die in der Praxis auftretenden Variationen nicht berücksichtigt, ist die Diskrepanz zu den empirisch bestimmten Verteilungen signifikant. Alleine „Haberlandt A>>16:00“ zeigt einen mit der Jahresstatistik vergleichbaren Einbruch in der Verteilung bei d~=0,25~𝑑0.25\tilde{d}=0,25 durch zu stark gefüllte Ballons.

Es ist hilfreich, den bereits geschilderten Befund für eine genauere Diskussion zu quantifizieren. Dazu wird der Ballonflug in zwei Prozesse zerlegt: Den ungestörten (d. h. idealisierten) Ballonflug, der alleine durch die Balloneigenschaften und die Windströmung bestimmt wird, und einen von außen eingreifenden Mechanismus, der den Ballon zerstört bzw. zu Boden bringt. Unter der Annahme, daß beide Prozesse unabhängig voneinander sind, können die jeweiligen Überlebensfunktionen einfach miteinander multipliziert werden:

F(d~)𝐹~𝑑\displaystyle F(\tilde{d}) =\displaystyle= FTraject(d~)×FDecay(d~)subscript𝐹Traject~𝑑subscript𝐹Decay~𝑑\displaystyle F_{\mathrm{Traject}}(\tilde{d})\times F_{\mathrm{Decay}}(\tilde{d}) (6.16)

Im hier betrachteten Fall entspricht die Gesamtüberlebensfunktion F𝐹F der Verteilung der skalierten Entfernungen p(>d~)annotated𝑝absent~𝑑p(>\tilde{d}), und die Teilfunktion FTrajectsubscript𝐹TrajectF_{\mathrm{Traject}} bezieht sich auf den ungestörten Ballonflug. FDecaysubscript𝐹DecayF_{\mathrm{Decay}} beschreibt die Zerstörung des Ballons durch die bereits angesprochenen Umwelteinflüsse. Die treffende Modellierung dieser Effekte erscheint auf den ersten Blick unmöglich, da keine detaillierten Informationen über die zugrundeliegenden Mechanismen vorliegen. Durch die Mittelung verschiedener Flugtage und die chaotische Natur des Wettergeschehens ist es aber sinnvoll anzunehmen, daß diese Prozesse unabhängig und homogen in Zeit und Ort operieren. In diesem Fall erhält man zwangsläufig einen exponentiellen Zerfall

FDecay(d~)subscript𝐹Decay~𝑑\displaystyle F_{\mathrm{Decay}}(\tilde{d}) =\displaystyle= exp(tFlug(d~)/τ)subscript𝑡Flug~𝑑𝜏\displaystyle\exp(-t_{\mathrm{Flug}}(\tilde{d})/\tau) (6.17)

wobei die Flugzeit tFlugsubscript𝑡Flugt_{\mathrm{Flug}} gemäß Gl. 6.13 eingesetzt wird. Alles relevante Wissen über die externen Effekte ist in der Lebenszeit τ𝜏\tau enthalten. Es ist klar, daß Gl. 6.17 nur eine erste Näherung ist, die durchaus vorhandene Korrelationen wie z. B. den Tagesrhythmus außer Acht läßt. Durch die bereits vorhandenen Unsicherheiten der Daten ist aber eine weitergehende Interpretation nicht sinnvoll.

Referenz τ𝜏\tau[h] Kommentar
Trostberg 1,5 – 2,5 Starts Nachmittags, Juni, Juli
Haberlandt A << 16:00 3 – 4 Starts ab Morgens
Campingkirche 4 – 5 Starts Nachmittags
Glaschke 4 – 6 Starts Nachmittags
Haberlandt A >> 16:00 10 – 12 Starts bis in den Abend
Haberlandt B 12 – 16 Starts Abends
Haberlandt C 20 – 26 Starts Abends, Wetterbericht
Tabelle 6.4: Ermittelte Lebensdauern für verschiedene Datensätze.

Das Einsetzen von Gl. 6.17 in Gl. 6.16 zur Bestimmung einzelner Lebenszeiten τ𝜏\tau erfordert die angemessene Wahl einer ungestörten Überlebensfunktion FTrajectsubscript𝐹TrajectF_{\mathrm{Traject}}. Hierfür muß notwendigerweise auf Simulationen zurückgegriffen werden, die durch ihre Konstruktion keine externen Einflüsse beinhalten. Für Gruppe 1 wird die bereits genannte Jahresstatistik 2004 verwendet, während für die deutlich verschiedene Gruppe 2 Gl. 6.15 eingesetzt wird. Die Durchführung einer regelrechten Ausgleichsrechnung zur Bestimmung der Lebenszeiten würde den bereits genannten Limitierung nicht gerecht werden, so daß statt dessen jeweils von Hand mögliche Wertebereiche ermittelt wurden.

In Tabelle 6.4 sind alle ermittelten Lebenszeiten zusammengestellt. Im Zweifel wurden großzügigere Wertebereiche angegeben, um vor allem die Unsicherheit von FTrajectsubscript𝐹TrajectF_{\mathrm{Traject}} besser abzubilden. Durch die genau bekannten Ballonparameter des Datensatzes „Glaschke“ konnte die Lebenszeit direkt aus Tabelle 6.3 ermittelt werden. Trotz der unterschiedlichen Datenquellen und Methoden zeigen „Haberlandt A<<16:00“, „Campingkirche“ und „Glaschke“ mit vergleichbaren Startbedingungen eine bemerkenswerte Übereinstimmung der Lebenszeit von 4–5 Stunden. „Haberlandt A>>16:00“ sowie „B“ mit Starts am späten Nachmittag bzw. frühen Abend sind ebenfalls in zufriedenstellender Übereinstimmung, vor allem wenn man den deutlichen Unterschied in den Ballonfüllungen und Flugzeiten bedenkt. Mit dem Datensatz „Haberlandt C“, der zusätzlich nur Starts bei trockenem Wetter enthält, wird die größte Lebenszeit erreicht. Mit „Trostberg“ ist die kürzeste Lebenszeit im Stundenbereich gegeben.

Abschließend werden die Angaben in Tabelle 6.4 verwendet, um jeweils den einzelnen Effekten Lebensdauern zuzuordnen. In erster Näherung ergeben sich die aufgeführten Lebensdauern aus einer Summe der verschiedenen Beiträge:

1τ1𝜏\displaystyle\frac{1}{\tau} \displaystyle\approx 1τLicht+1τRegen+1τRest1subscript𝜏Licht1subscript𝜏Regen1subscript𝜏Rest\displaystyle\frac{1}{\tau_{\mathrm{Licht}}}+\frac{1}{\tau_{\mathrm{Regen}}}+\frac{1}{\tau_{\mathrm{Rest}}} (6.18)

Aus dem Vergleich der beiden „Haberlandt A“-Blöcke ergibt sich der durch Tageslicht bestimmte Anteil zu τLicht10subscript𝜏Licht10\tau_{\mathrm{Licht}}\approx 10 h. Vergleiche mit „Haberlandt B“ und „C“ erlauben die Zuordnung für Regen τRegen20subscript𝜏Regen20\tau_{\mathrm{Regen}}\approx 20 h und die verbleibenden (d. h. unbekannten) Effekte τRest20subscript𝜏Rest20\tau_{\mathrm{Rest}}\approx 20 h. Solange diese Aufteilung nicht durch eine direkte Verknüpfung der Ballonflugweiten mit Wetterdaten bestätigt wird (vgl. Kap. 3.2), sind diese Angaben vorläufige Schätzwerte.

In Anbetracht dieser Aufteilung bleibt alleine der Datensatz „Trostberg“ rätselhaft, der eine deutlich kleinere Lebensdauer aufzeigt. Nach Rücksprache mit dem Veranstalter wurde die Auswertung noch einmal mit einem veränderten Ballonmodell wiederholt. Das Ergebnis änderte sich aber nur geringfügig, ohne diesen Befund erklären zu können. Möglicherweise führten die Startzeiten in den Monaten Juni und Juli zu einem besonders starken Einfluß der Sonneneinstrahlung, aber auch die Nähe des Startorts zu den Alpen ist ein Umstand, der von dem Trajektorienmodell nicht detailliert berücksichtigt wird.

Referenz % Intakt
Campingkirche 7,8
Glaschke 0,0
Haberlandt A 4,8
Haberlandt B 37,4
Haberlandt C 56,3
Trostberg 0,0
Tabelle 6.5: Anteil intakt gelandeter Ballons.

6.7 Intakte Ballons

Die kumulativen Verteilungen in Abbildung 6.4 erlauben auch eine Abschätzung des Anteils der Ballons, die intakt gelandet sind. Ballons, die weiter als dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} geflogen sind, müssen den Scheitelpunkt intakt passiert haben. Da die Hülle beim Abstieg wieder schrumpft und dadurch zunehmend entlastet wird, ist es sehr wahrscheinlich, daß ein Großteil dieser Ballons ebenfalls intakt landet. Der aus den kumulativen Verteilungen entnommene Anteil dieser Ballons ist in Tabelle 6.5 als Schätzwert zusammengestellt.

6.8 Fehler

Das vorgestellte Modell muß durch eine Fehlerbetrachtung geprüft und beurteilt werden. Unstimmigkeiten zwischen dem Fundort eines Kartenballons und der korrespondierenden Trajektorie können zwei prinzipiell verschiedene Ursachen haben: Zum einen kann das verwendete Trajektorienmodell selbst fehlerbehaftet sein, und zum anderen können die mit dem gefundenen Kartenballon verknüpften Daten ungenau sein.

Der Fundort eines Kartenballons wird selten präzise angegeben. In der Regel wird die nächste Stadt genannt, was im Mittel eine Genauigkeit von wenigen Kilometern erlaubt (vgl. Kap. 4). Wenn ein Kartenballon jedoch ins Meer oder in ein fließendes Gewässer fällt, hat auch ein genauer Fundort nur noch eine begrenzte Aussagekraft: Durch den zusätzliche Transport geht jede Information über den wahren Landeplatz verloren. In diesem Fall sind fast beliebig große Abweichungen möglich sind. Oft ist auch die genaue Startuhrzeit eines Kartenballons nicht bekannt. Hier muß mit Schätzwerten gearbeitet werden, die aber um bis zu mehrere Stunden falsch sein können. Besonders bei dynamischen Wettersituationen ist dann ein deutlicher Einfluß auf die berechnete Trajektorie zu erwarten. Zuletzt besteht die Möglichkeit, daß beim Aufzeichnen der Daten Fehler aller Art auftreten. Das können Verwechslungen und Zahlendreher bei der Archivierung sein, Probleme bei der Identifizierung des Fundorts oder gezielte Fälschungen durch den Finder oder den Teilnehmer eines Ballonwettbewerbs.

Das Trajektorienmodell besteht aus mehreren Komponenten, die unterschiedlich stark die Genauigkeit einer Trajektorie beeinflussen. Die wichtigsten Teile sind die zugrunde liegenden Gleichungen (Kap. 5), die verwendeten Wetterdaten (Kap. 3) und die numerische Integration des Gesamtsystems. Von zentraler Bedeutung sind Fehler in den Grundgleichungen. Diese können jedoch nur indirekt erschlossen werden, indem geprüft wird, ob der Gesamtfehler alleine durch die begrenzte Genauigkeit der Wetterdaten erklärt werden kann. Das numerische Lösungsverfahren und der Zeitschritt sind bereits so gewählt, daß der Integrationsfehler vernachlässigbar ist.

Die begrenzte Genauigkeit des Wettermodells ist nicht alleine auf fehlerhafte Einzelmessungen zurückzuführen, sondern vor allem auf die geringe Abtastung der Wetterwerte in Zeit und Ort [98]. Windbewegungen variieren bereits im Minuten– und Stundenbereich [103], was deutlich kürzer als das übliche Startintervall der Radiosonden von 12 Stunden (bzw. in seltenen Fällen 6 Stunden) ist. Diese Unterabtastung verursacht zwei Fehlerbeiträge: Zum einen können schnell variierende Windbeiträge gar nicht durch das interpolierte Wettermodell wiedergegeben werden (Auflösungs-Effekt), zum anderen werden schnelle Fluktuationen durch die Unterabtastung in niedrigere Frequenzbereiche verschoben (Alias-Effekt) und ändern so ebenfalls das Modell. Während die hochfrequenten Beiträge im Laufe einer Trajektorienberechnung gemittelt und damit gedämpft werden, summieren sich langperiodischen Beiträge systematisch auf.

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Abbildung 6.6: Das durch die Trajektorie mit minimalem ΔminsubscriptΔ\Delta_{\min} aufgespannte Koordinatensystem. Der offene Kreis ist der Endpunkt der Trajektorie. Der korrespondierende Fundort befindet sich im Abstand d𝑑d zum Startort.

Die gleiche Argumentation kann auf die Abtastung im Ort angewendet werden. Bei einem mittleren Abstand der verwendeten Radiosondenstationen von bis zu 200 km und typischen Korrelationslängen des Windfelds von mehreren 100 bis 1000 km [50] ist der Einfluß aber etwas geringer ausgeprägt. Zu beachten ist, daß sich bei kurzen Trajektorien die kleinskaligen Windstrukturen nicht herausmitteln können und damit den Fehler dominieren.

Darüber hinaus wird die erreichbare Genauigkeit durch fehlende Wetterdaten fundamental limitiert: Interpolationsverfahren können die Auswirkungen fehlender Daten mildern, aber keinesfalls aufheben. In diesem Licht sind eventuell durch das Interpolationsverfahren selbst eingeführte Fehler zu vernachlässigen.

Der Gesamtfehler ΔΔ\Delta einer Trajektorie als Funktion der Flugzeit t𝑡t ergibt sich aus der Summe des Auflösungsfehlers ΔRessubscriptΔRes\Delta_{\mathrm{Res}} und des Alias-Fehlers ΔAliassubscriptΔAlias\Delta_{\mathrm{Alias}}:

Δ(t)Δ𝑡\displaystyle\Delta(t) =\displaystyle= ΔRes(t)+ΔAlias(t)subscriptΔRes𝑡subscriptΔAlias𝑡\displaystyle\Delta_{\mathrm{Res}}(t)+\Delta_{\mathrm{Alias}}(t) (6.19)

Bedingt durch den systematischen Charakter wächst ΔAliassubscriptΔAlias\Delta_{\mathrm{Alias}} ebenso wie die Flugweite d𝑑d näherungsweise linear mit der Zeit:

ΔAliassubscriptΔAlias\displaystyle\Delta_{\mathrm{Alias}} \displaystyle\approx tΔv𝑡delimited-⟨⟩Δ𝑣\displaystyle t\langle\Delta v\rangle (6.20)
d(t)𝑑𝑡\displaystyle d(t) \displaystyle\approx tv𝑡delimited-⟨⟩𝑣\displaystyle t\langle v\rangle (6.21)

Δvdelimited-⟨⟩Δ𝑣\langle\Delta v\rangle ist der mittlere Geschwindigkeitsfehler und vdelimited-⟨⟩𝑣\langle v\rangle die mittlere Windgeschwindigkeit. Da die Ursache des Windfehlers Δvdelimited-⟨⟩Δ𝑣\langle\Delta v\rangle eine Verschiebung im Zeit- bzw. Ortsspektrum ist, ist Δvvproportional-todelimited-⟨⟩Δ𝑣delimited-⟨⟩𝑣\langle\Delta v\rangle\propto\langle v\rangle zu erwarten. Für die meisten Trajektorien liefert ΔRessubscriptΔRes\Delta_{\mathrm{Res}} nur einen kleinen Beitrag, weshalb auf die genaue Analyse des zeitliche Verlaufs verzichtet wird.

Zur Fehlerauswertung wird der Fundort mit der Vorhersage der Simulation über ein spezielles Koordinatensystem in Verbindung gebracht (siehe Abb. 6.6). Die y𝑦y-Koordinate wird aus der Länge des Lots auf die Trajektorie bestimmt (positiv für eine Abweichung nach links vom Startort aus gesehen), wobei die Trajektorie an den Enden über ihre Tangente verlängert wird. Die Länge der Trajektorie bis zum Fußpunkt ist die in Flugrichtung positiv gezählte x𝑥x-Koordinate. Ein einfaches und robustes Fehlermaß ist die kürzeste Entfernung ΔminsubscriptΔ\Delta_{\min} des Kartenfundorts xfsubscript𝑥𝑓\vec{x}_{f} zur berechneten Trajektorie, die in der Abbildung durch eine gestrichelte Linien dargestellt ist. Aus den vorangegangenen Ausführungen erscheint der relative Fehler des Fundorts besonders geeignet, der ebenfalls berechnet wird:

ΔminsubscriptΔ\displaystyle\Delta_{\min} :=assign\displaystyle:= min{|xfx||xTrajektorie}\displaystyle\min\{|\vec{x}_{f}-\vec{x}^{\prime}|\quad|\vec{x}^{\prime}\in\mathrm{Trajektorie}\} (6.22)
ΔRelsubscriptΔRel\displaystyle\Delta_{\mathrm{Rel}} :=assign\displaystyle:= ΔmindsubscriptΔ𝑑\displaystyle\frac{\Delta_{\min}}{d} (6.23)

Durch die Definition von ΔminsubscriptΔ\Delta_{\min} ist der relative Fehler beschränkt: ΔRel1subscriptΔRel1\Delta_{\mathrm{Rel}}\leq 1.

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Abbildung 6.7: Gleitendes Mittel des absoluten Trajektorienfehlers ΔminsubscriptΔ\Delta_{\min}. Gl. 6.25 ist als Gerade mit eingetragen.

Nun werden die in Gl. 6.22 und Gl. 6.23 angegebenen Fehlermaße berechnet und statistisch ausgewertet. Zuerst wird die Abhängigkeit von ΔminsubscriptΔ\Delta_{\min} von der Flugweite d𝑑d untersucht. Um statistische Schwankungen zu reduzieren, werden die einzelnen Fehlerwerte Δmin,ksubscriptΔ𝑘\Delta_{\min,k} aufsteigend sortiert und ein gleitendes Mittel angewendet:

barΔmin,i=12l+1k=llbarΔmin,i+kbarsubscriptΔ𝑖12𝑙1superscriptsubscript𝑘𝑙𝑙barsubscriptΔ𝑖𝑘\displaystyle\mathrm{bar}\Delta_{\min,i}=\frac{1}{2l+1}\sum_{k=-l}^{l}\mathrm{bar}\Delta_{\min,i+k} (6.24)

Der Mittelungsbereich umfaßt 41 Werte (l=20𝑙20l=20) und wird an den Rändern symmetrisch verkürzt. Abbildung 6.7 faßt alle Fehler zusammen. Trotz der unterschiedlichen Datenquellen zeigt sich ein universelles lineares Ansteigen des absoluten Fehlers mit der Flugweite. Dies bestätigt die bereits ausgeführte Überlegung, daß der Alias-Effekt in der Windfeldabtastung einen systematischen Fehler bedingt. Das Fehlerverhalten läßt sich gut durch

barΔmin(d)barsubscriptΔ𝑑\displaystyle\mathrm{bar}\Delta_{\min}(d) =\displaystyle= 0,13d0.13𝑑\displaystyle 0,13\,d (6.25)

beschreiben. Der mittlere Fehler von 13 % paßt gut zu den Ergebnissen von [88, 100], wobei zu berücksichtigen ist, daß sich Gl. 6.25 nur auf einen eindimensionalen Fehler senkrecht zur Trajektorie bezieht.

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Abbildung 6.8: Relativer Fehler der einzelnen Trajektorienrechnungen. Gl. 6.26 ist mit eingetragen.

Da der Alias-Effekt von dem Anteil hoher Frequenzen in den Windfluktuationen abhängt, ist es durchaus möglich, daß Wettersituationen vorliegen, die auch mit einer Abtastung von 12 h relativ gut zur rekonstruieren sind. Um einen Einblick in die Fehlerverteilung zu erhalten, wird der relative Fehler nach Gl. 6.23 für jeden Kartenballon ausgewertet und in einer kumulierten Verteilung aufgetragen. Trajektorien kürzer als 200 km wurden ausgeschlossen, um einer Verzerrung der Verteilungen durch den vernachlässigten Auflösungsfehler vorzubeugen.

Wie die Schwankungen im mittleren Fehler erwarten lassen, sind hier die Ergebnisse weit uneinheitlicher (Abb. 6.8). Qualitativ folgen aber alle Verteilungen annähernd der exponentiellen Verteilung

F(ΔRel)𝐹subscriptΔRel\displaystyle F\left(\Delta_{\mathrm{Rel}}\right) =\displaystyle= exp(ΔRel0,13)subscriptΔRel0.13\displaystyle\exp\left(-\frac{\Delta_{\mathrm{Rel}}}{0,13}\right) (6.26)

die mit dem Mittelwert in Gl. 6.25 konsistent ist. Die Abnahme der verfügbaren Daten mit zunehmender Flugweite erschwert die Beurteilung, ob diese Verteilung wirklich unabhängig von der Flugweite d𝑑d ist. Zumindest im Bereich d<1000𝑑1000d<1000 km unterstützen die Daten diese Annahme.

Da keine zeitlich höher aufgelösten Winddaten zur Verfügung stehen, läßt sich dieses Fehlerverhalten nicht eindeutig mit dem Windspektrum in Verbindung bringen. Einzelne Messungen und theoretische Arbeiten deuten aber in diese Richtung [93, 23].

6.9 Ausreißer

Ballons, die deutlich weiter fliegen als berechnet oder deren Trajektorie einen großen Fehler aufzeigt, sind mögliche Hinweise auf Schwächen oder Fehler in dem vorgestellten Trajektorienmodell. Um zu entscheiden, ob es sich in diesen Fällen nur um Extremwerte der beschriebenen Fehlerverteilung (Abb. 6.8) oder wirkliche Probleme handelt, wurden alle auffälligen Ballons noch einmal genauer untersucht. Ballons mit einer normierten Flugweite d~~𝑑\tilde{d} über 1,1 wurden in einer Gruppe zusammengefaßt. Aus den verbleibenden Ballons wurden alle Ballons mit einem Fehler ΔminsubscriptΔ\Delta_{\min} über 200 km in einer weiteren Gruppe zusammengefaßt. Um der Ursache der Abweichungen auf die Spur zu kommen, wurden für jeden Ballon noch einmal Trajektorien „von Hand“ berechnet und die Struktur des interpolierten Windfelds untersucht. Anhand dieser Ergebnisse wurden vier Fehlerkategorien erstellt:

  1. 1.

    Vertretbare Abweichung. Bei Gruppen sind die Ergebnisse für die restlichen Ballons gut oder die Flugweite war nahe 200 km.

  2. 2.

    Schwierige Windfeldrekonstruktion (Divergenzen, Scherströmungen, keine dominante Hauptströmung). Dies umfaßt sowohl Orts– als auch Zeitinterpolationsprobleme.

  3. 3.

    Starke Abweichung von der berechneten Trajektorie und anderen Ballons (falls verfügbar). Flug gegen die vorherrschende Windrichtung ohne erkennbaren Grund.

  4. 4.

    Verbleibende starke Abweichungen.

Tabelle 6.6 enthält die Klassifizierung aller auffälligen Ballons. Der Großteil der Abweichungen ist dabei der ungenauen Rekonstruktion des Windfelds anzulasten (Fall 2). Für die Gruppe der Ballons mit normierten Flugweiten über 1,1 deckt diese Erklärung alle Flüge ab, so daß aus den Daten kein Widerspruch zur berechneten maximalen Flugweite abgeleitet werden kann.

Referenz Ballons d~>1,1~𝑑1.1\tilde{d}>1,1 1) 2) 3) 4) Δmin>200subscriptΔ200\Delta_{\min}>200 km 1) 2) 3) 4)
Campingkirche 881 2 1 1 0 0 6 0 1 4 1
Glaschke 7
Haberlandt A 156
Haberlandt B 636 13 4 9 0 0 31 7 17 3 4
Haberlandt C 266 7 7 0 0 0 19 0 15 0 4
Trostberg 211
Tabelle 6.6: Auffällige Daten. Die detaillierte Beschreibung der Kategorien 1–4 befindet sich auf Seite 6.9.

Es verbleibt aber ein Teil Ballonflüge mit unklaren Ursachen (Fall 4). In einigen Fällen könnten die Ballons an Küsten angespült worden sein, aber auch durch starke Regenfälle o. ä. veränderte Trajektorien könnten in diesen Fällen eine Rolle spielen.

Besonders rätselhaft sind die Fälle, in denen Ballons gegen die vorherrschende Windrichtung gedriftet sind, ohne daß die Windfeldrekonstruktion problematisch erscheint (Fall 3). Hier könnten auch einfache Datenfehler666Bei der Formatierung der Ballonflugdaten wurden je nach Datenquelle in 0,1 % bis 1 % der Fälle Fehler erkannt (Zahlendreher, namensgleiche Fundorte u. ä.)., fehlerhaft ausgefüllte Ballonkarten oder Verwechslungen bei der Bestimmung des Fundorts vorliegen. Bei Ballonwettbewerben bleibt schließlich auch die Möglichkeit der gezielten Fälschung. Herr Haberlandt nennt eine Fälschung (oder einen Scherz) durch den Finder [sic] der Karte. Aber selbst wenn man Fall 3 durchgängig als gezielte Fälschungen betrachtet, bleibt der auf die Teilnehmer der Ballonwettbewerbe hochgerechnete Anteil sehr gering. Auch wenn eine abschließende Beurteilung zu diesem Zeitpunkt nicht möglich ist, stellen diese Fälle mit einem Anteil um 0,5 % nur einen Bruchteil aller Kartenballons dar.

6.10 Jahresstatistiken

Die absolute Flugweite eines Kartenballons wurde bis jetzt kaum diskutiert, da sie in hohem Maße von den Wind– und Wetterbedingungen abhängt und nur wenig über die Gültigkeit eines Trajektorienmodells aussagt. Diese für die Ausrichter von Ballonwettbewerben und natürlich deren Teilnehmer wichtige Größe soll nun näher beleuchtet werden.

Mit dem erfolgreich validierten Modell wurden „virtuelle“ Ballontrajektorien und Landepunkte berechnet, die eine genaue Vorstellung von den erreichbaren Flugweiten ermöglichen. Dieser Ansatz erlaubt eine weit bessere Statistik, die mit echten Ballons kaum mit vertretbarem Aufwand möglich wäre.

Als Startpunkt dieser virtuellen Flüge dient Wildon777Wildon/Steiermark, 46 °54 ′N 15 °33 ′E, das auch der Startort des größten Datensatzes „Haberlandt A–C“ ist. Starts wurden für jeden Tag der Jahre 1999 – 2008 mit der Startzeit 14:00 Uhr(UT) durchgeführt. Bei einer Flugzeit von rund 20 Stunden liegt der Zeitablauf der Trajektorie symmetrisch zu den Wetterdaten um 00:00 Uhr(UT), wodurch systematische Einflüsse der Zeitinterpolation reduziert werden. Da das Atmosphärenmodell deterministisch ist, ergibt ein Ballon pro Startzeitpunkt jeweils eine eindeutige Trajektorie. Für jeden Startzeitpunkt wurde der Ballonauftrieb iterativ verändert, um die charakteristischen Flugweiten dmaxsubscript𝑑d_{\max} und dburstsubscript𝑑burstd_{\mathrm{burst}} automatisch zu bestimmen.

Refer to caption
Abbildung 6.9: Berechnete Jahresstatistik. Zum Vergleich zeigt S(d)𝑆𝑑S(d) die Verteilung in Gl. 6.30

Die zweidimensionale Verteilung der Fundorte mit maximaler Flugweite dmaxsubscript𝑑d_{\max} auf der Erdoberfläche wird gut durch eine bivariate Gauß-Verteilung beschrieben. Bedingt durch die Westwinddrift liegt der Modalwert 660 km weiter östlich bei (46 °15 ′N 24 °4 ′E). Trotz dieser Asymmetrie lassen sich die in Abbildung 6.9 zusammengefassten kumulierten Abstandsverteilungen gut durch einfache Rayleigh-Verteilungen annähern:

Smax(>d)annotatedsubscript𝑆absent𝑑\displaystyle S_{\max}(>d) =\displaystyle= exp(d22σmax2)σmax=911 kmsuperscript𝑑22superscriptsubscript𝜎2subscript𝜎911 km\displaystyle\exp\left(-\frac{d^{2}}{2\sigma_{\max}^{2}}\right)\qquad\sigma_{\max}=911\mbox{ km} (6.27)
Sburst(>d)annotatedsubscript𝑆burstabsent𝑑\displaystyle S_{\mathrm{burst}}(>d) =\displaystyle= exp(d22σburst2)σburst=258 kmsuperscript𝑑22superscriptsubscript𝜎burst2subscript𝜎burst258 km\displaystyle\exp\left(-\frac{d^{2}}{2\sigma_{\mathrm{burst}}^{2}}\right)\qquad\sigma_{\mathrm{burst}}=258\mbox{ km} (6.28)

Die Form der Abstandsverteilung geht im wesentlichen auf die zugrundeliegenden rayleighverteilten Windgeschwindigkeiten zurück. Bei den größten Abständen weichen die Daten etwas von dieser einfachen Verteilung ab, aber dieser Bereich wird bereits durch starke statistische Schwankungen dominiert. Die gewonnenen Verteilungen spiegeln bis jetzt nur den Idealfall wieder – jeder Ballon erreicht nach dem Start die maximal mögliche Flugweite. Mit einer bekannten Überlebensfunktion F𝐹F(siehe Kap. 6.6), bezogen auf die normierte Flugweite, kann diese Verteilung aber näherungsweise korrigiert werden, um ein realistischeres Bild zu erhalten:

S(>d)annotated𝑆absent𝑑\displaystyle S(>d) =\displaystyle= 01S(d/x)dF(x)dx𝑑xsuperscriptsubscript01𝑆𝑑𝑥𝑑𝐹𝑥𝑑𝑥differential-d𝑥\displaystyle-\int_{0}^{1}S(d/x)\frac{dF(x)}{dx}dx (6.29)

Exemplarisch sei hier das Ergebnis für den Fall gleichverteilter normierter Flugweiten gegeben:

Smax(>d)annotatedsubscript𝑆absent𝑑\displaystyle S_{\max}(>d) =\displaystyle= exp(d22σmax2)π2dσmaxerfc(d2σmax)superscript𝑑22superscriptsubscript𝜎2𝜋2𝑑subscript𝜎erfc𝑑2subscript𝜎\displaystyle\exp\left(-\frac{d^{2}}{2\sigma_{\max}^{2}}\right)-\sqrt{\frac{\pi}{2}}\frac{d}{\sigma_{\max}}\mathrm{erfc}\left(\frac{d}{\sqrt{2}\sigma_{\max}}\right) (6.30)
=\displaystyle= σmax2d2exp(d22σmax2)+𝒪(σmax4d4)superscriptsubscript𝜎2superscript𝑑2superscript𝑑22superscriptsubscript𝜎2𝒪superscriptsubscript𝜎4superscript𝑑4\displaystyle\frac{\sigma_{\max}^{2}}{d^{2}}\exp\left(-\frac{d^{2}}{2\sigma_{\max}^{2}}\right)+\mathcal{O}\left(\frac{\sigma_{\max}^{4}}{d^{4}}\right) (6.31)

Bereits dieses ebenso idealisierte Szenario zeigt eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit großer Flugweiten.

Der Vergleich der Kartenballondaten mit dieser Betrachtung zeigt, daß alle Ballonwettbewerbe weit hinter der Modellfunktion Gl. 6.30 zurückbleiben. Nur Haberlandt B und besonders Haberlandt C erreichen beachtliche Flugweiten. Hier ist aber zu beachten, daß gezielt Tage mit hohen Windgeschwindigkeiten zum Start ausgewählt wurden, während in der berechneten Jahresstatistik über alle Tage des Jahres gleich gemittelt wurde.

Diese Statistik schließt immer wieder gemeldete extreme Flugweiten wie Flüge über den Atlantik mit Sicherheit aus. Alte Ausgaben des Guinness-Buch der Rekorde verzeichnen noch „Rekordflugweiten“ deutlich über 10 000 km [86], aber in neueren Auflagen ist diese Kategorie folgerichtig nicht mehr enthalten888Diese Kategorie wird mindestens seit 1995 nicht mehr geführt, Mitteilung der Redaktion des Guinness World Records Buches vom 23.2.2010.. Auf der Basis der hier durchgeführten Rechnungen liegt die maximal erreichbare Distanz (zumindest in Europa) wenig über 3000 km.

Refer to caption
Abbildung 6.10: Erreichte Flugweiten. Gl. 6.30 dient hier ebenfalls als Vergleichspunkt.

6.11 Zeit bis zum Fund

Abschließend wird noch die Zeit betrachtet die vergeht, bevor eine Karte gefunden und zurückgeschickt wird. Unter der Annahme, daß die Fundwahrscheinlichkeit an einem Landeplatz zeitunabhängig ist, erhält man eine exponentielle Verteilung des Anteils der noch nicht gefundenen Karten Ffundsubscript𝐹fundF_{\mathrm{fund}}:

Ffund(t)subscript𝐹fund𝑡\displaystyle F_{\mathrm{fund}}(t) =\displaystyle= exp(t/τ)𝑡𝜏\displaystyle\exp(-t/\tau) (6.32)

Die mittlere Liegezeit τ𝜏\tau bis zum Fund der Karte beträgt für die Daten von Glaschke 6,7 Tage, nach den Daten Trostberg ergibt sich eine Lebensdauer von 6 – 18 Tagen. Werden nur kurze Zeiten im Wochenbereich betrachtet, liefert Gl. 6.32 eine sehr gute Beschreibung, auch wenn signifikante Abweichungen erkennbar sind. Besonders deutlich wird das bei den Daten von Haberlandt, die Karten beinhalten, die nach mehr als einem Jahr zurückgeschickt wurden. Hier erfordert die Heterogenität der Fundorte, von einer ganzen Verteilung von mittleren Liegezeiten auszugehen:

Ffund(t)subscript𝐹fund𝑡\displaystyle F_{\mathrm{fund}}(t) =\displaystyle= 0exp(t/τ)f(τ)𝑑τsuperscriptsubscript0𝑡𝜏𝑓𝜏differential-d𝜏\displaystyle\int_{0}^{\infty}\exp(-t/\tau)f(\tau)d\tau (6.33)

Im konkreten Fall der Daten von Haberlandt sind bereits zwei Liegezeiten ausreichend, um eine gute Näherung zu erhalten:

Ffund(t)subscript𝐹fund𝑡\displaystyle F_{\mathrm{fund}}(t) \displaystyle\approx 0,85exp(t40 d)+0,15exp(t220 d)0.85𝑡40 d0.15𝑡220 d\displaystyle 0,85\exp\left(-\frac{t}{40\mbox{ d}}\right)+0,15\exp\left(-\frac{t}{220\mbox{ d}}\right) (6.34)

Es ist zu erwarten, daß die Fundwahrscheinlichkeit mit der Bevölkerungsdichte und der Siedlungsstruktur in Zusammenhang gebracht werden kann. Diese Idee wurde aber aufgrund der unzureichenden Datenlage nicht weiter verfolgt.

Kapitel 7 Diskussion

Das in dieser Arbeit entwickelte Modell ermöglicht vielfältige Einblicke in die Dynamik eines Kartenballons. Der Vergleich der durchgeführten Simulationen mit Ergebnissen von Ballonwettbewerben erlaubt fundierte Aussagen über die typische Ballontrajektorie: Ballons erreichen regelmäßig Höhen über 12 km, widerstehen dabei Temperaturen bis zu 6060-60 °C und können bis zu 24 Stunden und länger in der Luft bleiben. Als wichtigster Parameter bei der Flugweitenmaximierung hat sich die Ballonfüllung herausgestellt. Der berechnete optimale Startauftrieb von rund 20 % der Leermasse ist dabei in guter Übereinstimmung mit dem unabhängig experimentell ermittelten optimalen Ballonvolumen von 8,2 l [39]. Ist die Ballonfüllung optimiert, haben alle anderen Balloneigenschaften bemerkenswerterweise nur noch einen geringen Einfluß auf die Flugweite. Alleine die maximal erreichbare Flughöhe zeichnet sich durch einen fast quadratischen Einfluß aus. Regen und UV-Strahlung (besonders im Zeitraum Juni – Juli) erscheinen als die stärksten externen Einflüsse, die die Lebenszeit eines Ballons auf wenige Stunden beschränken können.

In der Praxis sind unter diesen Umständen Flugweiten bis zu 3000 km möglich, was die Angaben in [86] deutlich nach oben korrigiert. Nach der Kenntnis des Autors liegt der in dieser Arbeit durch Trajektorienrechnungen bestätigte Rekord bei 2321 km [39]. Der auf den ersten Blick gering erscheinende Drucksprung eines Ballon trägt besonders zu einer langen Verweilzeit in großen Höhen und damit zu großen Flugweiten bei. Leider bleiben Ballonwettbewerbe durch zu stark gefüllte Ballons und Starts tagsüber im Sommer weit unter diesen Werten.

Erfreulich sind die im Vergleich zu den Betrachtungen in Kapitel 4 sehr hohen Fundquoten (siehe Tab. 6.1), die vermuten lassen, daß die Mehrheit der gefundenen Karten auch anschließend zurückgeschickt wird.

Trotz der erfolgreichen Validierung des Kartenballonmodells besteht noch Raum für Verbesserungen. Die Qualitätskontrolle und Integration der primären Radiosondendaten könnte stärker systematisiert werden [21, 22]. Prinzipiell ist auch die Einbindung eines digitalen Geländemodells in das Atmosphärenmodell denkbar (z. B. [38]). Ein solcher Schritt erfordert aber zwangsläufig eine konsistente Integration des Windfelds, was weit über die in dieser Arbeit verwendete einfache Interpolation hinausgehen würde.

Alle Aussagen über das Ballonverhalten im Flug sind nur indirekt erschlossen. Direkte Einblicke würden nur Flugsimulationen in einer Klimakammer bringen (in eingeschränkter Form von [55] verwendet), die auch definitive Aussagen über das Materialverhalten von Gummi bei tiefen Temperaturen und starker Dehnung liefern würden. Ebenso wären Laborexperimente nötig, um das Zusammenspiel von UV-Strahlung und Oxidantien wie Ozon bei der Wirkung auf den Ballongummi zu untersuchen.

Zur Steigerung der Zuverlässigkeit ist auch die Verwendung von Ballongespannen möglich, die weitaus vielfältigere Möglichkeiten zur Optimierung bieten. Aber auch bei einer weitgehenden Optimierung eines Kartenballons bleibt ein Problem bestehen: Ein normaler Kartenballon verfügt über keine Regelmechanismen, die das Aufsteigen über die maximal mögliche Höhe und damit das Platzen aktiv verhindern.

Danksagung

Jede Theorie steht und fällt mit dem Experiment. Ohne die Zusammenarbeit mit den Veranstaltern verschiedener Ballonwettbewerbe wäre diese Arbeit in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen.

Ich bedanke mich herzlich bei Herrn Dr. Michael Kollefrath (Campingkirche FCO Stollhofen) und Herrn Hans Aitl (Kolpingfamilie Trostberg/Schwarzau) für die Unterstützung dieses Projekts mit ihren Ballonwettbewerben. Ganz besonders bedanke ich mich bei Herrn Oskar Haberlandt, der durch seine reichhaltigen Ballonexperimente und die geduldige Diskussion aller damit in Zusammenhang stehenden Fragen diese Arbeit ungemein bereichert hat.

Mein Dank gilt auch Frau Dr. Michaela Kleinert und Herrn Dr. Andreas Ernst, die tatkräftig alle Entwürfe durchgesehen und mit Ihren Anmerkungen verbessert haben. Herr Dr. Mathias Schott hat besonders den experimentellen Teil dieser Arbeit unterstützt.

Anhang A Nützliche Konstanten

g𝑔g   : 9,81 m/s2 Erdbeschleunigung
RErdesubscript𝑅ErdeR_{\mathrm{Erde}}   : 6371 km Mittlerer Erdradius
e𝑒e   : 1,602 176 487(40)×10191.60217648740superscript10191,602\,176\,487(40)\times 10^{-19} C Elementarladung
kBsubscript𝑘𝐵k_{B}   : 1,380 6504(24)×10231.380650424superscript10231,380\,6504(24)\times 10^{-23} J/K Boltzmann Konstante
R𝑅R   : 8,314 472(15)8.314472158,314\,472(15) J mol-1 K-1 Gaskonstante
σ𝜎\sigma   : 5,670 400(40)×108Wm2K45.67040040superscript108Wsuperscriptm2superscriptK45,670\,400(40)\times 10^{-8}\frac{\mathrm{W}}{\mathrm{m}^{2}\mathrm{K}^{4}} Stefan-Boltzmann-Konstante
c𝑐c   : 299 792 458299792458299\,792\,458 m/s Lichtgeschwindigkeit
hh   : 6,626 068 96(33)×10346.6260689633superscript10346,626\,068\,96(33)\times 10^{-34} Js Plancksches Wirkungsquantum
NAsubscript𝑁𝐴N_{A}   : 6,022 141 79(30)×10236.0221417930superscript10236,022\,141\,79(30)\times 10^{23} mol-1 Avogadro Konstante
Vmsubscript𝑉𝑚V_{m}   : 24,464 042424.464042424,464\,0424\, l mol-1 Molares Volumen bei Standardbedingungen
T0subscript𝑇0T_{0}   : 273,15superscript273.15-273,15^{\circ}C Absoluter Nullpunkt
NTP   : 25C  101 325 Pa Standardbedingungen (nicht genormt)
STP   : 0C  101 325 Pa Normbedingungen

Materialeigenschaften

ρ𝜌\rho[kg/m3] %[Luft] mMolsubscript𝑚Molm_{\mathrm{Mol}}[g] λ[WmK]𝜆delimited-[]WmK\lambda[\frac{\mathrm{W}}{\mathrm{m\,K}}] cp[JgK]subscript𝑐𝑝delimited-[]JgKc_{p}[\frac{\mathrm{J}}{\mathrm{g\,K}}]
Luft 1,204 100,000 28,964 0,0240 1,005
He 0,1785 4,0026 0,15 5,19412
H2 0,0837 2,016 0,1861 14,3
N2 1,166 78,084 28,013 1,040
O2 1,332 20,942 31,999 0,9196
CO2 1,842 0,038 44,010 0,8504
Gummi 1000? 0,16? 1,4?

Dichten jeweils bei 20 °C NP. Kinematische Viskosität von Luft   : 1,5×1051.5superscript1051,5\times 10^{-5} m2/s

Spezifische Dichte verschiedener Materialien:

PE-Folie 0,12 g/dm2
Holzstab \varnothing 2 mm 0,44 g/dm
Al-Folie (Schokoladenverpackung) 0,30 g/dm2
Al-Folie 0,37 g/dm2
Strohhalm 0,11 g/dm
Papier 0,83 g/dm2
Butterbrotpapier 0,43 g/dm2

Anhang B Datenverarbeitung

[Uncaptioned image]

Benutzeroberfläche des selbst entwickelten Auswertungsprogramms Balloon Analyser. Alle innerhalb des Programms referenzierten Objekte sind links in einem Baum übersichtlich zusammengestellt. Aufgeführt werden externe Wetterdaten und Kartenmaterial (Ordner Umwelt), importierte Dateien mit Ballonfunden (Ordner Ballonfunde), selbstdefinierte Startorte für unabhängige Simulationen (Ordner Orte), benutzerdefinierte Ballons zur Durchführung virtueller Flüge (Ordner Ballons), Simulationen zum Erstellen von Statistiken und Fundauswertungen (Ordner Simulation) und schließlich Analysen zum automatischen Erstellen verschiedener Diagramme (Ordner Analysen).

Die Objekte im Baum können zu einem Ablaufschema verknüpft werden, das automatisch alle Simulationen berechnet und auswertet. Neuberechnungen mit veränderten Parametern oder aktualisierten Daten sind dadurch bequem möglich.

Das Abspeichern aller Einstellungen in einer Projektdatei dokumentiert die aufgesetzten Simulationen und ermöglicht das spätere Nachvollziehen der durchgeführten Berechnungen.

Anhang C Formelzeichen

V𝑉V : Volumen
A𝐴A : Oberfläche
Aqsubscript𝐴𝑞A_{q} : Querschnittsfläche
R𝑅R : Radius / Gaskonstante
R0subscript𝑅0R_{0} : Radius druckfreier Ballon
D𝐷D : 2R2𝑅2R Durchmesser / Diffusivität
ε𝜀\varepsilon : Volumenkorrekturfaktor
Vmaxsubscript𝑉V_{\max} : Maximales Ballonvolumen
VGummisubscript𝑉GummiV_{\mathrm{Gummi}} : Gummivolumen der Ballonhülle
MGummisubscript𝑀GummiM_{\mathrm{Gummi}} : Gewicht der Ballonhülle
ρ𝜌\rho : Dichte
N𝑁N : Stoffmenge [mol]
T𝑇T : Temperatur
t𝑡t : Zeit
\mathcal{F} : Strahlungsfluß
λ𝜆\lambda : Wärmeleitfähigkeit / Geographische Länge
β𝛽\beta : Geographische Breite
Nu : Nusselt-Zahl
Re : vL/ν𝑣𝐿𝜈vL/\nu Reynolds-Zahl
Pr : ηcp/λ𝜂subscript𝑐𝑝𝜆\eta c_{p}/\lambda Prandtl-Zahl
Gr : Grashof-Zahl
ν𝜈\nu : Kinematische Viskosität
η𝜂\eta : Dynamische Viskosität
cwsubscript𝑐𝑤c_{w} : Widerstandsbeiwert
Fasubscript𝐹𝑎F_{a} : Nettoauftrieb (== Auftrieb - Gewichtskraft)
Q𝑄Q : Permeabilität (bezogen auf Partialdruck)
δ𝛿\delta : Permeabilität (bezogen auf Stoffmenge)
kHsubscript𝑘𝐻k_{H} : Henry-Konstante
n𝑛n : Teilchendichte
p(>x)annotated𝑝absent𝑥p(>x) : Komplementäre Verteilungsfunktion
m𝑚m : Molekularmasse
ΔΔ\Delta : Fehler
v𝑣v : Geschwindigkeit
r𝑟r : Abstand

Anhang D Reibungskoeffizient

[Uncaptioned image]

Formel von Weidenschilling [105]:

cwsubscript𝑐𝑤\displaystyle c_{w} =\displaystyle= {24/RefürRe<124Re0,6für1<Re<8000,44für800<ReRe=2Rvνcases24RefürRe124superscriptRe0.6für1Re8000.44für800ReRe2𝑅𝑣𝜈\displaystyle\left\{\begin{array}[]{lcl}24/\mathrm{Re}&\mbox{f\"{u}r}&\mathrm{Re}<1\\ 24\,\mathrm{Re}^{-0,6}&\mbox{f\"{u}r}&1<\mathrm{Re}<800\\ 0,44&\mbox{f\"{u}r}&800<\mathrm{Re}\end{array}\right.\qquad\mathrm{Re}=\frac{2Rv}{\nu} (D.4)

Fit der Daten von [25]:

cwsubscript𝑐𝑤\displaystyle c_{w} =\displaystyle= 24Re+7,6Re0,693+0.4424Re7.6superscriptRe0.693044\displaystyle\frac{24}{\mathrm{Re}}+7,6\,\mathrm{Re}^{-0,693}+0.44 (D.5)

Anhang E Mittleres Atmosphärenprofil

Höhe[km] T[C] v𝑣v[m/s] Druck[hPa] Dichte [ρ/ρ0𝜌subscript𝜌0\rho/\rho_{0}]
0,02 8,68.68,6 5 1013,8 1,00
0,50 6,86.86,8 8 956,5 0,95
1,00 4,74.74,7 9 899,1 0,90
2,00 0,00.00,0 10 795,1 0,81
3,00 5,15.1-5,1 12 700,4 0,73
4,00 10,710.7-10,7 14 616,3 0,65
5,00 16,816.8-16,8 17 540,3 0,59
6,00 23,223.2-23,2 20 473,6 0,53
7,00 30,030.0-30,0 23 410,9 0,47
8,00 37,037.0-37,0 26 354,8 0,42
9,00 44,244.2-44,2 29 306,8 0,37
10,00 51,651.6-51,6 32 264,1 0,33
Tabelle E.1: Mittlere Daten der Atmosphäre als Funktion der Höhe nach [13].

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